Kapitel 2

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Es war schon dunkel draußen, im Raum brannte nur ein kleines Licht. Die Tür wurde erneut geöffnet und ein Wärter trat ein und stieß Liam auf den Boden. Ohne ihn weiter zu beachten, sagte er nur zu Corey, er solle demnächst das Licht löschen, sonst gäbe es eine Strafe. Dann verließ er wortlos den Raum. Direkt drehten sich alle zu Liam um, der auf dem Boden lag. „Liam..." Corey kniete sich neben ihn und zog seinen Pullover hoch. Überall auf seinem Rücken waren rote Striemen. Liam richtete sich langsam wieder ein Stück auf. Corey redete eine ganze Weile leise mit ihm, dann legte Liam sich hin. Corey wandte sich um und sah Grayson und Spencer an. „Gebt mir mal eure Decke.", sagte er ruhig. Grayson seufzte leise und fing einen bösen Blick von Rowan ein. Dann hob er die Decke auf und gab sie Corey. Dieser gab sie an Liam. „Es ist Zeit zu Schlafen.", sagte Corey schließlich. Alle legten sich hin und Corey löschte das Licht.

Spencer lag neben Grayson. Beide hatten jetzt keine Decke mehr. Irgendwann drehte sich Spencer zu Grayson um. „Wieso haben die uns die Decke weggenommen? Es ist kalt!", flüsterte Spencer. „Gewöhn dich dran. Du bist jetzt der Rangniedrigste. Ich stehe genau über dir, was auch heißt, dass du auf mich hörst.", antwortete Grayson leise, „Aber wieso werden wir dann noch zusätzlich..." Grayson unterbrach ihn: „Sei jetzt still und komm damit klar! Ich kann es auch nicht ändern. Schlaf jetzt." Spencer starrte ihn noch einen ganzen Moment irritiert und überrascht an. Auch wenn es bereits dunkel war, konnte Spencer Grayson noch sehr gut erkennen. Er hatte blaue Augen, die er in dem Moment schloss. Er hatte kurze, zerzauste braune Haare und war ziemlich blass. ‚Er sieht mir irgendwie ähnlich...', dachte Spencer. Grayson war nicht so groß, auch nicht klein, allerdings ein Stück kleiner als die anderen Männer im Raum. Er trug wie jeder die Kleidung des Lagers. Ein grauer Pullover und eine ebenso graue Hose. Grayson hatte sich zusammengerollt und schlief mittlerweile. Daher beschloss Spencer, ihm dies nach zu tun.

Es war früher Morgen, es war noch nicht wirklich hell, als die Wärter sie aus dem Schlaf holten. Spencer stand langsam auf und streckte die steif gefrorenen Glieder. Grayson neben ihm setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er sah übermüdet und halb erfroren aus. Er sagte nichts dazu, tat so als wäre alles normal. Die Wärter öffneten die Türen und ließen sie vor diesen in Reihe antreten. Dann zählten sie durch. Jeder Raum wurde von zwei oder mehr Wächtern bewacht. Diese Wächter brachten sie nun zu den Speiseräumen. Dort gab es Frühstück. Viele der Männer aßen soviel sie konnten, damit sie für den Tag gestärkt waren. Und es gab auch einige, die appetitlos und mit Ekel ihr Essen anstarrten und mit Mühe einige Bissen herunterwürgten. Genauso ging es Spencer. Das war kein Essen. Und er konnte einfach nichts essen. Er war immer noch etwas durcheinander, da er von einem Tag auf den anderen von einem normalen Raum mit normalem Essen in solche Umstände geraten war. „Iss!", zischte Grayson, „Ich weiß, das ist nicht gerade das, was man gerne zum Frühstück isst, aber du musst essen, du brauchst Kraft!" „Nicht gerade das, was man gerne zum Frühstück isst ist auch noch unpassend...", murmelte Spencer. „Ich weiß. Iss jetzt. Zumindest ein bisschen." Tatsächlich würgte Spencer einige Bissen runter. Mit viel Mühe und ständigem Zureden Graysons.

Es war einige Minuten später. Sie wurden für ihre Arbeit eingeteilt. Die Arbeit, die sie verrichten mussten, war zum größten Teil Schwerstarbeit. Es gab von Arbeit im Bergwerk bis hin zum Schleppen schwerer Dinge alles. Grayson wurde eingeteilt, die schweren Teile der neuen Maschinen zu tragen, währenddessen Spencer direkt ins Bergwerk gejagt wurde. Die Stunden schlichen dahin. Spencer kroch auf allen Vieren durch die niedrigen Gänge. So oft hatte er sich an diesem Tag schon den Kopf gestoßen, sein Rücken schmerzte, mittlerweile war ihm auch noch schwindelig. Trotzdem arbeitete er weiter, er wusste, wozu die ‚Akademie' fähig war. Oft genug hatte er es erfahren müssen. Schmerzhafte Erfahrungen. Immer wieder, seit er ein Kind war. Schon damals hatte er mitarbeiten und alles für die ‚Akademie' tun müssen. Er hatte es gehasst.

Viele anstrengende Stunden später hatte Spencer dann nochmal etwas gegessen, was sogar einigermaßen genießbar war und war wieder im Raum. Raum dreizehn im Sektor dreizehn. Spencer fand das amüsant. Er hatte dreizehn Menschen das Leben genommen, hatte für jeden dreizehn Jahre Haft bekommen, wobei er je dreizehn Jahre von einem Wächter bewacht wurde. In dem Raum, in dem er war, waren mit ihm dreizehn Männer. Und er hatte zwölf Geschwister, von denen er allerdings nicht einmal die Hälfte kannte. Er war einige Zeit der Einzige im Raum. Dann hörte er jemanden an der Tür. Er konnte es mittlerweile auswendig, auch wenn er erst einen Tag da war: Zwei Ketten wurden gelöst, dann wurden vier Riegel beiseitegeschoben und zwei Schlösser geöffnet. Er fragte sich manchmal, wieso, da sich sowieso niemand die Mühe machte zu fliehen, da sich das gesamte Gebäude durchgängig unter voller Bewachung befand. Ein Wächter stieß Grayson zur Tür hinein. Grayson sackte direkt zusammen. Der Wächter ging wortlos und Grayson blieb liegen. Spencer kroch zu ihm hinüber. „Grayson?! Verdammt, schau mich an.", sagte er verzweifelt. Er zog Grayson zu seinem Schlafplatz und sah ihn sich vorsichtig an. An seinem Körper waren mehrere Spuren eines Elektroschockers zu sehen, sowie Striemen auf seinem Rücken. Er starrte Grayson einen Moment ziemlich hilflos an. Dann zog er seinen Pullover aus und legte ihn ihm über, damit er es ein bisschen wärmer hatte. Wenig später wurden auch nach und nach die anderen zurückgebracht. Zuerst kam Corey wieder. „Junge, wieso hast du deinen Pullover nicht an? Willst du krank werden?", fragte Corey entsetzt. „Da wir keine Decke haben, habe ich ihn Grayson gegeben.", antwortete Spencer ohne jegliche Emotionen. Corey wandte sich zu Grayson, der nach wie vor bewusstlos auf dem Boden lag. „Ich gebe ihm die Decke wieder. Und du ziehst dich wieder an. Weißt du, was mit ihm passiert ist?", seufzte Corey. Spencer schüttelte den Kopf. „Er hat Spuren von einem Elektroschocker an den Armen und am Hals. Und er wurde wahrscheinlich ausgepeitscht.", sagte er leise. Spencer war vor Corey etwas schüchtern seitdem Grayson ihm mitgeteilt hatte, dass er Rangniedrigster war. Corey seufzte erneut und setzte sich hin. „Lass ihm Ruhe, vielleicht wird er bis morgen wieder. Wenn nicht, hat er ein Problem. Die kennen keine Gnade hier."

1996Where stories live. Discover now