4. Kapitel - Die Schöne und das Biest

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„Keine Ahnung, aber schon ein paar Tage", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Das sieht nicht gut aus. Kito, komm her." Kito folgte ihrer Anweisung und zu Vidars Überraschung hievte Antara ihn mit aller Kraft auf den Rücken des Monsters. „Lass mich runter!", rief er, aber sie ignorierte ihn. Stattdessen nahm sie seine Morph-Axt auf und redete mit Caligo, welcher dann Richtung Lager voranhüpfte. Kito und Antara folgten. Vidar klammerte sich eine Art dunkles Geschirr, welches der Odogaron trug. Sein Schuppenpanzer war so kühl und glatt.

Caligo führte die drei in das Lager. Die Ranken am Eingang peitschten Vidar ins Gesicht. Verglichen mit seinem Bein fühlte sich das hier wie Streicheleinheiten an. 

„Kito, sitz", befahl Antara. Der Odogaron gehorchte und Vidar rutschte vorsichtig von seinem Rücken. Noch immer brannte sein Bein mit einem solch höllischen Schmerz, dass er dachte, er würde nie wieder richtig laufen können. „Vidar, ich muss dein Bein sehen. Mach es bitte frei", bat sie. Er biss die Zähne zusammen. Das war ihm unangenehm. Andererseits wollte er, dass der Schmerz endlich aufhörte, weshalb er schließlich den Hüftring ablegte und das Bein aus der Hose befreite. Ein langer roter Kratzer zog sich von zwei handbreit über seinem Knöchel bis kurz über das Knie. Wärme ging von ihm aus. Als Antara ihn nur ganz leicht berührte, unterdrückte Vidar einen Schmerzenslaut. „Es hat sich entzündet...", murmelte sie und kramte in einem Beutel an ihrer Hüfte nach einem passenden Heilmittel. Vidar konnte kleine Fläschchen mit Tränken erkennen und eine Rauchbombe, aber da waren noch so viele andere Items drin. 

„Ah!" Triumphierend hielt die Riderin eine Nullbeerentraube hoch. „Nimm eine davon." Behutsam pflückte er eine und stopfte sie sich in den Mund. Sie schmeckte genau so bitter wie üblich. „Das sollte die Entzündung abheilen lassen", erklärte Antara.

„Ja, ich weiß. Das ist eine Nullbeere. Sie heilt sämtliche Pestarten, et cetera", erwiderte Vidar. Auch Jäger benutzten hilfreiche Pflanzen und Kräuter. Sie holte noch ein kleines Fläschchen heraus, welches mit bläulicher Flüssigkeit gefüllt war. Es erinnerte an Gegengift. „Was ist das?", fragte er.

„Kräutermedizin. Es wird normalerweise für Vergiftungen verwendet, aber deinem Bein wird es auch helfen und dich kräftigen." Antara schien beim Heilen ganz in ihrem Element zu sein, denn Vidar hätte nie daran gedacht, Kräutermedizin gegen etwas anderes als Gift zu benutzen. Er trank einen kleinen Schluck. Im Gegensatz zu der Nullbeere schmeckte es süßlicher, fast erfrischend und auf jeden Fall besser als das Wasser im Tal. Etwas Weiches berührte sein Bein. Antara hatte einen Verband aus ihrem Beutel geholt und wickelte ihn um die Entzündung. „Du kannst deine Rüstung jetzt wieder anlegen", meinte sie, während sie den Beutel wieder zuschnürte.

„Was machst du eigentlich hier mit deinem Monster, Antara?", fragte er. Bei dem Wort ‚Monster' schaute er zu Kito, welcher hinter Antara lag und die Augen geschlossen hatte.

„Wir sind hier, um ein paar Nachforschungen über die Monster des Tals anzustellen", antwortete sie, „Außerdem ist Kito kein Monster." Sie fuhr mit einer Hand über seinen Kopf.

„Doch, natürlich ist er ein Monster. Ein Poogie oder Palico ist er jedenfalls nicht.", erwiderte Vidar. Er konnte immer noch nicht nachvollziehen, warum sie dieser Bestie so sehr vertraute.

„Das meine ich nicht. Wenn du ihn als mein Monster bezeichnest, klingt es so kalt und abwertend. Als würdest du in ihm nur ein Wesen sehen, dass den Tod bringt."

„Aber genau das ist er!", entfuhr es ihm. Das hatte er nicht gewollt. Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, der Odogaron hatte ihm geholfen, genau wie Antara. Verzweifelt versuchte Vidar sich zu rechtfertigen. „Es liegt in der Natur der Monster. Du kannst sie zähmen, großziehen und trainieren, aber wenn es hart auf hart kommt, werden sie ihr wahres Ich und die Krallen zeigen."

Antara schnaubte verächtlich. „Ihr Jäger seid so sehr mit dem Jagen von Monstern zu beschäftigt, dass ihr nicht einmal eure eigene Angst bemerkt", knurrte sie. Ihr Blick wirkte genau so durchdringend und eisig wie der von Kito. In diesem Moment hätte Vidar schwören können, dass die beiden sich eine Seele teilten und das Gleiche dachten. Caligo spannte sich neben ihm an. „Welche Angst?", fragte er, „Jäger kennen keine Angst."

„Angst ist euer ständiger Begleiter, aber ihr könnt sie nicht erkennen. Sie tarnt sich als Hass. Hass gegen Monster", entgegnete sie kühl.

„Ich hasse Monster nicht. Ich... Ich...", stammelte Vidar. Langsam nahm ein Gedanke Form in seinem Geist an. Er war immer da gewesen, versteckt in den hintersten Ecken und tiefsten Schatten seines Verstands. Antara konnte unmöglich Recht haben.  „Ich habe nur Angst vor Monstern." Es war der schwerste Satz, den er jemals gesagt hatte. Er war ein Jäger. Er durfte keine Angst haben und doch saß er jetzt hier, direkt vor einem Monster und gab das zu, was er immer unterdrückt hatte.

„Genau das ist Hass, eine Folge der Angst vor dem Unbekannten." Antara entspannte sich wieder. „Der Unterschied zwischen Ridern und Jägern ist, dass wir auf das Unbekannte zugegangen sind. Euch fehlt dieser Schritt." Es wurde still zwischen ihnen und Vidar starrte vor sich her. Die Erkenntnis lastete schwer auf ihm. Es war nicht nur der ausgewachsene Odogaron, vor dem er Angst hatte. Jedes große Monster machte ihm Angst und gab ihm die Kraft, die er zum Kämpfen brauchte. Er fragte sich, ob Rhaach und Zeron sich ebenfalls fürchteten. Vielleicht legte Rhaach deshalb immer einen solch großen Wert auf Vorbereitung. „Du hast mir vorhin gar nicht gesagt, warum du hier bist", riss Antara ihn aus seinen Gedanken.

„Ich war auf einer Quest im Korallenhochland unterwegs, als das Apex-Monster aufgetaucht ist, ein riesiger Flugwyvern. Meine Mitjäger und ich haben uns um das Vieh gekümmert und es zu einer Klippe getrieben. Es ist heruntergestürzt, hat mich aber mit sich gerissen", erklärte er. Die Worte sprudelten förmlich aus seinem Mund. „Jedenfalls bin ich dann in diesem Tal aufgewacht und habe bisher keinen Weg zurück gefunden." Ein Lächeln bildete sich langsam auf Antaras Gesicht, was ihn verwirrte. Lustig war seine Geschichte jetzt nicht wirklich. „Was ist so komisch daran?", fragte er, wobei er seine Augenbrauen zusammenzog.

Sie murmelte etwas Unverständliches und antwortete dann: „Wenn du nach Hause willst, musst du dich wohl oder übel mit den Monstern verbünden. Sie sind die Einzigen, die die Wege aus dem Tal kennen."

„Also zuerst einmal werde ich mich garantiert nicht mit Monstern verbünden. Ich fürchte mich vor ihnen und will nicht gefressen werden", warf er ein, „Zweitens: Was ist mit dir und Kito? Ihr müsst auch von irgendwo hergekommen sein."

„Natürlich, aber wir sind nicht aus dem Korallenhochland gekommen. Wir waren noch nie dort. Allerdings habe ich von anderen Ridern gehört, dass sich Odogarons auf ihrer Futtersuche manchmal dorthin verirren", erzählte sie. Vidar schüttelte den Kopf. Den kleinen Echsen vertraute er vielleicht noch, aber einen ausgewachsenen Reißzahnwyvern mit Klauen, die länger als sein Unterarm waren? Nein, danke. Andererseits vertraute Antara ihrem Odogaron ja auch und Kito wirkte gar nicht so furchteinflößend, solange man ihn oder Antara nicht bedrohte. Es war fast niedlich, wie er sich hinter ihr zusammengerollt hatte und schlief. „So oder so wird es dein einziger Weg sein.", entgegnete sie, „Ich helfe dir gerne dabei."

„Ganz sicher nicht", gab Vidar fast lachend zurück.

Monster Hunter - In den Tiefen des TalsWhere stories live. Discover now