Kapitel 1

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Die Sonnenstrahlen fielen durch das hohe Fenster in mein Gesicht. "Aufwachen!", riefen sie "Wach auf Elodiel!"

Verschlafen drehte ich mich noch mal in den Laken und Kissen um, der Sonne den Rücken zugewandt, doch es gelang mir ohnehin nicht mehr einzuschlafen, denn plötzlich hörte ich unter meinem Fenster im Hof lautes Hufgeklapper auf dem Eingangsplatz Bruchthals. Ich erkannte, dass es mehrere Pferde waren, auch mehrere Männer, die mit lauten "Hü!"s und "Ho"s ihre Tiere zum stehen brachten.

Sind das schon die Gäste? , Fragte ich mich verwundert. Elrond hatte doch gesagt, sie würden erst des Abends kommen.

Neugierig schwang ich meine Beine aus dem Bett und warf meine kupferfarbenen Haare nach hinten. Als ich aus dem Fenster, das direkten Blick über das Tal verschaffte, sah, erblickte ich weiter unten mehrere Reiter, die zu Elrond aufschauten, der gerade die Treppe vom Haupthaus herunter kam um sie zu begrüßen. Einen der Reisenden erkannte ich sofort: "Legolas!", rief ich erfreut und dieser schaute nach oben zu mir und lächelte.

Wie ich ihn vermisst hatte! Ich kannte Legolas seit Elben-Kindertagen; wir hatten zusammen gelernt, mit Bögen zu schießen (worin er deutlich besser war als ich), wie man focht (Darin war ich besser als er) und wie man mit dem Schwert kämpfte (darin waren wir beide gleich gut).Zusammen waren wir im Wald auf die höchsten Bäume geklettert, hatten uns Höhlen gebaut und den ganzen Tag am Wasserfall verbracht.

Und wie ich ihn vermisst hatte. Denn seit seine Mutter gestorben war und er zu seinem Vater in den Düsterwald zurückgekehrt war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen und das war selbst für einen Elben eine lange Zeit. Allerdings nicht lange genug um sein breites Lächeln zu vergessen...

Die anderen Reiter hatten bei meinem Ausruf ebenfalls zu mir geguckt und ich sah jetzt dass es zwei Zwerge waren, einer der Beiden schien älter als der andere. Der vierte Reiter war ein Mensch: Ein Ritter mit Rüstung auf der der Baum von Gondor groß und gut sichtbar auf seiner Brustpanzerung eingraviert war. Die restlichen waren Elben, das sah ich ebenfalls sofort, aber sie schienen wie Legolas aus dem Düsterwald zu kommen. Legolas und Düsterwaldelben mit zwei Zwergen und einem Menschen?, wunderte ich mich, während ich mich eilig anzog und anschließend die Treppe meines Turms hinunter rannte.

Sie waren alle schon abgestiegen, die Pferde waren verschwunden und Elrond unterhielt sich mit den Vier. Doch als Legolas mich kommen sah, breitete er strahlend die Arme aus und ein paar Sekunden später befanden wir uns in einer innigen Umarmung. Als wir uns schließlich voneinander lösten sah Elrond kurz zu uns herüber, so wie die anderen, und zwinkerte mir zu. Er kannte meine - freundschaftlichen - Gefühle für den Elben. 

"Ich habe Euch Vermisst", sagte Legolas zu mir, wobei mir auffiel, dass er die Höflichkeitsform verwendete, vielleicht weil ich inzwischen nicht mehr so jung war, wie vor all den vielen Jahren (was man mir aber nicht ansah!). Ich schmunzelte und erwiderte mit einer leicht spöttischen Betonung: "Ich Euch auch, Mellon". Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Elrond uns zu sich heran winkte, also näherte ich mich auch den anderen Gästen

"Guten Morgen", begrüßte mich mein Stiefvater. "Darf ich Vorstellen: Das ist Gloin mit seinem Sohn Gimli vom einsamen Berg". Dabei wies er mit einer Handbewegung auf den Zwerg, der sich etwas zögernd vor mir verbeugte. Ich wusste, dass Zwergen und Elben sich nicht immer gut verstanden, aber Gimli versuchte wohl etwas nett zu sein, also tat ich es ihm gleich und lächelte ihn an. Außerdem kam mir der Name des älteren Zwergs bekannt vor..."Und dies ist Boromir, Denethors Sohn, dem Truchsess von Gondor!", fuhr Elrond fort und deutete auf den Ritter der mich mit forschenden Augen musterte. "Gloin, Gimli, Boromir, das ist meine Tochter Elodiel", stellte er schließlich noch meine Wenigkeit vor, worauf sich Boromir sich ebenfalls verbeugte und sagte: "Schön euch kennen zulernen, ich habe schon viel von Elronds Tochter gehört."

Wirklich? Hoffentlich nur gutes...

"Ganz meinerseits", erwiderte ich höflich und knickste leicht vor Gimli, seinem Vater und Boromir. "Elodiel, ich muss mich jetzt mit den Vier über ein wichtiges Thema unterhalten... Ich komme später zu dir", sagte er auf Elbisch zu mir. Ich nickte und Elrond verschwand mit den Gästen; Legolas blickte sich noch einmal nach mir um, bevor sie alle im Hauptgebäude verschwanden. Ich seufzte. Immer das gleiche, nie war ich von Bedeutung genug, um bei den wichtigen Themen mitreden zu können. Also machte ich mich auf in Richtung der Ställe, sattelte mein Pferd Bronwhiel und ritt schließlich in geschwindem Tempo in den nahegelegenen Wald.

Es war schon Anfang Herbst, die Farben der Blätter glichen der meiner Haare; sie waren von Gold über Gelb und orange bis rot und braun verfärbt und lagen überall auf dem schmalen Waldweg. Es war auch schon nicht mehr so warm; es fröstelte mich ein wenig aber es machte mir nichts aus. An dem Wasserfall, wo Legolas und ich immer gespielt hatten, hielt ich an und stieg von Bronwhiel ab. Überall hingen Nebelschwaden und ein frischer Dunst von Wasser lag in der Luft, doch diese Erfrischung war genau das, was ich jetzt brauchte. Ich musste nachdenken. Warum klappt es nicht mehr? Warum kann ich nicht mehr Feuer heraufbeschwören? Warum kann ich nicht mehr Wirbel in der Luft machen oder Blitze hervorrufen , nicht mehr Wasser verformen, erhitzen, verdunsten oder gefrieren lassen? Nicht mehr aus der Erde Diamanten und andere Steine holen?  Dies waren Fragen, die mich schon seit Tagen beschäftigten und immerzu in meinem Kopf herumwirbelten. Fragen, über die nur ich mir Sorgen machen konnte. 

Versuchsweise hielt ich meine rechte Handinnenfläche über das sprudelnde Wasser und stellte mir mit aller Kraft einen Fisch aus Wasser vor, der aus den Fluten springen sollte, doch alles was ich spürte war ein schmerzhaftes ziehen in meinen Adern und ich brach den Versuch sofort ab, da der Schmerz zunahm. Es wollte einfach nicht funktionieren. Verdrossen blickte ich in das rauschende Wasser...

"Hier bist du!". Aufgeschreckt aus meinen Gedanken fuhr ich herum und sah meinen Stiefvater Elrond, wie er sich neben mich in das, mit Wasser benetzte, feuchte Gras setzte. Nein - Meinen Vater sah ich, nach allem, was passiert war, sollte ich ihn so nennen.

"Hast du herausgefunden woran das Problem liegt?". Das war es also gewesen, worüber er mit mir sprechen wollte, er musste gemerkt haben, dass etwas nicht mit mir stimmte. "Nein", antwortete ich ihm resigniert und senkte meinen Blick missmutig auf meine, in meinem Schoß zusammengefalteten Hände. "Es ist wie eine Blockade in meiner Hand, nicht wie gewohnt der fließenden Strom, den ich immer spüre."

"Mhhh...", Machte Elrond nachdenklich. "Den Elben des Düsterwaldes sind beunruhigende Dinge aufgefallen, die Spinnen im Wald haben zugenommen und es wurden wieder öfters Orks gesichtet. Auch den Zwergen gefällt das nicht und in Gondor wurden ebenfalls öfters Orks gesehen und es heißt, das durch Ithilien seltsame Menschen oder Kreaturen zu dem schwarzen Tor ziehen... Ich bin ebenfalls besorgt und vielleicht hat ja auch dein Problem damit zu tun... ". Er fuhr sich über die Stirn und ich kannte ihn gut genug, dass ich wusste, dass ihn etwas beschäftigte, etwas ganz und gar nicht gutes.

"Gandalf hat mir eine Nachricht zukommen lassen, dass der eine Ring möglicherweise wieder aufgetaucht ist... Er ist gerade auf dem Weg nach Isengart zu Saruman...". Ich schluckte. Der Eine Ring! Dieses Objekt war ein, mir bekanntes, Artefakt, was für viel Leid auf dieser Welt gesorgt hat. Nur schien mir seine Existenz fast wie eine Legende vorzukommen, so lange hatte man nicht mehr von ihm gesprochen. Und jetzt soll er wieder aufgetaucht sein? Die Welt schien sich zu verändern und die Lage musste wirklich ernst sein, wenn sich Gandalf und Elrond so verhielten. Ich schnappte nach Luft. Elrond musste meine Gedanken gelesen haben, oder anhand meines Gesichtsausdruck erkannt haben, dass ich wusste, was das bedeutete. 

"Ja, Elodiel", gab er mir recht. "Es werden schwierige Zeiten auf uns zukommen und womöglich viel Schmerz. Es könnte Krieg geben. Sauron, der Herrscher der einen Ringes ist noch immer irgendwo dort draußen, verborgen in den endlosen Schatten und er wird nicht verschwinden, ehe der Ring zerstört ist. Seine Macht wird wachsen und wiederkehren." Mein Atem wurde schwerer, meine ohnehin wirbelnden Gedanken wurden zu einem Tornado, einem Strom aus Eingebungen. Ich sah vor mir, wie Heerscharen an Kriegern in die Schlacht zogen, auf das Ende der Welt vorbereitet. Ich sah Flammenmeere und flüchtende Kreaturen die der Feuersbrunst zu entkommen versuchten. Doch vor Allem sah ich ein Gesicht, eher schaurige Umrisse, von dem was noch übrig war: Zwei schwarze Augenhöhlen und einen verzerrten Mund unter einer Kapuze. Dieses Antlitz gehörte zu einer Person mit der ich mehr verband als ich wollte, zu einer Person, die ich seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen hatte und der ich nur um ein Haar entkommen war. Der Hexenkönig von Angmar, einer der weiteren Ringträger, der Sauron ergeben war; mein Vater.

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarOnde as histórias ganham vida. Descobre agora