Part 6

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ANNA


"Na, wenn das nicht meine Lieblingsmitschülerin ist."

Innerlich stöhnte ich auf, dann wandte ich den Blick nach rechts, von wo aus die Stimme erklungen war. Ian war soeben die Treppe hinaufgekommen. An seinem verschwitzten Gesicht und dem festklebenden Trainingsshirt erkannte ich, dass er bis eben Joggen gewesen war.

„Willst du mir sagen, dass du zwei Stunden am Stück gelaufen bist?", konnte ich mein Erstaunen nicht verbergen. Was für eine perverse Ausdauer musste man haben, um das zu schaffen?

„Standardprogramm." Ein Handtuch um den Hals gehängt blieb er nur wenige Schritte vor mir stehen. Die Zipfel hielt er mit den Händen fest, deshalb waren seine Arme angewinkelt, und seine Bizepse traten hervor. Ians nackte Haut war von einem glänzenden Film überzogen, der sofort unpassendes Kopfkino in mir weckte. An seinem Hals pochte sichtbar eine Ader. Ich wollte Ian nicht anstarren, aber verdammt, der Anblick eines verschwitzten Sportlerkörpers war einfach sexy. Egal, wem er gehörte. Als Ian die Stirn runzelte, dachte ich zuerst, ich hätte ihn zu offensichtlich angegafft, aber dann fragte er: „Woher weißt du so genau, wie lange ich joggen war?"

„Hab dich von der Dachterrasse aus gesehen", sagte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und wandte mich ihm nun vollends zu.

In seinen Augen blitzte es amüsiert auf. „Du meinst wohl eher, du hast mir heimlich hinterherspioniert, was? Gib's ruhig zu, du wärst nicht die Erste."

„Ähm. Nein. So ist es bestimmt nicht gewesen", schnaubte ich.

Ian ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er kam einen Schritt näher, sodass ich jetzt den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm hochzusehen, und stützte einen Arm gegen die Wand. „Was ich dir übrigens noch sagen wollte: Wenn du das nächste Mal mit Wuschel sprichst, vergiss nicht, den Mund zuzumachen." Seine Stimme troff nur so vor Sarkasmus.

Verdutzt nahm ich die Arme herunter. „Bitte was?"

„Du hast mich schon verstanden." Höhnisch blickte er auf mich herunter, wobei eine Schweißperle seine Schläfe hinabrann. „Ist ein Wunder, dass er nicht ausgerutscht ist, so, wie du ihn gestern angesabbert hast."

„Hast du 'nen Schaden oder was? Ich habe niemanden angesabbert!"

Ganz langsam beugte Ian sich zu mir herunter. Seine blauen Augen blitzten vergnügt. „Zufällig kenne ich mich mit sabbernden Mädchen aus. Wobei ich zwar nicht verstehe, was du an diesem Lappen findest, aber gut. Jedem das Seine. Gesabbert hast du auf jeden Fall."

Einen Moment lang fiel mir nichts dazu ein. Selbst wenn Ian recht hatte, was ging ihn das bitte an? „Danke für diesen überaus wertvollen Hinweis. Kannst du jetzt bitte gehen? Bevor du noch den Boden volltropfst?"

„Gleich. Vorher wollte ich dich noch was fragen."

Misstrauisch verengte ich die Augen. Es konnte ja nur ums Gras gehen. „Und was?"

Unschuldig wie ein Engel lächelte Ian mich jetzt an. „Was machst du heute?" Die Frage kam so unerwartet, dass ich nur ein „Wä?" zustande brachte. Was ich machte? Wollte er mich verarschen? „Die Woche war einfach nur scheiß langweilig, und du bist die Einzige, die ich hier kenne", nutzte er meine Sprachlosigkeit aus, um fortzufahren. „Wenn ich hier nicht bald irgendetwas Spannendes unternehme, bringe ich mich freiwillig um."

Ich fand meine Sprache wieder und schüttelte fassungslos den Kopf. „Verstehe. Und da dachtest du, da wir ja so gute Freunde sind, fragst du ausgerechnet mich? Geht's dir eigentlich noch gut? Freunde dich doch mit einem der Praktikanten an. Vielleicht findest du ja jemanden, mit dem du Leute abwerfen kannst! Im Sportunterricht zum Beispiel!"

BIG little LOVEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt