1. Kapitel - Der Fremde

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Etwas stimmt nicht! Dieser Gedanke brachte die junge Kätzin dazu, wie versteinert stehenzubleiben. Der schwache Hauch eines unbekannten Geruchs hing in der Luft, sodass sie ihn fast nicht bemerkt hätte.

Rabenpfote kniff die Augen konzentriert zu schmalen Schlitzen zusammen und ließ sie über die Bäume vor ihr wandern, um die Quelle des Dufts zu orten. Doch da war nichts. Es schien weiter weg zu sein.

Die schwarze Schülerin spannte ihre Muskeln an und hielt noch ein letztes Mal die Nase in den Wind, um herauszufinden, in welche Richtung sie gehen musste. Dann schlich sie los, schlängelte sich zwischen den Kiefern und Fichten ihren Weg durch das Territorium des Schattenclans.

Mit jedem Schritt konnte sie mehr Details aus der Duftspur herauslesen. Eine Katze. Weder Schattenclan, noch irgendein anderer Clan. Männlich. Höchstwahrscheinlich noch sehr jung. Vielleicht in meinem Alter.

In diesem Moment war Rabenpfote dankbar dafür, dass sie ausnahmsweise mal ihrem Mentor bei seinen nervigen Unterrichtstunden zugehört hatte. Denn nun konnte sie sich ein ungefähres Bild des Eindringlings machen, ohne ihn zu sehen.

Der fremde Kater war bereits so nah, dass sie seine Schritte auf dem weichen, mit Kiefernnadeln bedeckten Waldboden hören konnte. Rabenpfote kräuselte verächtlich die Lippen. Da ihr nachtschwarzer Pelz mit den Schatten verschmolz und sie sich nicht halb so laut fortbewegte, wie er, würde er sie nicht kommen hören.

In diesem Moment sah sie braun getigertes Fell vor sich, wenige Katzenlängen entfernt hinter einem Brombeerstrauch aufblitzen. Die Schülerin hatte ihn erreicht. Und nun würde er sein blaues Wunder erleben, dafür, dass er einfach in ihr Territorium eingedrungen war.

Als wäre sie auf der Jagt kauerte sie sich auf die Erde und schlich sich lautlos auf ihn zu. Er schien sie noch immer nicht bemerkt zu haben. Pech für ihn. Glück für sie.

Mit einem aggressiven Fauchen und ausgefahrenen Krallen stieß sich Rabenpfote ab und flog auf den Kater zu. Dieser wirbelte wie ein verschrecktes Kaninchen herum und stieß ein erschrockenes Quieken aus, ehe er unter ihrem Körper begraben wurde.

In wenigen Herzschlägen hatte sie ihn eisern mit den Krallen am Boden festgenagelt. Da die Kätzin so die Situation relativ unter Kontrolle hatte, nutzte sie die Chance, um ihn näher zu betrachten. Der Eindringling hatte gepflegtes, kuzes Fell, große Ohren und himmelblaue Augen, die vor Angst doppelt so groß wirkten wie sonst.

"Was tust du hier im Gebiet des Schattenclans?", fauchte Rabenpfote und zeigte wütend die Zähne. "Willst du etwa Beute stehlen?" Unter ihren Pfoten konnte sie seinen flachen Atem spüren. Offensichtlich machte er sich gerade fast vor Angst ins Fell. Gut so.

"Ich... Ich komme in Frieden!", stotterte der Kater eilig und legte nervös die Ohren an. "Ich h... hatte nicht die Absicht, euch zu verärgern!"
Misstrauisch kniff Rabenpfote die Augen zusammen. Ihr gelber Blick musterte ihn abschätzig. "Was tust du dann hier?", verlangte sie zu wissen.

Er sah peinlich berührt weg. "Nun... In meinem Leben habe ich noch nie ein Wesen wie mich gesehen und als ich den Geruch des - wie hast du es genannt? - Schattenclans aufgespürt habe, habe ich mir gedacht, ich könnte euch kennenlernen"

Die schwarze Kätzin starrte ihren Gegenüber ungläubig an. Was für ein komischer Vogel, schoss es ihr durch den Kopf. Doch da er wohl keine Bedrohung darstellte, zog sie ihre Krallen wieder ein und trat zurück, sodass er sich aufrappeln konnte. "Danke", miaute er erleichtert und lächelte sie nun etwas freundlicher an. "Du hast echt spitze Krallen!"

Rabenpfote hob langsam mit einem unheilverkündenden Lächeln ihre Pfote und fuhr die Krallen ruckartig aus. Sofort zuckte er erschrocken zusammen. Die Angst, die sie in seinen Augen sehen konnte, belustigte sie. Oh Sternenclan, macht das Spaß!

"Zuerst einmal", begann die schwarze Schülerin betont gelangweilt und leckte einmal kräftig über ihre erhobene Pfote. "Wir sind Katzen. Falls du das bis jetzt noch nicht wusstest!" Er blinzelte. Dann begannen seine Augen zu leuchten.
"K-A-T-Z-E-N", wiederholte er und betonte dabei jeden einzelnen Laut konzentriert. Anscheinend hatte er bis jetzt nicht mal gewusst, dass er eine Katze war. Was für ein Mäusehirn.

"Mein Name ist Rabenpfote", fuhr sie fort und beobachtete dabei jede seiner Bewegungen haargenau. "Und du?" Mit einem verwunderten Blinzeln legte er den Kopf schief. "Ich habe keinen Namen", erklärte er nüchtern. "Bis jetzt habe ich noch nie einen gebraucht, also habe ich mir nie die Mühe gemacht, mir einen auszudenken"

Rabenpfote atmete einmal tief durch und schloss die Augen, um zu verhindern, dass sie vollkommen ausrastete. Ach du heiliger Rattenschwanz! Vor mir steht ein namenloser Kater mit Moos im Hirn! Bitte Sternenclan, mach, dass das gerade nicht passiert! Doch als sie die Augen vorsichtig wieder öffnete stand der Kater immer noch vor ihr und musterte sie mit verwirrt schief gelegtem Kopf.

"Und was machen wir als nächstes, da wir bereits das Vergnügen hatten, uns kennenzulernen?", fragte der braun-getigerte mit einem unschuldigen Lächeln. "Jetzt bringe ich dich erstmal in unser Lager", seufzte sie und zuckte genervt mit einem Ohr. "Damit dich auch der restliche Clan zu Gesicht bekommt" Und ich dich dann nicht länger an der Backe habe.

"Einverstanden" Der Kater nickte ernst und tappte an ihr vorbei, tiefer hinein ins Herz des Schattenclan Territoriums. "Zeig mir, wohin wir gehen sollen" Als wäre er der Anführer! Gereizt, dass er sich plötzlich so aufführte, peitschte sie mit dem Schweif, übernahm aber ohne ein weiteres Wort die Führung.

Gemeinsam tappten sie durch den Nadelwald. Der Kater labberte wie ein Wasserfall, schien von jeder Bewegung, die sie machte, jedem Wort, das sie sprach unendlich fasziniert zu sein, als hätte er sowas noch nie im Leben gesehen. Schon nach wenigen Herzschlägen ging er Rabenpfote total auf die Nerven.

Vor Erleichterung stieß die schwarze Kätzin ein Stöhnen aus, als das Lager, eine Lichtung mitten im Wald in Sichtweite kam. Sofort war er bei ihr und starrte sie an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. "Was ist los? Tut dir etwas weh?", fragte er und versuchte, ihren Körper abzuschnuppern. Da ihr diese Nähe zutiefst unangenehm war, ging sie wieder ein wenig auf Abstand. Danach ließ er sie in ruhe.

Bald tappte die Schülerin den vertrauten Pfad entlang, der zum Eingang des Schattenclan Lagers führte. Was ihr Clan wohl zu ihrem kleinen Mitbringsel sagen würde?

Sie wurde aus den Gedanken gerissen, als ein lauter Schrei durch die ganze Lichtung hallte: "Eindringling! Ein Fremder betritt das Lager! Zu Angriff!"

Und dann brach das Chaos los.

Warrior Cats - Katz und MausWhere stories live. Discover now