Etwas, das aussah wie eine schwarze Schlange, glitt über die Planken zurück zu Cornelis. „Beim nächsten Mal besteht dein Rücken nur noch aus Fetzen, wenn du nicht schneller hahlst", schnaubte er, rollte die Peitsche ein und steckte sie in den Hosenbund. „Merk' dir das, du Faultier!"

Dem Gezüchtigten lief das Blut an der Seite herunter, dennoch wagte er keinen Mucks und duckte sich ergeben.

Cornelis' Augen loderten. „Das gilt für euch alle! Wer seinen Hintern nicht bewegt, bekommt es mit meiner Katze zu tun. Seid froh, dass sie nicht neunschwänzig ist. Und los jetzt, tummelt euch!"

Ein vielstimmiges „Aye!" erscholl, und die Männer spurten, als wäre nichts geschehen. Dies galt auch für den geschundenen Matrosen. Er scherte sich nicht um seinen blutenden Rücken, sondern kümmerte sich um das Festmachen der Taue.

Lorena fühlte Mitleid mit ihm, aber mehr noch bewunderte sie seine Selbstbeherrschung. Es lag ein gewisser Stolz darin. Dieser Mann würde frühestens nach dem Ende seiner Schicht den Schiffsarzt aufsuchen. Ihre Handflächen brannten wie Feuer, wie mochte es ihm erst ergehen? Wie gut, dass sie sich schon beim Brassen auskannte, sonst hätte sie bestimmt ebenfalls die Peitsche zu spüren bekommen! Wer würde der Nächste sein?

Der Backsmeister hatte das Tauende, der Profos seinen Stock. Jedoch die Wunden, die eine Peitsche schlug, waren am grässlichsten.

 Jedoch die Wunden, die eine Peitsche schlug, waren am grässlichsten

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Der Wind spielte weiterhin mit ihnen. Ein zähes Ringen zwischen ihm und der Mannschaft der Zeelandia begann. Um nicht vom Kurs abzukommen, waren sie gezwungen, mehrmals zu kreuzen und solange Wendemanöver zu fahren, bis es dem Wind gefiel, das Schiff endlich vorwärtszublasen.

Das hieß Tauziehen, bis die Arme erlahmten. Auch Lorena legte sich jedes Mal kräftig ins Zeug, und am Ende der Prozedur zitterten ihre Hände, die Finger ließen sich kaum noch geradebiegen. Zum simplen Einstecken des Belegnagels benötigte sie mehrere Versuche, hinzu kamen Muskelkrämpfe. Den verkniffenen Gesichtern der Seeleute war anzusehen, dass sie sich ebenfalls damit herumplagten.

Sollten Rolufs düstere Worte, womöglich wochenlang kreuzen zu müssen, Wirklichkeit werden? Es sah ganz danach aus. Die Windböen nahmen zu, gleichzeitig folgte eine klirrende Kälte, als sei die Zeelandia in Richtung Arktis unterwegs. Längst trugen sie die Wollmützen bis über die Ohren gezogen und Handtücher um den Hals gewickelt. Sowohl ihre Jacken als auch Hosen bestanden aus robustem Leinentuch, die zum Schutz gegen Salzwasser und Nässe geölt oder geteert waren.

Als Vorsichtsmaßnahme ließ der Proviantmeister das Trinkwasser rationieren. Für Lorena war es ein Zeichen, dass Bakker mit weiterem Zeitverlust rechnete, und machte sich deswegen Sorgen. Wie sie aber von Rix erfuhr, man würde es mit Meerwasser strecken, war sie beruhigt. Diese Methode kannte sie bereits; auf Strand hatten sie es ebenso gehalten, wenn das Regenwasser in der Zisterne nicht mehr ausreichte.

Mit der Zeit waren die Männer ständig verdrossen, weil sie den verlorenen Seeraum nicht aufholten, obwohl sie beim Segelsetzen schufteten wie die Berserker; sie waren übermüdet, es fielen böse Worte, und sobald sich Cornelis sowie der Profos außer Reichweite befanden, saßen die Fäuste locker. Eine harmlose Rangelei um den besten Schlafplatz artete in einen hitzigen Streit aus und entzündete sich am Ende wie Schießpulver.

Plötzlich hielt einer der Kontrahenten ein Messer in der Faust.

Lorena, die mit Ove in unmittelbarer Nähe die Ankerketten säuberte, sah es aufblitzen. Ove folgte ihrem warnenden Blick, sprang schnell dazwischen und trennte die Streithähne, bekam aber einen Schnitt in den Oberarm ab.

Der Angreifer wollte jedoch immer noch nicht nachgeben und hob erneut das Messer ...

Lorena schrie auf. Er schien kurz abgelenkt ... in diesem Moment tauchte Cornelis aus dem Dunkel hinter ihm auf, riss ihn herum und schlug die Waffe aus der Hand.

Er musste sich heimlich angeschlichen haben, bei der lautstarken Auseinandersetzung und dem spärlichen Licht der wenigen Laternen war das ein Kinderspiel. Er sprach kein einziges Wort. Dafür trat seine „Katze" in Aktion, pfiff und sirrte durch die Luft und trieb den Missetäter vor sich her, hinauf zum Oberdeck.

Kurz darauf schritt der Profos zur Tat, nachdem er sich mit Cornelis beratschlagt und beim Schipper Meldung gemacht hatte. Die Strafe sollte sofort vollstreckt werden.

Die gesamte Mannschaft wurde aufgerufen, sich schleunigst einzufinden. Lorena stellte sich mit ihren Freunden in der hinteren Reihe auf. Ove trug einen Verband um den Oberarm und machte einen zufriedenen Eindruck schließlich hatte er Schlimmeres verhindert –, Janko fixierte aus schmalen Augen argwöhnisch die Szenerie, indes Sjard und Roluf eine gelassene Haltung einnahmen. Ihr Herz klopfte. Zwar kannte sie Sanktionen vom Hörensagen, aber eine solche direkt mitzuerleben, war etwas völlig anderes.

Es herrschte eine gespannte Stille auf dem Schiff, nur unterbrochen vom dunklen Rauschen der See ...

Der Profos hatte die Tatwaffe an sich genommen und hielt sie demonstrativ in die Höhe, während er gemessenen Schrittes voranging, der Delinquent hinterdrein. Am Großmast angelangt, sandte er einen fragenden Blick zum Schipper und zu Thorsson, die Seite an Seite auf dem Achterdeck standen und zusahen. Bakkers gütiges Gesicht schien wie versteinert. Langsam senkte er den Kopf ...

- und der Profos packte die Hand des Übeltäters, drückte sie an den Mast und trieb das Messer mit voller Kraft bis zum Heft hindurch.

Die bisher zur Schau getragene Gefasstheit des Delinquenten zerbrach in einem Aufheulen.

Der Profos erhob die Stimme: „So geschieht es jedem, der seine Kameraden mit dem Messer bedroht! An Bord wird keine Messerstecherei geduldet. Die Klinge bleibt solange stecken, bis er sich selbst losreißt. Damit möge die Schuld gesühnt sein."

Verstohlen blickte Lorena um sich ... in den Mienen der Seeleute las sie nirgendwo Protest oder Empörung, stattdessen eher Zustimmung. „Es ist nur gerecht", murmelte jemand hinter ihr. „Wir sind keine Piraten."  – Dem konnte sie nur beipflichten. Die Strafe schien brutal, aber wie schnell wurde aus einem Geplänkel blutiger Ernst – erst recht, wenn man ständig aufeinanderhockte.

Sie konnte kaum die Augen von dem Verurteilten abwenden, wie er mit seinem eigenen Messer an den Mast genagelt dastand. Er hielt den Kopf vornübergebeugt, das lockige braune Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Die Finger zuckten ... aus der Wunde strömte das Blut in dünnen Rinnsalen.


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🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt