Kapitel 6

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Nach und nach verklang der letzte Sonnenstrahl und wir verschwanden hinter der grünen Wand. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das gedämpfte Licht. Im Gegensatz zu den offenen Feldern herrschte im Wald eine tropische Hitze. Meine Bluse klebte am Oberkörper fest und ich versuchte mit einer Hand die Trompetenärmel hochzukrempeln.

»Wieso ändert sich das Wetter hier so schnell? Am Tag als ich ankam, war es noch sehr kalt und jetzt herrscht unerträgliche Hitze«, fragte ich Shanti, die neben mir her ritt. Jaron hatte sich einige Meter vor uns abgesetzt und mied es in meine Nähe zu kommen.

»Königin Parry hat Einfluss auf das Wetter in ganz Tarmania. Je nachdem wie ihre Launen sind.«

»Da hat sie heute offenbar ganz gute Laune«, dachte ich. Das konnte sich jedoch ändern, sobald Fine und Delian mit leeren Händen bei ihr auftauchen würden.

Jarons Vorsprung hatte sich vergrößert, so verstärkte ich den Schenkeldruck und mit jedem weiteren Hufschlag wurde Samira schneller. Aramis hatte sie für mich ausgesucht. Sie wäre eines der schnellsten und gehorsamsten Tiere. Bis jetzt hatte ich daran auch nichts auszusetzen. Glücklicherweise hatte ich bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr Reitunterricht genossen und konnte so mit meinen Begleitern mithalten.

Wir ritten Kilometer für Kilometer. Allmählich wurde das Gelände steiler. Während wir so vor uns hin trabten, schweiften meine Gedanken zu meiner Mutter, Yorick und Gillian. Mittlerweile mussten sie krank vor Sorge um mich sein. Sie hatten keine Ahnung, wo ich mich gerade befand. Doch ich versuchte stark zu sein und mich an die Hoffnung zu klammern, sobald wie möglich einen Weg nach Hause zu finden. Vorerst blieb mir nichts anderes übrig, als mit Shanti und ihrem Bruder weiterzuziehen. Ich kannte mich hier nicht aus und die dunklen Pfade, die sich durch den Wald wanden, glichen einem Labyrinth. Handys, Telefone oder Autos gab es nicht. Und ich glaubte auch nicht daran, schließlich ritt man auf Pferden durch die Gegend und sonstige Anzeichen moderner Technik waren mir bis jetzt noch nicht begegnet.

»Wir haben die Gebirgsregion erreicht«, rief Shanti mir zu.

Tatsächlich hatten sich auch die Bäume gelichtet. Über den Tannen ragten erste Bergspitzen hervor. Wir schienen uns zwischen zwei Bergkämmen zu befinden. Je näher wir auf die Schwarzen Berge zu trabten, desto feuchter wurde es. Oberhalb der Talsenke trieften die violetten Wolken, die im Gebirge gefangen waren. Der Geruch feuchten Mooses stieg mir in die Nase und unweit von uns war die Wasseroberfläche eines Flusses zu sehen.

Jaron verlangsamte sein Tempo und ich war froh, die erste Rast unserer Reise anzutreten. Wir waren seit unserem Aufbruch am frühen Morgen bis auf ein paar kurze Zwischenpausen zwölf Stunden ununterbrochen unterwegs gewesen. Meine Gelenke schmerzten, als ich mich vom Pferd hievte. Samira trottete gierig ans Wasser und gönnte sich eine kühle Erfrischung. Behutsam strich ich ihr über das nasse Fell.

»Wie weit ist es noch?«, wollte ich von Shanti wissen. Diese wischte sich gerade die schweißnassen Haare aus dem Gesicht und lächelte mich an.

»Du unterschätzt unsere Welt, Candice. Wir haben noch nicht einmal das erste Drittel hinter uns.«

Jaron stöhnte auf und lief den matschigen Weg hinunter ans Flussufer, um seine Flasche zu füllen. Shanti schaute ihrem Bruder mit verengten Augen hinterher, sagte aber nichts. Stattdessen zupfte sie ein paar Himbeeren von den Büschen, die sich am gesamten Fluss erstreckten. Sie warf mir eine der Beeren in hohem Bogen zu und ich fing sie mit meinem Mund auf. Sofort zerplatzte die Frucht an meinen Zähnen und ein süßsaurer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus.

»Wer zuerst am Wasser ist, bekommt die letzte Beere«, rief ich und eilte davon.

Doch ich hatte nicht mit Shantis Schnelligkeit gerechnet und hatte das Nachsehen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 12, 2019 ⏰

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