Farben. Ein Geständnis.

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„Stell dir vor", sagt sie auf ihrem Bett liegend. Ich antworte nichts, schaue nur verstohlen zu ihr hinüber. Ein Lächeln nimmt auf meinen Lippen Platz, als ich sie so liegen sehe. Ihr Kopf drückt eine Mulde in den Teddybären, der beinahe so groß ist wie sie, und mein Weihnachtsgeschenk an sie war. Ich denke nicht, dass sie weiß, wie schön sie ist. Wie ihre Augen leuchten, wenn sie begeistert ist, mindestens so hell wie die Plastiksterne auf der Zimmerdecke. Wie weich ihre Haut und wie beruhigend ihre Stimme sind. Wie aufmunternd ihr Lachen und wie süß ihre Sommersprossen. Nein, all das weiß sie nicht. Es ist ein Geheimnis, das die Welt und ich teilen, ich würde es ihr aber gerne erzählen. Es wäre okay für mich, die Seifenblase - diese ist doch wesentlich graziler und fragiler, ein besserer Vergleich ihrer Schönheit als der mit einer Bombe - platzen zu lassen. Wäre das auch okay für die Welt? Und noch wichtiger, für sie? „Stell dir vor, du lebst in einem Universum, in dem man nur schwarz und weiß sieht. Und alles dazwischen."

Ich wollte gerade einwenden, dass es dann nicht mehr schwarz und weiß wäre, sondern bunt. - Physikalisch gesehen zumindest. Doch anscheinend witterte sie meinen Einwand bereits und korrigierte sich selbst. „Und alle Grautöne dazwischen.

„Was wäre der Sinn dieser Welt?", unterbreche ich sie nun doch. Meine kleine Träumerin.

Sie wirft ein Kissen nach mir. „Ich war noch nicht fertig!"
Ich kichere. Meine kleine Träumerin denkt ihre Träume gut durch, das weiß ich doch. „Dann red' weiter", ist alles was ich sage und werfe das Kissen zurück. Ich hoffe, sie hört die Neugier in meiner Stimme und nicht die Schroffheit der Bedeutung meiner Worte.

„Stell dir vor, du lebst in einem Universum, in dem man nur schwarz und weiß sieht und all die Grautöne dazwischen. Es gibt Menschen, die in Farbe sehen, aber sie sehen nicht von Geburt an so, ihre Welt verändert sich in bestimmten Momenten. Es hat eine Weile gedauert bis man herausgefunden hat, warum diese Menschen in Farbe sehen und warum manche Menschen plötzlich in Farbe sehen und es bei anderen ein Prozess ist. Aber ein brillanter Mensch hat das Rätsel gelöst, der Schlüsselmoment ist der, in dem man mit seinem Seelenverwandten zum ersten Mal spricht. Oder auch nicht, sondern nur seine Stimme hört oder ihn zum ersten Mal sieht. Der erste Kontakt bringt die erste Farbe ins Leben, die erste Berührung verbannt all das eintönige Grau und lässt nur Farbe und einzelne Punkte von schwarz und weiß zurück." Stille. Ich starre abwechselnd die gelben Leuchtsterne an der Decke und sie an, überwältigt von der detaillierten Beschreibung dieser fremden Welt. „Ein schöner Gedanke."

Stille. Ich höre, wie sie sich umdreht und spüre ihren Blick auf mir. Ich werde rot und freue mich über die Dunkelheit im Zimmer, das spärliche Licht der Sterne, wird mich nicht entblößen. „Denkst du, du würdest in Farbe sehen?", durchbricht ihr Flüstern die Stille.
Ich drehe mich zu ihr und nicke. Ich suche nach einer Reaktion, einem Leuchten in ihren Augen oder ein Erröten. Aber auch das entblößt die Dunkelheit nicht. „Ich auch." Wärme breitet sich in mir aus, als ich ihre Worte höre, ich sehe die Farbe wegen ihr, wer war ihr Auslöser?
„Seit wann siehst du in Farbe?", rutscht es mir heraus.
Erneut Stille. Will sie es mir nicht sagen?

„Wann war unser erster Schultag?"

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⏰ Last updated: Jan 15, 2019 ⏰

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