{22. Kapitel}

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Ich war wieder auf meinem Weg zurück an die Oberfläche. Die letzte Sicherheitstüre wurde geöffnet und ich konnte in den Empfangsbereich treten. Er war nun heller erleuchtet, als zuvor. Ein Geräusch neben mir ließ meinen Kopf herumfahren. Ich erspähte Noam welcher soeben dabei war sich seiner Jacke zu entledigen und seine Arbeit aufzunehmen.

„Hallo Noam", begrüßte ich ihn, während ich mich auf ihn zubewegte.

Er schien überrascht mich zu sehen. „Sergeant. Hatten Sie schon einen Termin?"

Ich schüttelte lediglich meinen Kopf und ließ die Frage fallen, ohne weiter darauf einzugehen. „Kann ich dich etwas fragen?" Noam wurde hellhörig. „Wie ist Harrys Familie so?"

Der junge Franzose kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf, seine Augen wanderten umher, als er zu überlegen begann. „Keine Ahnung. Harry hat nie Besuch empfangen."

Mein freundlicher Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein ausdrucksloses Starren. „Wie..? Ähm nicht mal an Weihnachten letztes Jahr?"

„Nope. Weder Besuch, noch irgendeine Karte. Harry hat nie etwas dergleichen empfangen."

Er hatte mich angelogen.

„Seine Familie würde ihn vermutlich gar nicht mehr wieder erkennen." Noam hatte sich mittlerweile auf seinem Stuhl niedergelassen und kramte in irgendwelchen Akten umher. Etwas neben sich wirkend, sprach er weiter. „Harry war kaum 17 Jahre alt, als sie ihn mitgenommen haben. Er war in einer Sondereinrichtung bis er die Volljährigkeit erreicht hatte. Danach kam er hier her." Noam sah zu mir auf. „Sie hätten ihn sehen müssen. Kurze Haare, Hemd, keine Tätowierungen..." Er lachte kurz auf. „Und jetzt... Jetzt gleicht sein Körper einem Kunstwerk, seine Haare sind lang...aber nicht nur optisch hat er sich verändert. Er ist..."

Ein neues Geräusch zog meine Aufmerksamkeit von Noams Stimme weg und beanspruchte sie vollstens für sich. Es war Liam der durch die Tür kam. „Ich habe ungefähr 100mal versucht dich anzurufen", waren seine ersten Worte an mich.

Ich verabschiedete mich flüchtig von Noam und ging mit meinem Kollegen nach draußen. „Es tut mir leid. Es ging mir nicht gut."

Liam blieb stehen und sah mich voller Sorge an. „Und da bist du zu... Harry gegangen?"

„Ja. Er hat mir geholfen", sagte ich mit einem zarten Lächeln im Gesicht.

Liam legte seinen Arm auf meiner Schulter ab. „Das freut mich, ehrlich."

Ich spürte, dass das nicht alles war, was er dazu sagen würde.

Und ich sollte Recht behalten, denn er öffnete seinen Mund erneut. „Aber vergiss nicht, er sitzt im Luminal. Er steht auf einer anderen Seite des Gesetzes, als du es tust. Und das Luminal ist nichts, wo man lebendig wieder raus kommt. Dort sind nur die gefährlichsten Typen inhaftiert und das wissen die Wärter leider auch. Keiner greift ein, wenn mal eine Schlägerei entsteht."

Ich wusste, worauf er hinaus wollte. Die Todesrate war in keinem anderen Gefängnis so hoch, wie die vom Luminal.

„Rechne einfach damit, dass es auch jederzeit Harry treffen könnte." Liams braune Augen huschten über mein Gesicht.

Ich hatte zur Kenntnis genommen, was er zu mir sagte, aber dennoch würdigte ich es mit keiner Antwort. „Warum hast du versucht mich zu erreichen?"

Liam ließ sich auf meine Ablenkung ein. „Ich komme gerade von der Gerichtsmedizinerin, die unser Busopfer untersucht hat. Er starb durch eine Überdosis Botulinumtoxin, oder kurz auch..."

„...Botox."

Liam nickte. „Es wurde ihm mit einer speziellen Injektionsnadel verabreicht. Vermutlich 120 mm lang und 0,8 mm breit. Durch die enge Sportkleidung, die er trug, spürte er den Stich nicht. Es ist schwer festzustellen, wann genau ihm die tödliche Dosis verabreicht wurde, da er vor einiger Zeit eine Botoxbehandlung hatte, von der sein Körper noch nicht alles wieder abbauen konnte. Aber alles rund um 30 min vor Eintritt der Lähmung ist, laut Gerichtsmedizinerin plausibel."

Schachmatt || LarryWhere stories live. Discover now