Doch noch jemand anderes war schneller, holte sie am Friedhofstor ein. Iwe!

Er trat ihr in den Weg. Eine verlegene Röte huschte über sein Gesicht. „Ich weiß, das ist hier nicht einfach für dich - willst du nicht lieber zu uns kommen?", fragte er.

„Du meinst ...?"

„Ich meine, dass du künftig bei Eilien und mir wohnen kannst. Auf Süderoog, deinem neuen Zuhause. Ich weiß, dass Hauke und ich im Streit auseinandergegangen sind ... leider blieb für eine Versöhnung keine Zeit mehr - das reut mich! Und du musst jetzt an dich denken - du kannst in der verfallenen Hütte nicht allein bleiben. Und ... ich kann eine Gehilfin brauchen, die sich gut im Watt auskennt ... damit verdienst du dein eigenes Geld. Du bist und bleibst frei!" Warm und sicher klang seine Stimme.

Sie biss sich auf die Lippen, sonst wäre ihr ihr der Mund vor Staunen offengestanden. Ausgerechnet Iwe!

Eyla eyla fresena.

Indessen war auch Eilien, leicht außer Atem, nachgekommen. In ihren Augen stand ein flehentliches „BITTE!"

Lorena war hin- und hergerissen; hier und jetzt fühlte sie sich etwas überfordert. Wie sollte sie sich bloß entscheiden? Sie wandte sich an die Freunde: „Was meint ihr dazu?"

„Was immer du auch tun willst", erwiderten alle fast gleichzeitig. In der Sonne blitzte der Bernstein an ihren Hälsen wie Leuchtfeuer.

Ihr schien es wie ein Versprechen ... was auch immer passierte, sie war nicht allein! Ihre Anspannung löste sich; plötzlich konnte sie ganz klar denken. Die Aussicht auf ein Leben in dieser Hütte, die immer noch Haukes Anwesenheit atmete, behagte ihr ohnehin nicht. So war sie dankbar für Iwes Vorschlag, und meinte: „Gib mir zwei Tage Zeit, darüber nachzudenken. Und vielleicht zu packen. Habe nicht viel."

Iwe nickte. „Gute Idee! Du kannst aber so oder so zu uns kommen. Hast du deine Sachen dabei, ist es das ein Zeichen, dass du bei uns bleiben willst. Wenn nicht, auch gut. Es steht dir stets frei, zu entscheiden."

„Gerne."

„Wir laden alles in mein Boot", sprang Janko bei. „So brauchen wir nicht auf Ebbe zu warten."

„Und in Haukes - äh, mein Boot", sagte Lorena.

Eigentlich stand ihr Entschluss bereits fest. Sie nutzte die restliche Zeit, den Hausrat, Wäsche und Kleider zusammenzuräumen und einzupacken. Aber wohin eigentlich mit dem Pferd? Das sollte sie vielleicht Tjark oder Sieverd überlassen. Bei ihnen würde es immer genug Futter und einen warmen Stall bekommen, das hatte sich das treue Tier redlich verdient. Der Karren allerdings, mit dem sie den Torf transportiert hatten, taugte nicht mehr viel, unter anderem waren die Radspeichen beschädigt. Vielleicht hatte Iwe aber doch noch Verwendung dafür, und die wenigen Möbel konnte er mit seinem Wagen abholen. Nur den Lehnstuhl, auf dem Hauke zuletzt oft gesessen hatte, mochte sie nicht mitnehmen, der konnte dort stehen bleiben, wo er stand. Bestimmt fand er bald einen anderen Eigentümer.

Und dann war da noch Fenja. Wie bloß schaffte sie das Huhn zur Hallig? Keinesfalls durfte sie frei fliegen - oder sollte sie ihr die Freiheit geben? Aber wo würde Fenja am Ende landen? Gewiss irgendwo und irgendwann in einem fremden Topf ...

„Du bist kein Suppenhuhn", sprach sie zu Fenja, die bisher die Räumungsaktion aufmerksam verfolgt hatte. „Du bekommst was Besseres, ich versprech's dir."

Fenja gluckste dreimal wie bestätigend.

„Na schön, dann lass mich mal machen ..." Grübelnd ging Lorena durch die Räume und betrachtete das Durcheinander. Dabei fiel ihr Blick auf eine Kiste, die genau die richtige Größe besaß - sie war nicht zu groß und nicht zu klein. Kurzentschlossen packte sie den Inhalt wieder aus, stopfte alles in eine Decke, verknotete die Enden. Dann nahm sie sich die Kiste vor. „Vertrau' mir", sagte sie dabei. „Ich bohre ein paar Löcher hinein, dann kriegst du Luft. Die Fahrt dauert ja nicht lang."

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now