Die Geschichte des Myers Hauses

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Es war bereits 10 Uhr Abends und schon ziemlich finster. Vereinzelte Kinder liefen immer noch mit ihren gruseligen Kostümen, Süßigkeitentüten und Raketenböllern durch die dunklen Straßen von Haddonfield, die nur teilweise spärlich von einer Straßenlaterne beleuchtet wurden. Valerie sah staunend aus dem Fenster des Autos, um diese Kids zu beobachten, doch ihr Vater fuhr eiskalt an ihnen vorbei, als ob es ihn nicht interessierte, dass diese Kids zu so später Stunde noch draußen waren.

"Wohin fahren wir genau?", wagte das junge Mädchen endlich die Frage zu stellen, die ihr schon seit Beginn der Fahrt auf der Zunge gelegen hatte. Michael reagierte nicht auf die Frage und starrte weiter gerade aus, während er begann, mehr Gas zu geben. Die gesamte Fahrt über hatte er schon nichts zu Valerie gesagt und das Mädchen beschlich nun ein seltsames Gefühl von Unbehagen. Was hatte ihr Vater vor? Und wieso sprach er kein einziges Wort? Konnte er vielleicht gar nicht sprechen? Valerie beschloss einfach still zu sein und dem Mann, der sie vor ihrem brutalen Adoptivvater beschützt hatte, zu vertrauen. Um sich von der Langeweile abzulenken, schaute Valerie immer wieder zum Fenster hinaus. Haddonfiel bestand regelrecht aus niedlichen kleinen Wohnsiedlungen, durch die lange Straßen liefen. Jedes Haus, das nebeneinanderlag, glich dem Nachbarn wie ein Ei dem anderen. Valerie fühlte sich jetzt schon wohl hier und hatte das Gefühl, dass diese kleine Stadt ihr neues Zuhause werden könnte, mit ihrem richtigen Vater an der Seite. Irgendwann hielt er plötzlich an und stellte den Motor ab. Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch sprang Valerie aus dem Auto, wurde jedoch sofort stutzig, als sie vor einem Gebäude stand, dem regelrecht nur noch geholfen werden konnte, wenn man es abriss. Von weitem konnte das Mädchen erkennen, dass die meisten Holzbretter Morsch waren und im Dach waren bereits einige Löcher erkennbar. Fragend drehte sie sich zu Michael um, doch dieser spazierte schnurstracks auf das Haus zu. Ohne sich umzudrehen, hob er eine Hand und winkte als Zeichen, dass sie mit ihm kommen sollte. Für einen kurzen Moment regte sich in Valerie der Gedanke, einfach umzudrehen und wegzulaufen, doch sie warf den Gedanken schnell beiseite, atmete nochmal tief durch und spazierte durch das Grundstück auf die Tür zu. Mit weichen Knien betrat sie das uralte Haus, das aus dem Jahr 1916 stammen musste, so alt wie es aussah. Während das junge Mädchen gedanklich weiter rätselte, wie alt das Haus sein könnte, war Michael bereits in den ersten Stock gelaufen. Mit staunenden Augen sah sich Valerie im Haus um, bis sie im Wohnzimmer, wie sie vermutete, ein uraltes, verstaubtes Familienfoto entdeckte. Sie pustete einmal kräftig, was sie besser gelassen hätte, denn das hatte den ganzen Staub aufgewirbelt, der nun in ihrer Nase und ihrem Hals kratzte. Sie nieste dreimal kräftig, bevor sie diesmal ihre Hand benutzte, um die meterdicke Staubschicht von dem Bild zu entfernen. Eine Frau, um die Mitte 30 lächelte ihr entgegen, während sie ein Baby auf dem Arm hielt. Neben ihr stand ein Mann, der so um die 40 sein müsste. Er hatte seinen rechten Arm um die Frau geschlungen und die linke Hand hatte er auf die Schulter eines blonden Jungen gelegt, der auf dem Bild nicht älter als 10 sein konnte. Neben ihm stand ein Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter sein musste. Sie hatte das gleiche blonde Haar wie der Junge und lächelte ebenfalls in die Kamera. Doch bei dem Blick des Jungen wurde Valerie mulmig zumute. Er lächelte zwar ebenfalls, aber in diesem Lächeln lag mehr. Hinter diesem Lächeln verbarg sich etwas Böses, das konnte das Mädchen deutlich spüren. Vielleicht lag es aber auch an den Augen. Diese dunklen Augen, die sie ebenfalls hatte. Dieser Junge auf dem Bild musste ihr Vater gewesen sein. Wie paralysiert starrte sie auf das Bild, bis sie unten beim Bilderrahmen eine Schrift entziffern konnte.

Deborah Myers, zusammen mit ihrem Ehemann Ronnie Myers und ihren Kindern Judith Myers (16 Jahre alt), Michael Myers (6 Jahre alt) und Ruby Myers (2 Jahre alt)

Also hatte sie mit ihrer Theorie Recht gehabt. Der Junge war tatsächlich ihr Vater gewesen! Diese Augen faszinierten Valerie und nahmen sie in ihren Bann. Irgendwann, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, spürte sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter und als sie hoch sah, erkannte sie die weiße Maske ihres Vaters, die in der Dunkelheit zu leuchten schien.

"Bist du hier aufgewachsen, Dad?", flüsterte Valerie und nahm die eiskalte Hand ihres Vaters, die von Narben ebenfalls total entstellt war. Michael nickte kaum merklich und Valerie verstand. Deshalb war ihm das alte Haus, das schon fast in sich zusammenfiel, so wichtig!

"Was machen wir hier?", fragte Valerie neugierig. Eine Zeitlang war es vollkommen still in dem dunklen Raum. Bis auf das Schnaufen ihres Vaters war kein einziges Geräusch zu hören, geschweige denn eine Bewegung zu vernehmen. Erst nach einigen Sekunden nahm Michael die Hand seiner Tochter und führte sie hinter sich her die Treppe nach oben in ein Zimmer. Dem alten Schminktisch nach zu urteilen, musste das Zimmer einem Mädchen gehört haben. Etwa dem Mädchen von unten auf dem Foto? Michael trat an den Tisch heran und zog aus einer Schublade mehrere uralte Zeitungsartikel von 1963 bis 1999 heraus. Auf dem ersten war ein totes Mädchen zu sehen, das Valerie eindeutig als die auf dem Familienfoto identifizieren konnte. Unter dem Bild standen folgende Zeilen:


In der Halloweennacht am 31. Oktober 1963 wurde ein 16 Jahre altes Mädchen tot in ihrem Zimmer aufgefunden. Ihren Wunden nach zu urteilen, war sie mit 17 Messerstichen im Brust-und Bauchbereich getötet worden. Bei dem Opfer handelt es sich um Judith Myers (16 Jahre alt), wie sich später herausstellte. Täter des Mordopfers ist der 6-jährige Bruder Michael Myers, der zu seiner Tat nicht stehen wollte. Der Junge wurde zur Sicherheit in eine Sicherheitsanstalt gebracht, um sich selbst und alle anderen um ihn herum zu schützen.

Valerie riss vor Staunen die Augen auf. Sie konnte nicht fassen, was sie da tatsächlich las. Sie nahm den nächsten in die Hand, auf der ein schwarz weiß Foto abgedruckt war. Darauf waren zwei Leichen zu sehen, die mit einem Leinentuch verdeckt worden waren. Polizisten und Ärzte standen um die Leichen herum. Valerie las den kurzen Textausschnitt.

Michael Myers konnte nach 15 Jahren Aufenthalt im Smiths Grove fliehen und war nach Haddonfield zurückgekehrt. Dort brachte er zwei 17-jährige Mädchen sowie den Freund eines der Mädchen um. Den Grund für seine Rückkehr hatte vorerst niemand erahnt, doch sein jahrelanger Arzt Doktor Sam Loomis, der seinem Patienten bis hierher gefolgt war, hatte schlussendlich mit seiner Theorie Recht gehabt. Noch am selben Abend wurde eine weitere Jugendliche im Haus ihres Babysitterkindes verletzt. Sie hatte zuvor noch die beiden Kinder gebeten zu fliehen und Hilfe zu holen, bevor er sie angegriffen hatte. Jetzt ist Michael Myers noch immer auf der Flucht, nachdem er von Sam Loomis sechs Mal angeschossen worden war.

Valerie nahm sich noch einen Artikel.

Michael Myers ist nach drei Jahren nach Haddonfield zurückgekehrt, nachdem alle gedacht hatten, dass er bei der riesigen Explosion, die sein eigener Arzt verursacht hatte, gestorben war. War es Zufall, dass es sich wieder um eine Halloweennacht handelte? Auch in dieser Nacht hatte Myers versucht, seine eigene Schwester zu töten. Bei dem Opfer handelte es sich um die inzwischen 20-jährige Laurie Strohde, die nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern von der Familie Strohde im Alter von 3 Jahren adoptiert worden war. Wir kennen Michaels Gründe nicht, doch eines steht klar fest: Michaels feste Absicht ist es, seine letzte lebende Schwester, genauso wie die Ältere zuvor, umzubringen.


Valerie sah von den Artikeln auf und zu ihrem Vater, der einfach nur breitbeinig dastand und keinen Mucks von sich gab, bis auf sein Schnaufen. Das Mädchen ließ die Artikel auf den Holzboden fallen und ging geradewegs auf Michael zu.

"Dad, bitte lass mich dir helfen. Zusammen schaffen wir das. Zusammen können wir Tante Laurie töten.", meinte sie mit einer gefährlich ruhigen und drohenden Stimme, die jedem normalen Menschen Gänsehaut bereitet hätte. Doch ihnen beiden nicht. Sie waren keine normalen Menschen. Michael sagte zwar kein Wort, zog jedoch sein Fleischermesser aus der Hosentasche seines Blaumanns, drehte sie in seiner Hand, sodass er nun die Spitze der Klinge festhielt und überreichte es Valerie, die es ehrfürchtig entgegennahm. Ein letztes Mal sah sie zu dem Bild ihrer Tante, bevor sie sich die schwarze Kapuze ihres Hoodies über den Kopf zog und das Messer in den Tiefen der eingenähten Tasche verschwinden ließ.

Die Rache der Myers TochterOù les histoires vivent. Découvrez maintenant