Outtake: Wie man keine Spannung aufbaut

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Moin. Das hier ist die erste Version der Geschichte. Ich hatte damals versucht, sie zu schreiben wie Titanic II, doch festgestellt, dass die Qualität dieser Geschichte nicht in der Überraschung, sondern in der Spannung liegt. Dementsprechend fühlt sich diese Geschichte wesentlich "dünner" an als das andere. Für mich, zumindest. 


Die Mächtigen der Welt waren in Aufruhr. Es gab ein Datenleck, strikt von Geheimdienstinterna von scheinbar zufälligen Ländern. Mittlerweile war schon gut ein Drittel aller Länder betroffen. Eine koordinierte weltweite Ermittlung hätte eigentlich schon lange passieren müssen, doch jeder war verdächtig: Warum waren "Wir treffen uns am Mittwoch für Pizza" die einzigen veröffentlichten Daten des Geheimdiensts von Kleinwenigstan? Hatte es einfach keinen arbeitenden Geheimdienst, oder war der Geheimdienst eigentlich der Hacker, der sich selbst nicht verraten wollte? Schlimmer noch, jede versuchte Ermittlung gegen irgendwen resultierte darin, dass die gesuchte Person entweder gewarnt wurde und untertauchte, oder im Falle eines anderen Geheimdienstes, dass die diplomatischen Beziehungen sofort sich verhärteten. "Freunde ausspionieren – das geht gar nicht" war ein oft zu hörender Satz. Und: "Wir müssen die Strafen verhärten."

Es begab sich zu dieser Zeit, dass ein Hackercongress tagte. Auf ihm wurden die Datenlecks natürlich auch thematisiert, mehrfach sogar. Ein Hacker hielt einen Vortrag über "Das offene Geheimnis: Wie man einen staatlichen Hacker hackt".

Der Vortrag redete über viele bekannte Sachen. Zum Beispiel, dass man Sicherheitslücken melden sollte, damit sie gefixt werden können. Dass man sie aber verwenden konnte, bevor sie gefixt sind, um mit den Sicherheitslücken und Staatstrojanern andere Geheimdienste zu hacken, und dann die ihrigen Sicherheitslücken und Staatstrojaner verwenden konnte um noch mehr Geheimdienste zu hacken, war neu, und passte schrecklich gut zu den Ereignissen der letzten Wochen und Monate.

Bei den Mächtigen der Welt kam indes Bewegung auf. Sie tappten nicht mehr im Dunklen nach dem Täter, sie hatten ihn hier eindeutig auf dem Präsentierteller. Der dürre Schwächling mit seinem schwarzen Kapuzenpulli, seinen kurzen, braunen Haaren, die seit langem nicht mehr gewaschen wurden und seiner Knubbelnase musste nur noch abgeholt werden. Und selbst, wenn er flüchten sollte, er hatte nun seine Identität preisgegeben. Da würde ihn auch nicht seine Sonnenbrille vor schützen. Ein weltweiter Fahndungsaufruf würde ihm keinen Raum zum Verstecken lassen. Der Hacker sprach währenddessen über Methoden, um keine Spuren zu hinterlassen, damit man nicht geschnappt werden kann. Plötzlich hielt er inne.

"Um meine letzte Verteidigungsmethode zu demonstrieren, werde ich ein wenig Zuschauerbeteiligung brauchen. Ja, das ist doof, weiß ich. Steht mal alle auf und lauft quer durch die Gegend. Also, nicht so, dass man jemanden anrempeln würde, sondern einfach nur kreuz und quer, als wäre man in einer Fußgängerzone ohne Ziel. Wo ihr schon dabei seid, nehmt jeglichen Müll mit, den ihr finden könnt."

Die Zuschauer folgten der Anweisung und sammelten erstaunlich viele Sachen. Unmengen von Flaschen, ehemals mit Hackerbrause gefüllt. Schokoladenpapier. Teile, die so aussahen, als hätten sie in ihrem ersten Leben mal einer braunhaarigen Langhaarratte gehört.

Manche Zuschauer waren auf eine solch sportliche Einlage nicht vorbereitet. Ihnen wurde bald warm, und sie fingen an, ihre Pullis auszuziehen. Erstaunlicherweise war eine blondhaarige, fitaussehende Frau unter ihnen. Sie nutzte die Zeit, um ihr Makeup zu korrigieren. Kurz darauf zerriss sie irgendein knubbeliges, hautfarbendes Plastikding.

Die Polizei stürmte den Saal ein paar Augenblicke später und sah, dass sie zu spät war. Der Hacker hatte die Bühne bereits verlassen. Doch das machte nichts, Beamte hatten den Saal vorher umstellt und kontrollierten alle Auswege. Und sie hatten ein klares Fahndungsbild, sie mussten sich also nur ein paar tausend Leute angucken und verdächtige herauswinken.


Die dürre, blondhaarige Hackerin wurde keines zweiten Blickes gewürdigt und sofort durchgewunken.

Der GeheimdiensthackerWhere stories live. Discover now