So What Next?

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Ich öffne langsam meine Augen. Scheiße! Ich schaue an mir herab. Ich liege total verdreht auf den weißen Fließen der Kabine. Ich betrachte meine Schuhe. Sie sind nicht nur dreckig, nein sie sind auch total kaputt. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich beinahe die komplette Sohle ablöst. Meine Hose sieht aber auch nicht besser aus. Die Jeans ist komplett zerrissen und es grenzt an einem Wunder, dass sie überhaupt noch zusammenhält und nicht auseinanderfällt. Das Tanktop das ich anhabe ist zum Glück unversehrt und die Lederjacke, die neben mir auf dem Boden liegt, hat nur ein paar Verschleissstellen an den Ellenbogen. Ich beachte die Jacke jedoch kaum, denn mein Blick bleibt an meiner Armbeuge kleben. Mein Unterarm ist blutüberströmt und in der Vene steckt noch die Spritze. Fuck! Mit einem Ruck ziehe ich sie heraus und stecke sie in meine Jackentasche.
Als ich mich aufrichten möchte spüre ich einen stechenden Schmerz in meinem Kopf. Boah, was ist denn jetzt los?! Langsam ziehe ich mich an dem Klopapierrollenhalter in eine sitzende Position. Mir wird plötzlich ganz schwarz vor Augen und ich bekomme Panik. Scheiße, ich will noch nicht sterben! Es fühlt sich an als würde sich alles um mich drehen. Mit zitternden Händen taste ich nach etwas festem. Ich bekomme Angst. Angst dass es mich runterzieht. Der Strudel, der mich mit sich zieht, wird immer schneller und ich fange an zu schreien, doch es kommt kein Ton über meine Lippen. Alles wird immer lauter um mich herum. Ich höre Stimmen. "Komm mit!" sagen sie immer und immer wieder. Am Anfang flüstern sie es kaum hörbar, doch sie werden immer lauter, eindringlicher und schneller. Ich halte mir die Ohren zu doch die Stimmen werden noch lauter - "Komm mit!" - ich versuche noch einmal zu schreien, aber keiner hört mich, nicht einmal ich selbst - "Komm mit!" - ich reiße meine Augen noch weiter auf, doch alles um mich herum ist schwarz - "KOMM MIT!" - ich fange wieder an mit meinen Händen nach etwas zu greifen, doch meine Finger verkrampfen sich - "KOMM MIT!" - mit aller Kraft drücken mein Zeigefinger und mein Mittelfinger gegen meinen Daumen - "KOMM MIT!" - bitte Hand, mach doch nur einmal was ich will! - "Komm mit!" - die Stimmen werden leiser und langsamer. Ich schaffe es mich mit einer Hand an der Türklinke und der anderen an dem Klopapierrollenhalter festzuhalten. "Komm mit!" - endlich habe ich das Gefühl nicht weiter in den Strudel gezogen zu werden. Mit aller Kraft halte ich mich fest und merke wie mir Schweiß von der Stirn in die Augen fließt. Meine Augen fangen an höllisch zu brennen und Tränen laufen meine Wangen hinunter. Die Stimmen verstummen und ich höre nur noch ein stumpfes Dröhnen in meinen Ohren. Langsam öffnet sich in der Mitte meines Blickfeldes ein heller Punkt, welcher langsam wächst. Mit dem wachsen des Punktes verschwindet das Dröhnen.
Ich sitze stumm, starr und schweißgebadet auf dem Boden und starre auf einen weißen, noch nicht vollgemalten Punkt der Türe.
Was zur Hölle war das? Ich ziehe mich hoch und bleibe schwankend stehen. In Zeitlupe bücke ich mich um meine Lederjacke aufzuheben. Wie lange ich wohl bewusstlos war... Vorsichtig öffne ich die Türe, trete in den Gang und laufe mit zitternden Knien zu den Waschbecken. Ich drehe den Wasserhahn auf und lasse die kalte, dreckige Brühe über mein Gesicht laufen. Ich drehe den Wasserhahn wieder zu, stütze mich mit den Händen auf dem Rand des Waschbeckens ab und schaue in den Spiegel. Was zum Teufel... Ich erkenne mich fast nicht wieder. Meine Haut ist fahl, fast weiß. Meine Augen stechen aus dem plötzlich so schmalen, kantigen Gesicht heraus. Mein Kinn ist spitz geworden und meine Wangenknochen, in Kombination mit den tiefen Augenringen, lassen mich wie eine wandelnde Tote aussehen. Ich habe bestimmt zehn Kilo abgenommen. Die Haare stehen in alle Richtungen, das sonst passende Tanktop hängt um meinen Körper als würde ich zweimal reinpassen. Kurz gesagt: Ich seh einfach beschissen aus.
Wieder bleibe ich bei meinen Augen hängen. Ich starre hinein und sehe - nichts! Keine Emotion, keine Gefühle, keinen Charakter, keinen Menschen. "Drogen rauben Dir alles: Dein Geld, Deine Gesundheit, Deine Freunde, Deine Familie und Deine Persönlichkeit. Tu Dir selbst den Gefallen und fang nie damit an". Ich habe gelacht über diese Worte und mir das erste Mal Heroin gedrückt. Chris hatte damals schon recht, aber naiv wie ich war habe ich ihm das nie geglaubt. Wie hätte ich ihn auch ernst nehmen können? Er ist die Person die mich zu der ganzen Scheiße gebracht hat! Er ist der, der mir das Zeug verkauft! Scheiß doch auf Chris! Dann war er halt deine erste große Liebe, und?! Verdammter Wichser, hat Dir nur Scheiße angetan! Und an der ganzen Scheiße hier ist er auch Schuld! Wut staut sich in mir auf. Ich unterbreche den Blickkontakt, drehe mich um und kicke gegen den Mülleimer. "Verdammte Scheiße!", schreie ich und trete wie wild geworden auf den Eimer ein. Tränen der Wut steigen mir in die Augen. Er hat mich fast umgebracht! Was wäre wenn ich nicht mehr aufgewacht wäre? Verfickte Scheiße, Chris hat mich mit seinem scheiß H fast umgebracht! Ich breche zusammen und umschlinge meine Beine mit meinen Armen. Die Tränen der Wut wandeln sich um in Tränen des Selbstmitleides. Wie konnte ich nur so tief sinken? Wie konnte ich nur so naiv sein? Ich sitze eine ganze Weile so da und starre auf den Mülleimer der zertreten vor mir auf dem Boden liegt. Ich muss unbedingt aufhören bevor es zu spät ist. Ich werde keine Drogen mehr nehmen. Punkt.
Ich stehe auf, trete aus der Toilette und bahne mir den Weg durch das Rainbow. Es scheint schon sehr spät zu sein, es sind kaum noch Leute da. Ich trete raus auf die Straße und sauge die kühle Nachtluft in meine Lungen. Mein Blick fällt sofort auf einen großen Müllcontainer. Jetzt machen wir es offiziell! Beim Container angekommen greife ich in meine Jackentasche um mein Spritzbesteck herauszuholen. Das wird entsorgt und dann bin ich clean. Ich grinse fröhlich in mich herein. In einem hohen Bogen fliegen der Löffel, das Feuerzeug, das Stoffband und die Spritze in den Container. Moment...was.... Ich greife erneut in die Tasche und ziehe ein kleines Plastiktütchen heraus. Gerade als ich es ebenfalls entsorgen will halte ich inne. Du kannst doch nicht... Es wäre ja schade... Und das eine Mal? Kraftvoll ziehe ich mich hoch und schon sitze ich auf dem Rand des Containers und lasse mich hereinrutschen. Wo hab ich denn, wo hab ich denn... Voller Stolz, dass ich ja morgen schon clean bin koche ich mir den letzten Schuss auf. Es ist ja eh kaum Stoff... Im Vergleich zu dem letzten Schuss ist das nicht einmal die Hälfte! Ab morgen bin ich endlich clean! Überglücklich spritze ich mir die Droge und mache es mir in dem Container bequem. Ich merke erst jetzt wo das H wirkt wie müde ich bin und schließe die Augen.

Nothing lasts forever Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz