"Komm jetzt." Beim Ärmel zog ich Che zu mir her. Der spielte wunderbar die Rolle des Betrunkenen mit. Wahrscheinlich war ihm auch aufgefallen, dass sein Verhalt hier fehl am Platz gewesen war.

Die Bedienung beäugte uns zwei nur zweifelnd. Sie traute sich weder, etwas zu fragen oder anderweitig einzugreifen, noch fern zu bleiben. Immerhin konnte man nie wissen, ob der Kamerad nicht genauso hackedicht war.

In meinen Augen wirkte ich meiner Ansicht nach nüchtern. Aber die Bedienung schien mir wohl alles zuzutrauen. Ihre Logik: Wer mit so einem Verrückten unterwegs ist, der kann ja nicht normal sein.

Che ließ sich hängen. Sein Gewicht war echt nicht gerade leicht. Alter!

War der vielleicht wirklich zu? Wenn ja, was sollte ich denn dann manchen? Aber so viel Jägermeister hatte er doch gar nicht getrunken. Konnte man von so einer geringen Menge betrunken werden? Obwohl, ...

Die Indianer konnten bei ihrem ersten Kontakt mit Alkohol auch übelst leicht betrunken gemacht werden. Und die Asiaten sind im Normalfall auch anfälliger Alkohol gegenüber als Weiße. Das kann also wirklich was mit den Erbanlagen zu tun haben. Da konnte es doch sein, dass Che betrunken war.

Aber hätte er es nicht vorher geahnt und gleich weniger getrunken? Che war niemand, der sich absichtlich ins Koma bringen wollen würde. Nein, auf keinen Fall! Er wollte immer die Kontrolle behalten. Und vergessen musste er auch nicht. Also.

Konnte es nicht auch sein, dass er seine Grenze nicht kannte? Vielleicht hatte er nie exzessiv getrunken. Bestimmt hatte er das nie.

Da war es doch wahrscheinlich, dass er sich aus Versehen betrunken hatte. Aber so extrem? Ohne, dass man davor gescheite Anzeichen bemerkt hatte? Alles war so verdammt schnell gegangen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich auch keine Ahnung, wie sich ein Betrunkener in den einzelnen Phasen bis zum Koma verhält. Hatte ich im Internat logischerweise noch nie gesehen. War ich etwa selbst ein bisschen dödelig und glaubte jetzt, dass es wohl alle Anderen sein mussten? Von einem Schluck Jägermeister? Konnte das überhaupt sein?

Wie stark war Jägermeister eigentlich? Stärker als Bier bestimmt. Oder? War doch bestimmt so eine Art Schnaps.

Mit allen Kräften versuchte ich Che quer durch das ganze Wirtshaus hinaus zu ziehen. Alle glotzten nur. Alternativ standen auch Vereinzelte dumm mir im Weg rum. Platz machte mir natürlich keiner. Oh Mann, war so ein Körper schwer, wenn der andere Part so gar nicht mithilft.

Abschleppen war im Wasser sicher noch schwerer. Zum Glück war das hier alles an Land. Schließlich hätte ich im Wasser kaum durchatmen können, ohne extrem viel Wasser zu schlucken.

Endlich erreichte ich die Tür. Ich ließ Che auf dem Gehweg ab. Ein paar Schritten trennten uns von dem Eingang der Kneipe. Der befand sich zu unserer Linken.

"Ah." Grinsend erhob sich Che. Versteinert starrte ich ihn an. "Was?" Er hörte sich kein bisschen abnormal an. Ich musste noch mal kurz die Situation realisieren. "Ist was?"

Mit verzögerter Reaktion antwortete ich in einem Ton, der klang, als hätte ich mich gerade mit Drogen zugepumpt oder zumindest glaube ich, dass es sich dann so anhört:"Ne." Auch eine sehr schlaue Feststellung. "Du bist nicht betrunken?" Es dauerte erneut eine Weile, bis ich den Sinn meiner eigenen Worte verstanden hatte.

"Nein? Wieso sollte ich?"

"Weil, ... Weil, ... Weil halt." Auch nicht gerade intelligenter. Wie ich mich selbst für so etwas Blödes hasste.

"Das war doch nur gespielt. Damit wir die Getränke nicht zahlen müssen. Wenn uns von den Bonzenfuzzis schon keiner einladen möchte, dann sollten das zumindest mal die Betreiber der Kneipe tun. So. Wir armen Kinder." Er lachte. Mit ihm war es auch immer wieder interessant zu reisen.

"Dann schauen wir halt mal bei den Ärmeren, was da so rausspringt. Bestimmt mehr als hier. Obwohl die weniger haben, sind die im Allgemeinen großzügiger. Ironie der Gesellschaft. Nicht?" Irgendwie schon.

Das andere Viertel lag zum Glück nicht allzu weit ab.

Natürlich gab es dort auch wieder Bars. Weniger nobel und auch mit weniger schnieken Menschen besetzt, aber für unsere Zwecke brauchbarer.

Wir gingen hinein und setzten uns an einen freien Platzt an dem Tresen.

Vor uns erschien sofort ein Barmann. "Wie alt sind denn die jungen Herrschaften?"

Alter. Der hatte uns gleich erwischt.

Tatsächlich AmerikanischWhere stories live. Discover now