+ Kapitel 27: If you were lying by my side now +

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Oktober 2019


Aufstehen, ins Krankenhaus fahren, erfahren, dass alles gut war und dass Victoria aufgewacht war und dass wir alle nach Hause konnten. Genau das erhoffte ich mir jeden Tag seitdem ich das erste Mal zu Victoria gedurft hatte, aber es lief ganz, ganz anders. Es war eher ein Aufstehen, Fertigmachen, bei meinen Eltern vorbeischauen, zum Krankenhaus fahren, erfahren, dass es nichts Neues gab, bei Victoria sitzen, bei der Kleinen sitzen, wieder zurück, wieder hin und her, abends nach Hause kommen und fertig ins Bett fallen. Es hatte sich also nicht wirklich etwas geändert.
Victoria wachte nicht auf, sie schlief weiter ihren Dornröschenschlaf und die Ärzte wussten einfach nicht, wieso sie nicht aufwachte. Sie sagten nur, sie brauche wohl noch Zeit. Aber mehr wussten sie auch nicht und wenn ich den ganzen Tag nur an Victorias Seite gewesen wäre, dann wäre ich komplett durchgedreht, so viel war sicher.
„Guten Morgen Prinzessin", hauchte ich so aber, als ich von Victoria rüber zur Frühchenstation gelaufen war und nun vor meiner kleinen Tochter stand. Dann nickte ich den Krankenschwester im Raum zu.
„Guten Morgen Mr. Ball", wurde ich begrüßt und ich schmunzelte.
„Immer noch Connor. Hat sich irgendwas getan?", fragte ich und ging rüber zum Waschbecken. Hände gut waschen und desinfizieren, bevor ich mit meinen Händen in den Brutkasten durfte. Keine Risiken eingehen. Ihr ging es zwar schon viel besser und ihr Immunsystem war besser geworden, aber ich wollte nichts tun, was das gefährdete.
„Ich glaub ihre Tochter kann bald mal für ein paar Minuten aus ihrem Glaskasten raus", kam eine der Krankenschwester auf mich zu, während ich mich neben meine Tochter gesetzt und meine Hand durch die Öffnung nach drinnen gestreckt hatte. Sie schlug immer so gerne in meine Richtung, wenn sie merkte, dass ich da war. „Wenn Sie heute Nachmittag Zeit haben können Sie sie für eine viertel Stunde auf der Brust liegen haben", ergänzte sie und das war die erste gute Nachricht seit Tagen. Und ich lächelte ehrlich.
„Das wäre toll", erwiderte ich und blickte dann zu diesem viel zu kleinen menschlichen Wesen.
Es war viel Zeit vergangen seitdem sie geboren wurde. Eine ganze Woche. Und sie sah immer noch so zerknautscht aus wie am Anfang.
„Wie geht es Ihrer Frau? Gibt es schon Anzeichen, dass sie bald wieder aufwacht?", redete die Krankenschwester, Mrs. Marble, weiter mit mir und ich war ihr sehr dankbar. Dass sie da war und sich um meine Tochter kümmerte und mir nebenbei auch noch so viel erzählte und Tipps gab. Worauf ich achten sollte und was man am besten tun sollte mit einem Frühchen und und und. Und ich fühlte mich nicht mehr ganz so hilflos wie vor einer Woche.
„Es hat sich nichts verändert und keiner weiß wieso. Bleibt wohl ein Rätsel", erwiderte ich und schaute wieder zum Brutkasten. Ein paar der Kabel und Schläuche waren verschwunden und es wurde ein so viel schöneres Bild.
„Geben Sie nicht auf. Bei manchen Patienten dauert es ein wenig und nach dem, was ihre Frau alles mitgemacht hat, braucht sie vielleicht ein wenig mehr Zeit, um sich zu regenerieren", versuchte sie mich aufzumuntern und ich lächelte sie an.
„Danke. Das hoffe ich", stimmte ich ihr zu. Ich hatte in letzter Zeit zu wenig Hoffnung in all das hier gesetzt. Vielleicht sollte ich mehr damit anfangen.
„Sehr gut. Haben sie heute um 15 Uhr schon was vor? Ansonsten können wir mal probieren, die Kleine zu ihrem Vater zu bringen, nicht?", schlug sie dann vor und ich nickte.
„Das klingt hervorragend!"


‚Ich hatte deine Tochter heute zum ersten Mal im Arm. Und du musst aufwachen, Victoria. Du musst sie einfach sehen!' (Ich, 15:45)



„Das ist also meine Enkeltochter", stellte meine Mutter fest. Ich hatte sie heute mitgenommen, weil sie mir keine Ruhe gelassen hatte, und ich war froh, mal nicht alleine hier zu sein.
„Ja, das ist sie. Sie ist noch ein wenig klein", erwiderte ich und merkte, wie meine Mutter mir einen Arm um die Schultern legte.
„Du bist auch kein Riese, Connor", ärgerte sie mich kurz und ich konnte mittlerweile doch darüber schmunzeln. Es war besser geworden.
„Heute mal alle drei Generationen vereint?", kam dann auch Mrs. Marble auf uns zu und ich wunderte mich, ob sie eigentlich auch mal nicht arbeitete.
„Ausnahmsweise mal. Ich konnte ihr die Enkeltochter nicht länger vorenthalten", lächelte ich die Krankenschwester an. „Es wäre super, wenn du dir vorher die Hände dort drüben waschen und desinfizieren könntest", richtete ich mich dann an meine Mutter. „Sie ist immer noch sehr anfällig."
Mum nickte nur, bevor ich mich wieder zu meiner liebsten Krankenschwester umdrehte.
„Immer noch nicht besser?", fragte sie und ich schüttelte den Kopf. Eineinhalb Wochen und sie war immer noch nicht aufgewacht. „Prognose?"
„Die Ärzte wissen es immer noch nicht. Ich hab so viel versucht, wie es ging. Ich sitze jeden Tag stundenlang neben ihr und erzähle ihr etwas und spiele ihr Musik vor und versuche alles, was geht, aber ich hab keine Ahnung", zuckte ich dann nur mit den Schultern. „Selbst wie Dornröschen wachküssen hat nicht funktioniert", setzte ich dann noch hinzu und meine Gesprächspartnerin lächelte.
„Ihre Ideen sind aber gut. Versuchen sie es auf jeden Fall weiter. ... Ich hab übrigens gute Nachricht für sie. Ihre Tochter ist sehr stark und wir können die Zeit außerhalb des Brutkastens verlängern. Wenn sie wollen, können sie eine ganze Stunde Zeit mit ihr verbringen, ja?", meinte sie dann noch und ich lächelte.
„Die erste gute Nachricht heute", lächelte ich und meine Mutter trat wieder neben mich. Ich war nicht alleine.

Half way there (Connor Ball)Where stories live. Discover now