Kapitel 3

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"Was ist los mit dir, Idiot!?"
Bei dem Klang seiner bittersüß vertrauten Stimme zucke ich zusammen. Mit einem Herzen, welches so stark klopft, dass es in Tokyo noch hörbar sein müsste, drehe ich mich langsam in Yamas Richtung.
"Oh... Hallo K-Kageyama. Mit mir ist alles in Ordnung", murmele ich schnell und ohne ihn direkt anzusehen. Langsam schaffe ich es, meinen Herzschlag zu beruhigen und ich traue mich aufzublicken. Sofort begegne ich seinem intensiven Blick und mein Herz beginnt von neuem zu rasen. Wie konnte ich dies nur immer mit normaler Nervosität aus Angst, dass er mich wieder anschreit verwechseln?
"Hältst du mich für bescheuert? Ich seh doch, dass was nicht stimmt! Warum bist du so müde? Du brauchst deine Energie auf dem Spielfeld!" Während er mich anherrscht, hat er mich am Arm gepackt und somit dazu gezwungen, ihn anzusehen.
Er ist nun so nah, dass ich ganz sanft seinen Atem auf dem Gesicht spüren kann. Ich fühle, wie mein Gesicht heiß wird. Ich muss so rot sein, als würde ich gleich platzen. Yama scheint es jedoch für Wut zu halten und wendet sich schnaubend ab.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm hinterher zu sehen. Seine breiten, starken Schultern, seine glatten Haare die so weich wirken, seine markanten Gesichtszüge und seine schönen, blaugrauen Augen, die hell aufblitzen, als er sich noch einmal umdreht und in denen ich mich ewig verlieren könnte. Wenn ich nur seinem intensiven, aussagekräfigen Blick standhalten könnte!
Ich merke, dass ich so in mein Schwärmen vertieft war, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie er mich scheinbar etwas gefragt hat. Nun schaut er mich erwartungsvoll an und ich habe keine Ahnung, was ich antworten soll.
"Siehst du? Genau das meine ich! Du bist komplett neben der Spur! Ich habe dich gefragt, ob du heute wieder  in der Mittagspause mit mir trainierst?", wiederholt er genervt.
"Äh... ja", bekomme ich gerade so herausgepresst.
Der hübsche Junge vor mir nickt und verschwindet um die Ecke. Langsam wird mir bewusst, wie ich mich gerade angestellt habe und dass er mich nun wohl für einen noch größeren Idioten halten muss. Das ist so peinlich! Ich habe das Gefühl, dass es von Tag zu Tag schlimmer wird!

Nur noch 5 Minuten, bis ich in die Mittagspause gehen darf. Ich war so mit Kageyama beschäftigt, dass ich heute ganze 20 Minuten zu spät kam. 20 Minuten, die ich nun absitzen muss. Hibbelig versuche ich meine restliche Zeit zu überstehen und dabei nicht allzu offensichtlich auf die große Uhr über der Tür zu starren. Herr Takeda, welcher heute die Aufsicht hat, beäugt mich kopfschüttelnd.
"Na los, geh schon Volleyball spielen" kichert er und entlässt mich gegen alle Regeln ein paar Minuten zu früh. Wie eine Krähe von einem Feld schieße ich in die Höhe. In Windeseile habe ich meine Sachen achtlos in meinen Rucksack gestopft und schieße aus dem Raum.
"Nicht so rennen!", höre ich noch Takedas Stimme vorwurfsvoll hinter mir verhallen, doch das ist mir egal. Ich stürme durch die große Tür und erschrecke ein paar Krähen auf dem Platz. Als ich in der Turnhalle ankomme, ist Kageyama bereits am Trainieren.
Am liebsten würde ich ihm ewig zuschauen, doch auch mich packt das Feuer bei dem Anblick des fliegenden Balles. Mit einem lauten "Spiel mir zu!" mache ich auf mich aufmerksam, doch statt zu mir zu pritschen, fängt mein Spielpartner den Ball und wendet sich mir zu.
"Du bist spät", stellt er fest und sieht mir einfach unverwandt in die Augen. Sofort fängt mein Herz wieder an wie wild zu pumpen. Ein warmer Schauer durchfährt mich als mir bewusst wird, dass er extra auf mich gewartet und sich keinen Anderen zum Trainieren gesucht hat.
Wie immer üben wir Annahmen. Er macht Sprungaufschläge und ich versuche, die Annahme so sauber wie möglich hinzubekommen. Doch ich kann mich kaum darauf konzentrieren, da jedes Mal, wenn er aufschlägt, sein Trikot ein Stück hoch rutscht und einen kurzen Blick auf seinen Bauch freigibt. Ich bekomme regelmäßig Herzinfarkte und kann nur im letzten Moment noch den Ball erreichen.
"Mann, Hinata! Konzentrier dich und mach die Arme gerade! Und beweg die Beine!", ruft er durch die Halle. Aber bilde ich mir das nur ein, oder wirkt es weitaus weniger schroff als sonst?
"Der König und sein Gefolge", vernehme ich plötzlich Tsukishimas alt bekannten Spott. An Kageyamas Reaktion erkenne ich, dass auch er ihn klar und deutlich gehört haben muss, denn dieser ist beinahe dunkelrot vor Wut und will gerade zu einer bissigen Bemerkung ansetzen, da komme ich ihm schon zuvor:
"Jetzt lass verdammt noch mal diesen Königsscheiß! Yama ist kein egozentrischer Herrscher mehr, auch wenn er vielleicht manchmal noch so wirkt! Er ist generell kein König mehr, er ist ein Vorbild! Du bist schließlich doch nur neidisch, weil er so viel besser ist als du!" werfe ich ihm wutentbrannt an den Kopf.
In dem Moment in dem mir bewusst wird, dass ich ihm gegenüber nicht nur meinen Spitznamen für Kageyama genannt habe, sondern auch viel mehr meiner privaten Gedanken ausgesprochen habe als ich eigentlich wollte, wurde ich wieder einmal tomatenrot. Ein Seitenblick auf meinen Schwarm verrät mir, dass er wohl niemals mit so vielen Komplimenten meinerseits gerechnet hätte. Sein Gesichtsausdruck ist so perplex, dass es richtig süß ist.
"Pfff, Yama!", macht Tsukishima sich lachend weiter über uns lustig und auch das leise "Tsukki..." von Yamaguchi hält ihn nicht ab.
"Na, ihr seid ja schon mitten dabei", begrüßt Trainer Ukai uns, während er am Eingang der Halle seine Schuhe bindet. Auch die restlichen Teamkameraden und Herr Takeda treffen ein. Das Training beginnt.

Nach dem Training beeile ich mich mit duschen um rechtzeitig fertig zu sein, damit ich wieder Yama begleiten kann. Mit einer schwungvollen Bewegung stoße ich die Tür auf und stelle verdutzt fest, dass dieser bereits auf mich wartet. Das hat er noch nie getan...
Den ganzen Weg über laufen wir schweigend nebeneinander her. Zwischen den heimlichen Blicken, die ich ihm zuwerfe, lasse ich meinen Blick über über die schöne Natur schweifen. Ich lausche dem Gesang der Vögel und dem Zirpen der Zikaden und spüre warm die Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Heute ist wirklich ein schöner Tag. Ich genieße es, Yama so nah zu sein ohne, dass es irgendwie aufdringlich wirkt oder komisch ist. Ich genieße es auch, einfach still seine Anwesenheit zu spüren. Ich habe mich fast schon immer viel stärker und sicherer gefühlt, wenn er bei mir war. Jetzt weiß ich auch warum. Wir gehen so dicht nebeneinander, dass ich seine Körperwärme spüren kann. Oh Gott! Am liebsten würde ich jetzt seine Hand nehmen! Doch das geht natürlich nicht und das weiß ich auch. Dennoch schaue ich extra in eine andere Richtung und rücke etwas näher, um eine "versehentliche" Berührung zu provozieren. Mein Plan geht auf. Er stößt beim Laufen sachte an meine Hand, was wie ein elektrischer Schock durch meinen Körper gleitet, und entschuldigt sich gleich darauf. Dabei weiß er gar nicht, was für einen Gefallen er mir damit getan hat. Oder auch nicht, denn jetzt ist der Drang nach weiteren Berührungen noch so viel stärker. Viel zu schnell erreichen wir die dritte Kreuzung.
"Bis morgen"
Was!? Er sagt nicht Idiot? Denke ich, während ich seinen Abschiedsgruß erwiedere. Langsam setzte ich mich auf mein Fahrrad. Ich möchte nicht weg, aber ich muss nach Hause.
"Hinata", höre ich da seine warme, dunkle Stimme hinter mir.
"Danke...", murmelt er kaum hörbar und eine Gänsehaut breitet sich trotz der Hitze auf meinen Armen aus.
Ich merke sofort, wie unangenehm es ihm ist, sich bei mir dafür zu bedanken, dass ich mich heute für ihn eingesetzt habe, also lächele ich nur kurz und fahre davon. Doch sobald ich mich entferne, packt mich die Sehnsucht. Ich will am liebsten heulen...

KageHina: Ein Berg voller Gefühle Where stories live. Discover now