shortstory: a night in a life

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Ich stehe am Geländer an der Brücke und schaue hinunter. Ganz leise kann ich die kleinen Wellen des Flusses ans Ufer schwappen hören, aber sehen kann ich nichts, dafür ist es viel zu dunkel. Ich weis aber genau, wo die Ufer sind und wie sich der Fluss weiterschlängelt, so oft stand ich schon hier und habe hinuntergeblickt. Als Kind habe ich oft am Flussufer gespielt, doch irgendwann wurde dieser Ort nur noch trostlos.

Ich atme tief ein und klettere über das Geländer. Das war es also. Nur noch einen Schritt...

„Es ist Zeit", sagt eine Frau hinter mir.

Ich drehe meinen Kopf. Was macht sie hier? Niemand ist hier nachts nach Mitternacht, niemand, außer denen, die springen wollen.

Ich bin verwirrt, also frage ich nur: „Wofür?" Will sie mich zum Springen drängen?

Sie zuckt nur mit den Schultern und dreht sich um. „Vielleicht eine Tasse Tee?" Sie blickt noch einmal über ihre Schulter, schaut mich an und erklärt: „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit."

Ich weis gar nicht, was mit mir los ist, aber ich klettere wieder zurück. Ich hatte mich doch fest dazu entschlossen zu Springen. Doch diese Frau hat etwas an sich. Ich habe das Gefühl, das sie extrem enttäuscht wäre, wenn ich springe und sie wirkt so, als würde man sie lieber nicht enttäuschen.

Ich jogge ein paar Schritte, um zu ihr aufzuholen. Von Nahem wirkt sie deutlich jünger. Sie ist keine zehn Jahre älter als ich.

„Was machst du hier so spät?", frage ich.

Sie nimmt meinen Arm und hakt mich unter, sodass wir Arm in Arm gehen. „Nun ja, wie es scheint war ich ja genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort."

Schlechte Antwort, aber egal. Wenn sie mich entführen und umbringen wollen würde, hätte sie mich nicht vom Springen abgehalten.

„Weist du, wo hier noch etwas geöffnet hat? Irgendwo, wo wir Tee bekommen?", fragt sie.

Ich denke nach. „Das einzige, was jetzt noch geöffnet hat, ist die Tankstelle, die ist nicht weit von hier."

Sie nickt und wir laufen weiter.

„Du bist nicht von hier?"

Sie schüttelt den Kopf. „Aber genug Fragen zu mir. Was hast du da oben getan?"

Ich zucke mit den Schultern. „Es gibt niemanden mehr. Niemand, der um mich trauern würde, der mich vermissen würde. Und ich vermisse sie alle so sehr. Ich habe die Uni geschmissen, um Geld zu verdienen und hänge in einem miserablen Job fest. Mein Leben ist beschissen."

„Niemanden? Nicht mal deine Eltern?"

Ich schüttle meinen Kopf. „Sie sind vor ein paar Jahren gestorben. Autounfall."

„Und heute ist ihr Todestag." Es war keine Frage, eher eine Feststellung.

Tränen steigen mir in die Augen. „Ja."

Sie streicht mir liebevoll über die Schulter. Wir sind inzwischen an der Tankstelle. Wir gehen rein und stehen an der Kasse.

„Einen Früchtetee, bitte", sage ich zu dem Kassierer. Dann drehe ich mich zu der Frau: „Was willst du?"

„Ich will doch nichts, aber du solltest noch eine Schokolade nehmen, die hilft."

Also lege ich noch eine Tafel Schokolade auf den Tresen und bezahle. Zum Glück habe ich noch einen zerknüllten Geldschein in meiner Hosentasche gefunden.

Wir gehen wieder raus.

„Und was ist mit deinem Job?", fragt sie.

Ich nippe an meinem Tee, aber er ist immer noch zu heiß. „Ich arbeite in einem kleinen Büro als Assistenz. Ich kopiere eigentlich den ganzen Tag Dokumente. Manchmal darf ich sogar Kaffee kochen. Richtig spannend."

A night in a lifeWhere stories live. Discover now