29- Es war nicht genug Glaube für alle da.

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Ich musste nicht erklären, wen ich meinte. Er wusste es auch so. Bäume in den Wegbiegungen verdeckten ihn. Mal Pfad, mal Treppe führte er uns steil bergab, zwischen den tanzenden Schatten der Bäume hindurch. Abgebrannte Kerzenstummel am Wegrand verrieten, dass bei offiziellen Besuchen der Weg erleuchtet wurde.

„Kinir Hane." Die Windspiele echoten die Melancholie in seiner Antwort. „Bald Miss Kinir Minetel." Seine Stimme brach wie mein Herz.

Schweigend stieg ich weiter hinter ihm hinunter. Wie würde ich reagieren, wenn Constantin jemand anderes heiraten würde? Es war müßig, sich die Frage zu stellen: Falls das passieren würde, müsste er mich vorher erst loswerden. Tod oder ohne kräftige Scheidungsgründe würde der Primus ihm keine zweite Hochzeit gewähren. So oder so waren wir aneinandergekettet.
„Du hättest es mir auch erzählen können. Ich wäre gerne für dich da gewesen."

Er reagierte nicht.
„Wir sind gleich da."

Und wie auf ein Stichwort wurde der Weg vor mir flacher und verlief sich dann vollständig im erdigen Boden. Die Bäume lichteten sich und gaben die Sicht auf einen weitläufigen See frei, dessen kleine Wellen träge an die Küste schwappten.

Ich stoppte prompt. Das war der See. Der Salzsee, den man vom Tempel aus sah.
Ich hatte noch nie so viel Wasser aus der Nähe gesehen. Die leeren Kanalbetten waren Überbleibsel wundersamer Erzählungen aus den Erinnerungen an meinen Vater. Ich hatte von klein auf gelernt sparsam mit Wasser umzugehen.
Mir fiel erst auf, dass mein Mund offenstand, als ich Caridads amüsierten Seitenblick bemerkte.
„Was ist das?"

„Ein See", Caridad erlaubte sich ein kleines Grinsen, das von meinem un-amüsierten Ausdruck nur bekräftigt wurde, „Der Desan- See."

Er war groß genug, dass der Wasserfall weiter hinten kaum mehr, als ein dumpfes Murmeln von sich gab.
Ich sah vom See hoch zu den Klippen, auf denen der Palast thronte. Dahinter, auf der anderen Seite des Hügels lag die Hauptstadt. Meine Heimat- nur einen Steinwurf entfernt.
„Warum habe ich nie gewusst, dass wir einfach die Klippen hier hinunter klettern könnten?"

Neben mir zog Caridad sich ungeniert die Stiefel aus und krempelte sich die Hosen hoch.
„Weil er heilig ist. Nur Mitgliedern der königlichen Familie ist es erlaubt ihn zu besuchen. Sowas wie Des Badewanne, aus der er emporsteigen wird, wenn der letzte Herrscher seine Reinkarnation abgeschlossen hat."

Und damit platschte er fröhlich ins Wasser.

Mein Mund stand schon wieder offen. Wie groß dachten diese Verrückten, dass ihr Gott wäre?
In dem Moment fiel mir auf, dass wir nicht alleine waren. Etwas weiter hinten am Ufer liefen mehrere rotgewandete Gestalten auf einem schmalen Pfad zum See. Priester oder Tempelburschen, die jeder einen Krug geschultert hatten und den Inhalt in einer Art Zeremonie ins Wasser kippten.

Caridad trieb inzwischen auf dem Rücken vom Ufer weg. Ich hatte keine Ahnung, wie er das machte.

„Komm rein!" Er ruderte mit den Armen, „Ich verspreche auch, ich sehe nicht hin, wenn du dich ausziehst."

Oh, damit hatte ich keine Probleme. Aber ich schüttelte trotzdem den Kopf.
„Ich kann kaum schwimmen!" Logischerweise. Ich hatte bis vor einem Jahr noch nie genug Wasser besessen, um eine Badewanne zu füllen.

Ich ging am Ufer in die Knie und tauchte meiner Fingerspitzen in das kühle Nass. Es war wunderschön. Klarer als jeder Diamant und so viel wertvoller. Und obwohl ich wusste, dass es ungenießbar war, führte ich die benetzten Finger an die Lippen.

Kein Salz.

Hä?

War das nicht der Grund, warum wir es nicht gegen die Dürre auf unserer Insel einsetzten?

Das Königreich der Geheimnisse - Band 1Where stories live. Discover now