Nie wieder, schwor sie sich. Notfalls klemme ich ihn mir zwischen die Zähne!

Aber so leicht ließ sie sich nicht unterkriegen; ab jetzt musste sie eben doppelt achtsam sein. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, prüfte dabei die Festigkeit des Bodens, achtete auf dessen Farbe. War sie dunkler, deutete das auf tiefen Schlick hin.

Doch es gab nur noch den begehbaren Wattboden. Wahrscheinlich war sie in das einzige Schlickloch im weiten Umkreis geraten! Glücklicherweise war sie nicht tiefer eingesunken, sonst hätte sie festgesteckt und hilflos abwarten müssen, bis die heranrollende Flut sie überspülte.

Der Schmerz im Fuß flammte. Ich bin auch noch da, schien er hämisch zu sagen. Die Wunde schien keine Kleinigkeit zu sein.

Sie setzte sich nieder, griff den Fuß, drehte ihn zu sich und besah die Verletzung: ein langer, querlaufender Schnitt im Ballen, aus dem das Blut tropfte. Da war sie beim Einsinken wohl haargenau auf den Rand einer Muschel aufgekommen! Das war ihr noch nie passiert. Ausgerechnet jetzt! Sie erhob sich wieder und probierte, nur mit der Ferse aufzutreten und das Hauptgewicht auf den linken Fuß zu verlagern. Es ging so leidlich. Immerhin.

Auf diese Weise humpelte sie vorwärts; je nachdem, wenn der Boden fester war, hüpfte sie auf einem Bein weiter.

Nur nicht aufgeben, sagte sie sich unablässig. Du bist stärker als der Schmerz.

Das Wollen war jedoch stärker als das Können, bald wurde die Qual unerträglich. Der Schmerz zog sich nun vom Ballen bis zur Ferse entlang, die gesamte Sohle schien zu brennen. Sie hielt an und inspizierte den Fuß erneut. In der kurzen Zeit war er angeschwollen. Es war doch nur ein Schnitt, warum tat es bloß so weh?

Trotzdem setzte sie den Weg fort. Aber nicht mehr lange; bald hielt sie es nicht mehr aus, setzte sich erneut hin und heulte. Aber nicht wegen der Schmerzen, sondern aus Wut auf sich selbst.

Warum bloß, warum hatte sie nicht aufgepasst? Und warum nur hatte sie die Schuhe ausgezogen? Weil sie besonders schnell sein wollte, und damit hatte sie das genaue Gegenteil erreicht. Wegen einer dämlichen Muschelverletzung bestanden vermutlich beste Aussichten, im Watt umzukommen. Sie musste viel zu viele Pausen einlegen, und die Flut würde sie einholen. Endlich würde die Mordsee sie kriegen, nachdem der Sturm damals nur ihre Begleiter und das Schiff erwischt hatte. Seitdem hatte sie der Blanke Hans auf seiner Liste stehen.

Wenn ich in Furcht erstarre, ist es aus.

Tief in ihrem Inneren klingelte ein Glöckchen. Sie erinnerte sich ... es gab da eine alte Sage, von der ihr Hauke einmal erzählt hatte. Sie handelte von einem waghalsigen Schlickläufer, der in derselben Lage auf eine ausgefallene Idee verfallen war – und überlebt hatte! Es kam nur darauf an, dem Andrang des Wassers solange standzuhalten, bis die Ebbe wieder einsetzte.

Das war's! Sie wollte es auch versuchen.

Sie handelte sofort.

Sie begann, Steine, Muscheln und sonstiges Treibgut zusammenzusuchen. Schiffsplanken oder Ähnliches fanden sich leider nicht – woher auch, eifrige Sammler wie Hauke – und sie selbst – hatten die besten Stücke bereits zeitig geborgen. Der letzte Sturm war auch schon eine Weile her.

Sie hatte sich sozusagen ihr eigenes Grab geschaufelt.

Der Schmerz tobte im Fuß, aber wenn sie ihm nachgab, würde sie bald überhaupt nichts mehr verspüren. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte sie hierhin und dorthin, sammelte weiter und stapelte die Fundstücke aufeinander. Sie baute sich ihre eigene Warft mitten im Wattenmeer.

Bald sah sie ein, dass es vermutlich nicht reichen würde. Sie brauchte mehr, viel mehr! Der Hügel war nicht hoch genug.

Wenn ich in Furcht erstarre, ist es aus.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum