Der Teufel an Bord

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Ihr war völlig klar, was dies bedeutete. Sie durfte in keiner Weise auffallen.

Seit der unseligen Tat ging er rücksichtslos vor. Die Katze bekam einiges zu tun; bereits die geringste Verfehlung genügte, und sie sauste unbarmherzig auf den Rücken desjenigen nieder, der seiner Ansicht nach zu langsam, zu unwillig oder zu nachlässig arbeitete. Cornelis schien höchst erbost darüber zu sein, dass ein Streit über Nichtigkeiten dermaßen ausgeartet war; dies untergrub seine Autorität. So diente seine Härte gegenüber der Mannschaft gewissermaßen als ernste Warnung: sie sollte jeden abschrecken, noch einmal eine Rauferei anzufangen.

Lorena hatte den Verdacht, dass ihm die „Disziplinierung" insgeheim Spaß bereitete, die Messerattacke lieferte ihm den Vorwand, die Männer wie ein Stück Dreck zu behandeln. Er jagte sie kreuz und quer übers Deck oder „Husch, husch!" die Wanten mehrfach hinauf und hinunter, wobei die Drangsalierten sein öliges Grinsen sowie seinen Spott erdulden mussten „Heult doch, ihr Knaben!".

Ein Matrose wagte es, dagegen aufzumucken, was Cornelis so sehr aufbrachte, dass er drohte, ihn eine Woche lang in Eisen zu legen – in der Bilge!

Sein Gebrüll war laut genug, dass es auch Lorena am anderen Ende des Schiffs mitbekam. Sie hatte den Ersatzvorrat an Sanduhren zu inspizieren und zu warten, eine heikle Aufgabe, die sonst nur erfahrenen Schiffsjungen anvertraut wurde. Beinah hätte sie das kostbare Halbstundenglas vor Schreck fallengelassen. Ihr wurde heiß und kalt. Fenja, was wird aus Fenja, wo soll sie hin ...? Sogleich ließ sie alles stehen und liegen und hastete los. Sie musste unbedingt wissen, ob er seine Drohung tatsächlich wahrmachte. Und was konnte sie tun? –

Sie sah gerade noch, wie Cornelis den renitenten Unglücksraben zornsprühend anstarrte ... als wollte er ihn allein mit seinem Blick in Stücke springen lassen ... doch er entschied sich anders und hetzte ihn stattdessen ins Krähennest hinauf, wo der Arme solange ausharren sollte, bis die übernächste Wache ihn von diesem „Sonderdienst" erlöste. Das waren viele Stunden, bei der feuchten Kälte eine Herausforderung.

Fenja war vorerst gerettet.

Aber auch sie, Lorena, kam nicht ungeschoren davon. Die Matrosen gaben die Demütigungen direkt an sie weiter. Da ein Moses am Ende der Hierarchie stand, konnte jeder ungestraft seine schlechte Laune an ihr auslassen; mehr als je zuvor musste sie Hiebe, Knüffe und Püffe einstecken. Sie tat alles, um wenigstens Cornelis auszuweichen. Dabei schien ihr sogar das Meer helfen zu wollen; wegen des höheren Seegangs lief verstärkt das Wasser durch die Luken, weshalb sie sich häufig zum Auspumpen in die Bilge zurückziehen durfte – was wiederum Fenja freute, die dadurch „Ausflug" bekam.

Wurde Lorena wieder an Deck gerufen, tauchte sie einfach in dem größten Haufen arbeitender Seeleute unter; im Idealfall versteckte sie sich hinter Oves breiten Rücken. Aus der sicheren Distanz heraus konnte sie den Teufel an Bord, wie sie ihn heimlich bei sich nannte, gut beobachten.

Es geschah nicht aus reiner Neugierde. Dieser Mensch war wie ein Feuer speiender Berg, vor dem man ständig auf der Hut sein musste. Vielleicht fand sie etwas heraus, was gegen einen Ausbruch half?

Cornelis Veen war ein äußerst widersprüchlicher Charakter, man konnte ihn hassen – oder bewundern. Er war beileibe nicht nur ein Antreiber; als Vormann und Fürsprecher der Seeleute galt er als durchsetzungsstark – allerdings im Sinne seiner Leute. Er wählte sich die geschicktesten Matrosen aus, mit denen er sich oft umgab, und wer seine Gunst errang, gehörte zu den Glücklichen, die später eine Zulage zur Heuer erwarten durften. Die übrigen hatten das Nachsehen und wurden oft zur Zielscheibe seiner Schikanen.

Aber er besaß auch eine andere Seite: was seine Fähigkeiten anbetraf, so war er der beste Seemann von allen und zu Recht auf seinem Posten. Er war der erste, der bei rauem Wind in die Takelage kletterte, die Segel einholte oder den Rudergänger ablöste, er war allen stets voraus und sich für nichts zu schade. Weder schien er zu frieren noch Hunger oder Durst zu kennen, dazu war er stark wie ein Bulle. Sie traute ihm zu, dass er nötigenfalls ins Maul eines Riesenkraken springen würde.

„Alles für das Schiff!", ermahnte er die Mannschaft häufig und lebte es selbst vor. Im Grunde hätte es die Peitsche nicht gebraucht. Jeder Groll, jeder Protest über die rohe Behandlung verstummte angesichts seines leidenschaftlichen Einsatzes. Die Männer wollten wissen, woran sie waren, forderten klare Worte und klare Anweisungen. Dann ordneten sie sich bereitwillig unter.

Die See ist nichts für Weichlinge. Dies hatte sie schon immer gewusst, als sie zitternd auf dem Dachboden gehockt hatte und dem Heulen und Toben der Nordsee lauschte oder im Watt allein unterwegs war und sich vor der Flut oder aus dem Schlick retten musste. Deshalb konnte sie durchaus Verständnis für Cornelis' Verhalten aufbringen – er versuchte, mit brutalen Mitteln die Männer zusammenzuschweißen, sodass sie besser den Gefahren der See und was sonst noch auf sie wartete, trotzen konnten. Der Profos mischte sich mit keinem Wort ein, dank ihm hatte er weniger Arbeit. Er setzte zu allem nur eine wichtige Miene auf und machte seine Kontrollrunden.

Was Bakker und Thorsson anbetraf, so ließen sie den Hochbootsmann gewähren und duldeten seine Härte gegenüber den Seeleuten. – Es kann ihnen nur recht sein, wenn die Mannschaft zu Höchstleistungen angespornt wird, dachte Lorena bei sich. Sie haben ihren eigenen Kampf mit den Elementen auszufechten und genug damit zu tun, das Schiff auf Kurs zu halten.

Sie blieben auf dem Achterdeck unter sich; Thorsson hantierte mit den Navigationsinstrumenten, danach beriet er sich eingehend mit den Steuerleuten. Alsdann hallten die Befehle über das Deck, die schleunigst ausgeführt werden mussten.

Einmal verwechselte Lorena in der Hektik Backbord mit Steuerbord und erwischte das falsche Tau. Das schrille Pfiff eines Matrosen ließ sie innehalten, verwirrt ließ sie die Leine wieder los, drehte sich um ... und sah den Backsmeister auf sich zuspringen.


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🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now