Castles - Kapitel 1

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Ich war 27 Jahre alt, als ich floh.

Als ich floh, war meine Familie zerstört und unser Zuhause niedergebrannt.

Wo einst Hofgärten in voller Pracht blühten und Kinderlaute die Luft erfüllten, sah man heute allenfalls noch die Absperrbänder der Polizei und, weit dahinter, vor den groben Umrissen der Berge, die Trümmer meiner Kindheit, grau und immer noch staubig durch den tagelang anhaltenden Rußnebel.

Als ich floh, war es früh am Morgen. Zu früh für die meisten Menschen hier. Im Dunkeln zog ich mich an, packte meine wenigen Kleider in meine Sporttasche und schlich mich unbemerkt aus dem Gasthof. Die Luft war schneidend kalt und ich betrachtete meinen Atem, der vor mir herschwebte. Ich lief mit angezogenem Kopf und schnellen Schritten die Straße entlang bis zur Bushaltestelle und war alleine, als ich auf diesen wartete. Die Bremsen des alten Busses quietschten und der Fahrer, ein etwa 50-jähriger kräftiger Mann mit Bart und grau melierten Haaren schaute mich misstrauisch durch seine stahlgrauen Augen an. Er öffnete die Türen und ich trat in die Wärme ein. Nachdem das oneway-Ticket gekauft war, suchte ich mir einen Platz in der Nähe der hinteren Türen und lehnte meinen Kopf an die beschlagene Scheibe. Der Bus fuhr an und zu gerne hätte ich mich fallen gelassen und der bleiernen Müdigkeit Platz gemacht. Aber ich durfte noch nicht zur Ruhe kommen, die Reise fing gerade erst an.

Am Bahnhof Belfast Central nahm ich meine Tasche, zog mir die Kapuze weiter ins Gesicht und stieg aus. Auf meiner Fahrkarte standen das Gleis, die Abfahrtszeit und der Name der Endstation des Zuges, der mich weg von hier bringen sollte: Dublin.

An sich hatte ich Irland immer gemocht. Ich war zwar lieber ein Großstadtmädchen gewesen und hatte des Öfteren Reißaus genommen, wenn sich die Gelegenheit bot, aber im Herzen hatte meine Familie hier ihren Ursprung und ich selbst war immer ein sehr Familienbezogener Mensch gewesen. Vor drei Jahren bin ich für Danny nach Deutschland gezogen. Wir haben in einer kleinen Wohnung in Düsseldorf gewohnt, da Danny von dort aus schnell bei der Arbeit sein konnte. Mir war das nur recht gewesen, denn ich konnte von überall auf der Welt arbeiten, alles was ich dafür brauchte, waren mein Laptop und mein Handy.

Als ich nach Hause zurückkehrte, nahm meine Familie mich sofort wieder auf und ich bekam mein altes Leben zurück.

Jetzt wünschte ich mir, dass Danny mich an der Hand nehmen und zu meinem Zug bringen würde. Ich schaute auf die Schilder mit den Anzeigen und ging zu Gleis 6, wo der Zug bereits eingefahren war. Ich musste einen Knopf drücken, um die Zugtüren zu öffnen und suchte mir einen Sitzplatz in der Nähe der Toilette, verstaute meine Tasche auf dem Gitter über meinem Kopf und setzte mich. Die Fahrt würde ca 1 Stunde und 45 Minuten dauern, also stellte ich mir einen Timer auf meinem Handy und bettete anschließend meinen Kopf schwer auf meiner zusammengerollten Jacke.

Ich fiel in einen traumlosen Schlaf und bereute, nichts zum Essen eingepackt zu haben, als ich nach 1 ½ Stunden die Augen wieder öffnete und den Eingang des Flughafens sah.

Als der Zug hielt, nahm ich meine Tasche vom Gitter über mir und machte mich auf den Weg zur Sicherheitskontrolle. Zu oft war ich hier schon gewesen als dass mich das Prozedere vor dem Flug oder der Flug selbst beunruhigen könnte. Gelangweilt betrachtete ich die Menschen um mich herum, die hektisch ihre Kinder an den Armen festhielten, um zu verhindern, dass diese durch den Kontrollbogen rannten oder den Inhalt des Kinderwagens auf dem dreckigen Boden zu verteilen.

Als ich am Gate saß und wartete, dass zum Einlass aufgerufen wurde, gingen meine Gedanken für einen Moment auf Reisen.

Ich war wieder 13, stand in der Sporthalle und wurde von den Kindern, die Minuten zuvor noch normal mit mir über den neuen Barbie-Film geredet haben, ausgelacht und umzingelt. Ihre Stimmen waren ein einziges Durcheinander, ich konnte nicht verstehen, was sie zu mir sagten und sah nichts mehr durch den Tränenschleier in meinen Augen. Ich fixierte den Boden und konzentrierte mich auf meine zitternde Atmung, während ich den Ball auf der anderen Seite der Halle aufschlagen hörte. Der Sportlehrer bemerkte die Kindertraube nicht, er war damit beschäftigt, das Basketballspiel der Jungs aus meiner Klasse zu kommentieren. Die Mädchen wandten sich von mir ab und fingen an, in kleinen Gruppen über mich zu lästern. Ich habe Belanna gestern mit ihrer Mutter im Ort gesehen. Die sahen aus wie; Schau nur wie sie jetzt guckt. So schwach, die kann nicht mal was sagen.. Zischend und brennend züngelten sich ihre Worte den Weg zu meinem kleinen Kinderherz und verbrannten es.

Ich fasste mir an die Stelle, an der ich mein Herz schlagen hörte und ging in Gedanken meinen Körper entlang. Bei den Zehen fing ich an, stellte mir vor, dass ich am Strand liege und die Wärme der Sonne sich in meinen Zehen ausbreitet, dann in meinen Füssen, ganz langsam bis zum Fußrücken und zum Knöchel, dann die Wade entlang und das Schienbein. Ich genoss das Gefühl der Wärme und Helligkeit und merkte, wie mein Herz sich wieder beruhigte und meine Hände wieder Raumtemperatur annahmen und nicht mehr wie zwei kaltschweißige tote Fische in meinem Schoß lagen. Ich hörte an den Knien auf, manchmal musste ich bis zum Kopf hochgehen, je nachdem wie stark meine Panikreaktion war.

Passagiere des Fluges A317 nach Düsseldorf Airport, bereit machen zum Boarding. Ich stand auf, drückte meinen Rücken durch und stellte mich in die Schlange. Ausweise wurden vorgezeigt und ich sah durch die große Fensterfront unsere Maschine, eine schneeweiße Boeing 747. Eine schmale Blondine in dunkelblauem Kostüm und auffällig rot geschminkten Lippen nahm meinen Personalausweis und gleichte ihn ab, dann wünschte sie mir einen angenehmen Flug und ich lief den langen grauen Tunnel zum Flugzeug entlang. Als ich vor drei Jahren dieses Gate durchschritt, zog ich einen kleinen Koffer hinter mir her, das Herz voller Glück und Liebe und in freudiger Erwartung, Danny endlich wiederzusehen. Nicht mehr nach Hause fliegen zu müssen. Fast hörte ich die Rollen meines kleinen Trolleys hinter mir.

Am Ende des Tunnels standen zwei Stewardessen der Airline und begrüßten mich mit einem Zahnpasta-Lächeln. Ich lächelte vorsichtig zurück und stieg in die gut gewärmte Maschine. Im Eingangsbereich wurde ich freundlich von einer kräftigeren Dame empfangen: Miss O'Connell? Hier entlang, ich bringe Sie zu Ihrem Platz. Sie führte mich in die erste Klasse zu meinem Platz Fenster. ich bin für diesen Flug Ihre Ansprechpartnerin. Wenn Sie Wüsche haben, drücken Sie einfach auf den blauen Knopf. Im absoluten Notfall drücken Sie auf den roten Knopf darunter, aber bitte nur im größten Notfall. Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken anbieten? Ein Mineralwasser bitte. Still. Sie verschwand und ich ließ mich in den einladenden Sessel sinken, nur um gleich darauf wieder aufzustehen und mich nach den Notausgängen und der Toilette umzuschauen. Erst nachdem ich mir ein Bild über dessen Standorte und Entfernung zu mir gemacht hatte, konnte ich mich wieder hinsetzen und mein Handy zum Aufladen an die eingebaute Station schließen. Die Stewardess reichte mir mein Glas Wasser und ging wieder. Vor mir lagen zwei Stunden und ich würde diese zum Schlafen nutzen.

Ich ließ mich in den Sessel sinken und schloss die Augen.

Castles - I hate that you think that I'm weakWhere stories live. Discover now