Prolog

21 1 0
                                        

"I knew this wouldn't last but fuck you, don't you leave me here."
- Melanie Martinez (Teacher's Pet)

28. September 2011, Westbrook, Maine

Auch wenn ich Maine's Natur liebe, heute will ich sie verfluchen. Tapfer schlage ich mich durch das Unterholz, während das Mondlicht mir schwach den Weg leuchtet. Eigentlich hätte dies hier eine wunderschöne, märchenhafte Kulisse sein können. Irgendwo im Wald schrie ein Käuzchen und ich hörte einen kleinen Bach rauschen. Alles war in einen silbernen Glanz getaucht, durchbrochen von den riesigen Schatten, die die Bäume warfen. Leider Gottes war mein ganzes Leben weder märchenhaft, noch wunderschön. Es war schrecklich modrig und zerfressen, wie ein fauler Apfel. Wenn ich sage, dass mein Leben schön ist, dann könnte ich genauso gut behaupten, dass das hier ein entspannter, mitternächtlicher Waldspaziergang ist. War es aber nicht. Ich kämpfe mich seit einer geschlagenen Stunde durch das Gestrüpp. Brombeersträucher haben die Ärmel meines Shirts zerissen und meine Arme mit blutigen Kratzern übersäht. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten, war ich froh Wanderschuhe zu tragen, denn in dem moßigen Untergrund, auf dem ich mich bewegte, hätte ich mir mit meinen High Heels schon längst ein Bein gebrochen. Auch das ach so romantische Mondlicht brachte mir nichts. Mein Handy hatte nur noch zehn Prozent Akku, weshalb ich die eingebaute Taschenlampe nicht die ganze Zeit benutzen konnte. Die brauchte ich noch für später. Im Großen und Ganzen war also an dieser Nacht nichts wunderbar und mystisch. Es war einfach nur scheiße. Aber was hatte ich anderes erwartet? Es war nicht gerade so, dass ich mich um 11 Uhr nachts, freiwillig mit einer alten Karte, ohne Taschenlampe oder anderer Ausrüstung, lediglich mit Wanderschuhen und halbaufgeladenen Handy bewaffnet, aus dem Haus geschlichen hatte, weil ich Blumen pflücken wollte. Nicht einmal eine Jacke hatte ich mitgenommen und es war schon Ende September. Natürlich würde jeder normale Mensch sich jetzt fragen; "Hey Ava, aber jetzt sag doch mal warum du sowas dummes machst!" Dazu kann ich nur sagen: 1. Ist das nicht mal annähernd das Dümmste, dass ich je getan habe und 2. Mache ich es aus dem selben Grund, wegen dem ich alles was ich im letzten Jahr getan habe, getan habe. Wegen ihm.

Keuchend kämpfe ich mich eine letzte Anhöhe hinauf, bevor ich mich ins Gras fallen lasse. Ein paar Minuten bleibe ich einfach nur zitternd da liegen. Man ich werde eine mordsmäßige Erkältung bekommen. Langsam setzte ich mich auf und ziehe die zerknitterte Karte hervor die in meiner Hosentasche steckt. Ich breite sie vor mir auf dem Boden aus und versuche herauszufinden wo ich bin und wie weit es noch ist. Natürlich war ich schon öfter dort wo ich hin will, doch da war es immer hell und er hat mich geführt. Jetzt muss ich die Lichtung ganz allein finden mit nichts als dieser Karte und einem schmutzigen Stück Serviette auf der die Koordinaten stehen. Mit dem Finger fahre ich über die Karte um meinen Weg nachzuvollziehen. Ich bin zuhause losgelaufen, durch die Stadt, in den Wald hinein. Dann bin ich einer halben Stunde den Wegen gefolgt, bevor ich mich ins Unterholz geschlagen habe. Laut der Karte bin ich nur noch wenige Meter von meinem Ziel entfernt. Erschöpft rappele ich mich auf und laufe weiter geradeaus. Den Heimweg will ich mir gar nicht erst vorstellen. Vor allem weiß ich auch nicht wie lange ich am Ziel verbringen werde, der Weg ist nur die zweite Etappe. Die erste war herauszufinden, was die Koordinaten bedeuten. Stolpernd erreiche ich die Baumgrenze. Dann bin ich da. Vor mir liegt eine kleine, kreisrunde Lichtung. Das Gras wirkt hier frischer und gesünder, der Mond steht direkt über mir und in der Mitte steht eine gewaltige Eiche. Sie ist bestimmt mehrere hundert Jahre alt, wie sie da gewaltig über diese Lichtung wacht. Ich bin so froh sie endlich gefunden zu haben, dass meine Beine unter mir zusammen klappen und ich auf den Knien im taufeuten Gras lande. Ein erstickter Schluchzer bricht aus mir hervor. Tränen rinnen über mein Gesicht, während ich bitterlich weine. Noch nie, absolut noch nie habe ich mich so gefühlt. Mein ganzer Körper zittert, als ich mich an einen Baum lehne und zu der Eiche sehe. Laute jammervolle Geräusche quellen aus mir hervor, eine Mischung aus Schluchzern und Schreien. Salzige Bäche laufen über meine Wangen, zu meinem Kinn. Sie tropen auf meine dünne Stoffhose. Ich weine nicht, weil ich so erleichtert bin endlich hier zu sein. Ich weine wegen allem was ich verloren habe. Zuletzt war ich im Sommer auf dieser Lichtung. Wir lagen dort, in einem Meer aus Blumen und starrten in den Himmel. Die Wolken habe ich gezählt und er zählte die Sommersprossen in meinem Gesicht. Ich habe über seine Witze gelacht und er hat Gedichte retzitiert und irgendwann, als es langsam dunkel wurde, hat er mich hochgezogen, in seine Arme hinein. Diese eine nervige Strähne hat er mir lächelnd hinters Ohr gestrichen. Die Eichenblätter malten mit ihren Schatten Muster in sein Gesicht und ich hatte das Gefühl in seinen Augen zu versinken. Ich wollte nicht gehen, denn irgendwie wusste ich, dass es einer der letzten schönen Momente mit ihm sein würde. "Bedingungslos, Ava. " Langsam hatte ich genickt ;" Be-ding-ungs-los." Nach jeder Silbe hatte ich ihn geküsst. Seine Lippen schmeckten nach Zitrone und Sonnenschein. 

UnconditionalWhere stories live. Discover now