Kapitel 1.2

0 1 0
                                    

Am Montag lag Felice noch immer in ihrem Bett und hatte sich nur um auf die Toilette zu gehen aus ihrem Bett oder ihrem Schlafanzug bequemt. Immer wieder hatte ihre Mutter ihr ein Tablett mit Essen gebracht, von dem sie das Meiste am Abend wieder mit nach unten nahm, oder ihre Eltern waren gemeinsam gekommen, um sie zu überreden, aus ihrem Zimmer zu kommen. Doch Felice hatte sich nicht erweichen lassen, sie hatte einfach nicht die Kraft oder den Willen aufzustehen. Wieso konnten ihre Eltern das nicht verstehen. Einmal war sie kurz ins Bad gegangen und hatte sich ihre Haare gewaschen. Daher hingen sie ihr nun nicht mehr in fettigen, dicken Strähnen herunter. Auch für die Schule musste sie an diesem Montag nicht mehr aufstehen, da sie mit ihrem Abitur im letzten Monat fertig geworden war. Nun warteten ihre Klassenkameraden und sie nur noch auf die Ergebnisse, bevor sie sich entscheiden mussten, was sie mit ihrem zukünftigen Leben anfangen wollten.

Es war gerade kurz nach Mittag, als ihr Vater wieder einmal in das Zimmer seiner Tochter kam, um mit ihr über ihr Verhalten zu reden. Er setzte sich wie auch schon seine Frau vor ihm auf den Rand des Bettes und blickte Felice streng, aber liebevoll an.

„Na, Kleines, wie geht es dir heute?"

Keine Reaktion von Felice, stattdessen starrte sie weiter nur die Wand an.

„Komm schon, rede mit mir. Ich bin doch dein altes Papichen", seine Stimme klang liebevoll, als er ihr über das Gesicht strich und nach einem Zeichen suchte, dass seine alte Tochter noch immer hier war. „Wir sind doch alle traurig, doch irgendwann ist es Zeit, dass wir uns wieder dem Leben stellen. Es ist nicht gut, wenn du dich weiter in deinem Zimmer verkriechst. Deine Mutter und ich erkennen unsere Tochter kaum wieder. Wo ist das lebensfrohe, lustige Mädchen hin? Jetzt wirkst du eher wie ein Zombie"

Noch immer war von Felice keine Regung zu erkennen. Diese vollkommene Passivität machte ihren Vater nun ärgerlich. Das wusste sie, doch ihr war es egal.

„Du weißt, dass ich dich auch hier aus deinem Zimmer schleppen, dir frische Kleidung anziehen kann", drohte er ihr.

Doch sie beide wussten, dass sein Herz zu weich war, als dass er das wirklich getan hätte. Und selbst wenn, war es Felice egal. So blieb ihm nichts weiter übrig, als erfolglos seine Tochter wieder allein zu lassen.

„Ihr versteht es nicht", sagte Felice mit leiser Stimme auf einmal und sprach damit die ersten Worte seit Tagen.

Es war nur ein kurzer Satz, doch ihr Vater verbuchte es als kleinen Erfolg. Er trat zurück ans Bett und versuchte weiter, auf seine Tochter einzureden.

„Dann erkläre es mir doch. Wir sind doch alle in derselben Situation."

„Nein, sind wir nicht", verneinte Felice. „Ihr könnt nicht verstehen, wie ich mich fühle. Ihr versteht es einfach nicht. Und ich kann es euch auch nicht begreiflich machen."

Damit hatte sie alles gesagt und drehte sich wieder um. Ihr Vater saß genau so schlau wie vorher da.

„Na gut", sagte er mit fester Stimme. „Vielleicht ist es dann besser, wenn du mit jemanden redest, der sich besser damit auskennt, einem Psychologen oder Therapeuten."

Mit diesen Worten stand er auf und ging aus dem Zimmer. Er schloss die Türe und bevor er seine Hand von der Türklinke nahm, blickte er nochmals zu Felice und wünschte sich, seine Tochter würde wieder die Alte werden.

Für einen Moment horchte sie auf, nichtsdestotrotz lag sie den weiteren Tag nur im Bett. Es war nicht so, dass Felice nicht mit ihren Eltern reden wollte. Sie wusste jedoch, dass ihre Eltern sie nicht verstehen würden. Niemand konnte das. Sie verspürte diese innere Leere, die einfach nicht vergehen wollte. Nur ganz tief drinnen war eine Emotion: Schmerz. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gefühlt und sie wusste nicht, wie sie es wieder loswerden konnte. Doch eigentlich wollte sie das auch nicht. Sie hatte es verdient, sich so zu fühlen.

„Gerne würde ich aufstehen, Papa. Doch ich kann nicht. Wie kann ich mich auf das Leben konzentrieren, wenn ich die ganze Zeit an Leo denke. Meine ganzen Gedanken, mein ganzes Sein dreht sich gerade nur um ihn", dachte Felice versteckt unter ihrer Decke. „Ich weiß, ihr wollt mir nur helfen. Doch das könnt ihr nicht."

Neben ihr leuchtete das kleine Smartphone kurz auf, um zu zeigen, dass sie eine Nachricht bekommen hatte. Mehr aus Gewohnheit als aus wirklicher Neugier heraus nahm sie das Handy in die Hand. Mit einer schnellen Handbewegung über das Display löste sie die Tastensperre und die Nachricht ploppte darauf auf.

„Hey, Süße, wie geht's dir denn? Habe seit langen nichts mehr von dir gehört. Luke auch nicht. Wir machen uns echt Sorgen um dich. Melde dich doch mal wieder oder noch besser, lass uns doch mal treffen :) Gib mir einfach Bescheid ;) Freue mich auf dich. LG Laura"

Felice las sich die Nachricht durch und warf das Telefon dann wieder auf den Holzboden. Laura war Felices beste Freundin seit Kindertagen. Sie hatten auch die gleichen Kurse in der Oberstufe gewählt und in den gleichen Fächern ihr Abitur geschrieben. Doch seit sich Felice in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, hatte sie auch weder Laura noch sonst einen ihrer Freunde gesehen. Selbst Luke hatte sie bisher noch nicht besucht, geschweige denn gesprochen.

Eigentlich wollte sie die Nachricht nicht weiter beachten, doch die Drohung ihres Vaters, sie zu einem Psychologen zu schicken, schwang plötzlich über ihr und veranlasste Felice zum Handeln. Auf einmal war es ihr nicht mehr egal, denn sie erkannte, dass wenn sie fortmusste, dann würde sie auch all das hier verlassen, was sie an Leo erinnerte. Dann würde sie alles von ihm vergessen, seine Stimme, sein Lachen, sein Geruch. Daher nahm sie ihr Telefon und textete Laura zurück.

„Hey. Lass uns doch morgen bei mir treffen. Zwei Uhr. Felice."

Sie drückte auf Senden und kurz drauf kam von Laura ein Smiley als Antwort mit der Bestätigung zurück, dass sie sich schon auf Morgen freute. Mit etwas Glück würden ihre Eltern morgen auch da sein und sehen, dass sich Felice wieder unter Menschen wagte, wenn auch aus anderen Gründen, als ihre Eltern es glaubten. Vielleicht würden sie ihre Idee mit dem Psychologen wieder fallen lassen.

FeliceWhere stories live. Discover now