Millings Plan

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"Aufgewachsen bin ich in einer Mietwohnung am Rand einer Kleinstadt.", begann uns Andrew zu erzählen. Carag und ich blieben still und hörten zu. "Ich bekam nur Kleidung aus dem Seconhandladen, alles Sachen, die andere gespendet hatten. Das wir zwar genug zu essen, aber zu wenig Geld hatten, lag daran, dass mein Vater oft nachts jagen ging. Er hatte einen richtigen Killerinstinkt. Ja, den hatte er."

Ich musste an Dad denken. Auch er war früher jagen und hatte mir heimlich etwas mit gebracht. Doch als Mum davon mit bekam, musste er versprechen, so etwas nie wieder zu tun. Ich konzentrierte mich wieder auf Millings Geschichte.

"Wenn er nichts anderes fand, riss er auch mal einen Haushund in der Nachbarschaft. Nicht schade um die Kläffer. Nur leider war er dadurch tagsüber oft müde. Er wurde von seinem Job als Holzfäller gefeuert, fand keine neue Arbeit und begann zu saufen. Das hat ihn ziemlich schnell umgebracht."

Ich schluckte und mitleid regte sich in mir. Deswegen verabscheute er Alkohol. Ich bemerkte wie Carag leicht verstehend nickte. Interessiert fragte ich: "Und ihre Mutter? War sie ein Mensch oder ... so wie wir?" Ich sah mich vorsichtig um, ob jemand unser Gespräch mitbekam, doch die anderen Gäste saßen alle zu weit weg. 

Der Mann nickte leicht. "Ja, sie war auch eine Wandlerin,  aber sie hat sich nur selten verwandelt. Wozu auch? In der Gegend, in der wir lebten, macht das wenig Spaß. Mich zog es immer nach draußen, in den Wald, in die Sierra Nevada, obwohl ich dahin nur per Anhalter gekommen bin. Dort machte ich Fotos mit meiner alten Kamera, die ständig kaputt war. Filme auch. Ich wollte unbedingt Naturfilmer werden."

Während ich mich fragte, wieso er uns das alles erzählte, streute sich Andrew etwas Pfeffer auf die Handfläche und leckte es auf. Carag und ich warfen uns einen kurzen Blick zu. Brennt das nicht? Doch der Mann vor uns zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er schien weit weg zu sein und redete einfach weiter:

"Das bin ich auch geworden. Naturfilmer. Kein Job, mit dem man die Riesenkohle machen kann. Allerdings war ich in der Natur. Konnte mich hin und wieder verwandeln, ohne Ärger zu bekommen."

"Aber...", begann Carag, brach dann aber ab. Offenbar war er so verwirrt wie ich. Was sollte das alles. Warum erzählte uns ein so reicher und einflussreicher Mann wie Andrew Milling von seiner Jugend?

Als das Essen gebracht wurde, verstummten wir drei, damit die Bedienung nichts von unserem Gespräch mit bekam. Milling schien die Bedienung bewusst nicht an zu sehen, als die Teller auf dem Tisch verteilt wurden und sagte nur: "Jetzt halten sie sich bitte fern. Bis wir fertig sind."

Wieder warfen Carag und ich uns einen Blick zu. Andrew schien nicht viel von Menschen zu halten. Warum wohl? Während Carag und ich den Rindergulasch hatten hatte sich Milling für drei scheiben Rinderherz entschieden. Ich sah, wie Carag unauffällig schnupperte und auch mir stieg das Wasser im Munde zusammen. So gut hatte ich seit längerem nicht mehr gegessen.

Doch Milling schien das Essen nicht wirklich war zu nehmen, da er mit leiser Stimme seine Geschichte fortsetzte:

"Bei einem meiner Jobs lernte ich eine der Filmproduzentinnen kennen, eine junge, blonde Frau mit grünen Augen. Evelyn war schön, aber ziemlich kratzbürstig. Ich war begeistert, als sich herausstellte, dass sie auch ein Berglöwen. Wandler war, so wie ich. Sie stammt von Vancouver Island - die Woodwalkers dort sind für ihr Temperament berüchtigt. Innerhalb von ein paar Tagen war ich bis über sämtliche Tasthaare in sie verliebt. Aber ich brauchte eine Weile, um sie zu erobern, weil sie schon einen Freund hatte." Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. "Doch schließlich hatte ich es geschafft. Wir waren verliebt und glücklich zusammen."

"Das klingt schön Andrew.", sagte ich, doch ich bemerkte das auch Carag sich unwohl fühlte, da er rote Ohren bekam. Warum erzählte uns Milling das alles? Er muss doch irgend etwas damit bezwecken.

"Als unsere Tochter June geboren wurde, waren wir noch glücklicher. Somit zogen wir nach Jackson Hole. Wusstest du, das June und du, Leyla, in den gleichen Kindergarten gingen? "

Ich überlegte. "Stimmt. Wir haben ab und an gespielt. Ich wusste das der Nachname mir bekannt vor kam." 

Milling fuhr fort: " Oh ja, Evelyn hatte mir erzählt, dass dein Dad ein alter Schulfreund von ihr war. Evelyn und June unternahmen gerne Ausflüge in die Berge, auch gerne in zweiter Gestalt."

Tränen sammelten sich in seinen Augen. "Und dann kam der verhängnisvolle Tag. Evelyn schlug vor Chris und dich auf einen ihrer Ausflüge mit zu nehmen, doch du warst an diesem Wochenende bei den Eltern deiner Mutter."

Ich hatte eine schreckliche Vorahnung, von welchem Tag er sprach und nahm einen Schluck von meiner Cola um meine Angst zu mindern. Vergebens. 

"Es war damals ein sonniger Novembertag. Ich musste wegen einem Filmauftrag los, doch ich wusste das Chris bei ihnen war. Doch die drei hatten sich so sehr über das gut Wetter gefreut und sind vielleicht unvorsichtig geworden."

Mir stiegen Tränen in die Augen. Nicht nur aus trauer, sondern auch aus leichter Wut. Mum meinte, Dad währe alleine unterwegs gewesen!

Ich bemerkte das Carag einen erschrockenen Blick zwischen mir und Milling wechselte. "Als Evelyn und June nicht zurück kamen ging ich sie suchen, im Wald und bei Chris's Haus. Doch ich fand keinen der drei. Doch zum Schluss hatte ich sie doch gefunden. Und zwar im Internet. Ein Jäger hielt auf einem Foto ganz stolz Chris Körper hoch. Schneeleoparden sind zwar vom Aussterben bedroht, doch das macht sie um so wertvoller. Im Hintergrund sah ich die Körper von meiner Frau und June."

Ich schüttelte den Kopf, Tränen kullerten meine Wange hinab. "Bitte hören sie auf, ich mag davon nichts hören."

Carag nahm meine Hand und drückte sie tröstend. 

Doch Milling fuhr fort. Er war so in Rage, das er seine Krallen und Zähne verwandelt hatte,was echt gruselig war. "Ich habe versucht die Körper zu kaufen, doch Chris hatte er bereits verkauft und mein Geld reichte nur noch für Evelyn."

Nun wusste ich, warum er Menschen hasste. Doch ich war dabei anders, ich hasste nur diesen Jäger, das Monster, welches Dad getötet hatte.

Wie eine wilde Bestie fiel Andrew nun über seine Rinderherzen her. Reflexartig klammerte ich mich mehr an Carags Hand. Nach dem Milling fertig war, fuhr er fort:

"Deswegen wollte ich reich und mächtig werden, damit mich nichts mehr aufhält. Ich hab dich immer im Auge behalten Leyla und ich fand es einen glücklichen Wink des Schicksals, als ich erfuhr, das du und Carag gemeinsam auf die Clearwater High gingen. Ich habe einen Artikel gelesen, über einen Berglöwen, welcher einen Campingplatz angegriffen hatte und hatte gehofft, noch jemanden zu finden, der die Menschen so hasst wie ich. Deswegen hab ich nachgeforscht und dich gefunden Carag."

Carag hatte mir von dem Vorfall erzählt, doch ich wusste, dass es nur ein versehen war. 

"Ich...", wollte Carag einwenden, doch Milling ließ ihn nicht aussprechen. 

"Dann hast du mir etwas von deiner Familie erzählt und ich war ganz sicher, dass wirr das gleiche Schicksal teilen. Es ist ein schlechtes Zeichen, dass du sie nicht findest, fürchte ich."

"Nein!", rief Carag aus und sprang auf. Auch ich stand auf. "Sie sind bestimmt nur abgewandert. Die haben sich ein anderes Revier gesucht! Sie sind nicht tot."

Somit rannte Carag einfach nach draußen und ich  folgte ihm. Ich wollte keine Sekunde alleine mit diesem Monster sein.

Leylas VerwandlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt