Vierter Akt

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18. Juli 2026
[03:34 Uhr; Gasthof zum Edelweiß]

Das behutsame Pfeifen des Windes, der sich seinen Weg rastlos durch Berg und Tal schlug, erreichte auch die kleinen Häuser der niedlichen Kleinstadt und rüttelte an den Blättern der Bäume sowie den nur halb geschlossenen Jalousien der geöffneten Dachfenster.
Die nächtlich aktiven Zirpen, deren Melodie jeden Sommer in den Ohren der Menschen schallte und sie somit in einen beruhigenden Sommernachtstraum wiegte wie ein altbekanntes Wiegenlied. Beide Melodien - die des Windes sowie die der Natur - harmonierten im perfekten Einklang miteinander, ganz so, als wären sie Teil eines gigantischen Orchesters, das seine neueste Sinfonie mit aller Kraft und Hingabe darbieten wollte.
Es rauschte, es klingelte, es surrte, schnarchte und schwirrte. Manches nervte, konnte aber gleichzeitig durchaus beruhigend wirken. Der Vollmond leuchtete mit hellem Schein in das altmodische und traditionell eingerichtete Schlafzimmer des abgelegenen Gasthauses herein und erschuf mit seinem sanften Lichterspiel eine Atmosphäre, die einen zunehmend schläfrig und rundum zufrieden stellte. Es tauchte alles in beruhigendes, jedoch sehr kaltes Silber. So kalt, dass es den hellwachen Feliciano beinahe zum Frösteln brachte. Stundenlang rollte er schon im Bett herum, stundenlang versuchte er, endlich den wohlverdienten, heißgeliebten Schlaf zu bekommen, was sich allerdings als sehr schwierig herausstellte. Egal wie sehr sich der junge Italiener auch bemühte, es zu unterdrücken, sein Kopf überflutete ihn jede weitere Sekunde mit Gedanken, Gefühlen und fiktiven Geschehnissen, die ihn daran hinderten einen kühlen Kopf zu bewahren und ins Land der Träume zu flüchten. Sein Schädel brummte fies und wurde allmählich schwer wie Blei, sodass Feliciano oft verzweifelt zu einem Glas Wasser greifen musste, in der Hoffnung, der Schmerz würde verfliegen. Wie falsch er doch lag...

Seit dem merkwürdigen Zwischenfall am Hauptplatz stand Felicianos Welt plötzlich Kopf. Überall, wohin er auch ging, schien ihn etwas wie einen Schatten zu verfolgen, summte ihm süße Phrasen ins Ohr und nistete sich mit einem reißenden Schmerz in sein Herz ein.
Nicht zuletzt löste der spontane Ausflug in das alte, vornehme Haus des lang verstorbenen Vargas' nahezu unkontrollierbare Emotionen in Feliciano aus, die ihn beinahe in einen Nervenzusammenbruch trieben. Jeder gemachte Schritt durch die Gassen, jeder noch so seltsam familiäre Geruch von alten Stoffen und morschen Holzbrettern, selbst die Gesichter und Aufbereitung der Landschaft übermittelten ihm das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Als wäre er selbst vor vielen, vielen Jahren die gleichen Wege gegangen, hätte die Menschen gekannt und schöne Erlebnisse an diesem Ort gesponnen. Als lägen letzten Erinnerungen, Atemzüge und Worte eines zu früh weggeworfenen Lebens alle hier in diesem verschlafenen Tal.

Aber...das war doch unmöglich...oder nicht?

Feliciano wusste es nicht mehr. All diese Hinweise - diese Träume, dieses sachte Klingeln, dieses Schreien seines Herzens - konnten unmöglich reiner Zufall sein. Niemand könnte sich Sachen wie diese ohne Weiteres einbilden; könnte sie spüren, könnte sie leiten. Vor allem, wenn ein einzelner Junge inmitten dieses Chaos immer wieder auftauchte, immer wieder verschwand und letztendlich wiederkam.

Letzten Endes gab die Besichtigung des alten Hauses dem Ganzen den finalen Stoß. Feliciano hatte jeden Winkel gekannt, er hatte instinktiv gewusst, welche Treppen in welchen Raum führten, auch wenn sie diesen nicht besuchten. Selbst welche Holzplanken ein grausiges Knarzen von sich gäben, war ihm bekannt, während die anderen nur mit Staunen die neue Umgebung bewunderten. Es war furchterregend, wie oft ihm Szenarien von früheren Zeiten durch den Kopf schossen; wie lebendig die Bilder vor ihm auftauchten, als wäre sein gesamter Körper in eine realitätsnahe, virtuelle Welt gesogen worden, die ihn davon abhielt zurückzukehren. Je länger sie in dem Anwesen auf dem Hügel verweilten, desto unwohler und aufgeregter hatte Feliciano sich gefühlt. Sein Puls gab nie Ruhe, das Adrenalin, das durch seine Adern strömte, nagte an seiner Geduld und der Wunsch wegzulaufen wurde nach und nach größer. Hin und wieder ertönte das altbekannte Klingeln in seinen Ohren und er würde sich wie jedes Mal danach umdrehen, auch wenn er bereits erwartete, dass es schon wieder nichts wäre. Der Italiener war während dieser Zeitspanne so verdammt ruhig gewesen, dass sich seine Familie bereits Sorgen machte, dass etwas nicht stimmte. Aber Feliciano hatte bestmöglich versucht, all das zu ignorieren, auch wenn es ihn insgeheim sehr verängstigte.

.°♡°.Wiedervereint.°♡°. | GerItaWhere stories live. Discover now