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HARLEY

Mit einem selbstbewussten Grinsen lief ich auf den Schulhof und spürte Blicke auf mir. Gerade überrascht war ich nicht. Alle hier müssten mich wahrscheinlich noch kennen. Schließlich war ich immer diejenige, die die Flure unsicher gemacht hatte, meist böse dreinschaute aber trotzdem manchmal heimlich vor sich hin summte.

„Harley Pierce? Ich dachte sie hätten unsere Einrichtung endgültig verlassen. Wollten sie nicht zusammen mit der Familie ihres Bruders an die Ostküste ziehen?", wandte sich unsere Sekretärin an mich, als ich durch die Tür in ihr Büro trat.

Perplex schaute ich sie an und legte meinen Kopf schräg. Was haben dieses Idioten der Schule bloß erzählt? - Egal. Ich musste jetzt einfach mitspielen und mir eine Ausrede einfallen lassen.

„Wissen Sie Miss Montgomery, mein Bruder und seine Familie haben sich dagegen entschieden umzuziehen. Sie hängen so sehr an dieser wundervollen Stadt und außerdem wäre es doch tragisch die ganzen Freunde zurückzulassen. Sie verstehen das doch bestimmt, oder?", antwortete ich daraufhin und setzte ein perfekt gespieltes Lächeln auf. Miss Montgomery hängt sehr an dieser Stadt. Schließlich ist ihr Mann Mitglied im Stadtrat und sie ist immer an Veranstaltungen der Stadt zu sehen.

„Das kann ich natürlich allzu gut verstehen. Ich könnte diese Stadt auch niemals verlassen. Heißt das also, dass sie unsere Schule wieder besuchen wollen Miss Pierce?", fragte sie nun und lächelte mich zufrieden an.

Doch ich hatte ich nur mit einem halben Ohr zugehört. Meine Gedanken hingen bei meinem Bruder, den ich auf den Tod nicht leiden kann. Hat er der ganzen Sache etwa zugestimmt? Die Schule brauchte doch bestimmt eine Bestätigung seinerseits. Natürlich kann ich ihn nicht leiden und das beruht auf Gegenseitigkeit, aber war ich ihm wirklich so egal?
Leicht niedergeschlagen schaute ich auf den Boden.

„Miss Pierce, ist alles in Ordnung bei Ihnen?", meldete sich nun Miss Montgomery wieder zu Wort.

„Ehm, natürlich. Alles in Ordnung. Nennen Sie mich ruhig Harley das genügt mir. Und ja, ich würde sehr gerne wieder hier zur Schule gehen. Ich weiß, dass ich die ersten, fast, zwei Wochen bereits verpasst habe, aber ich werde mich bemühen den Stoff schnellstmöglich aufzuholen."

„Daran habe ich keine Zweifel, Harley. Ich denke der Schulleiter hat auch nichts dagegen. Leider ist er gerade in einem Gespräch mit dem Elternrat. Es steht doch bald der Mottoball an und sie gehen gleich die eingegangenen Vorschläge der Schüler durch", sagte Sie und deutete danach auf ein großes Glasgefäß mit zusammengefalteten Zetteln darin. Dem Anschein nach konnte man seine Idee einfach auf einen Zettel schreiben und ihn hineinwerfen. Klingt simpel.

„Darf ich?", fragte ich und schaute in Richtung Gefäß.

„Natürlich, aber fass dich kurz, ja? Ich muss das Glas gleich in die Versammlung bringen."

Während ich mir einen Zettel und einen Stift neben dem Gefäß nahm, teilte mir Miss Montgomery mit, dass ich noch eine Unterschrift meines Bruders bräuchte und Sie mir dann eine E-Mail zukommen lassen wird. Dann warf ich meinen Zettel in das Glas.

Ich nickte nur als Antwort und lächelte noch einmal, bevor ich mich von ihr verabschiedete und aus dem Raum trat. So sehr ich es auch wollte und versuchte, meinen Bruder bekam ich nicht aus dem Kopf. Vielleicht ist er wirklich an die Ostküste gezogen. Das heißt, dass Cody dort auch ist. Mein kleiner Bruder Cody.

Für mich fühlte es sich so an, als hätte ich ihn jahrelang nicht mehr gesehen. Dabei waren es nur fünf Monate. Doch wenn man bedenkt, dass ich drei davon unfreiwillig nicht da war klingt es vielleicht gar nicht mehr so schlimm.

Aber was erzähle ich da nur. Es ist und bleibt schlimm. Verdammt nochmal, warum war ich damals nicht stark genug. Doch was mich am meisten verletzt ist, dass niemand nach mir gesucht hat. Nicht im Entferntesten hätte ich geglaubt, dass ich so lange weg bin oder so schnell vergessen werde. War ich wirklich so leicht zu vergessen? Ich hatte so viele Fragen, aber vor allem hatte ich Angst. Panische Angst.

Devils don't flyWhere stories live. Discover now