Kapitel 4

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Gerards PoV

Er war zu schön, um nicht von ihm zu kosten, und meine Instinkte wollten nicht von ihm ablassen, ehe er tot war.

Zu Beginn wehrte er sich, doch er sah bald ein, dass er nicht den Hauch einer Chance gegen mich hatte.

Während ich ihm seiner Lebensessenz beraubte, wurde sein filigraner Körper in meinen Armen immer schwerer, bis er schließlich, vom Blutverlust geschwächt, gegen meine kalte Brust sackte.

Schlagartig erfuhr ich einen scharfen Stich im Brustkorb und zuckte zusammen.

Diese Art von Schmerz war mir völlig neu, weder in meinem armseligen, sterblichen, noch in meinem ewigen, untoten Leben hatte ich ihn je gespürt.

Ich versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, und bohrte meine Fangzähne tiefer in die Wunde meines Opfers.

Mit jedem Tropfen seines Blutes, welches meinen Hals hinunterlief, nahm der Schmerz zu.

Obwohl ich nicht mehr atmete, nahm er mir die Luft.

Obwohl ich keinen Puls mehr hatte, bohrten sich Nadeln durch mein Herz.

Es war kein warmes, nährreiches Blut mehr, das mir in den Rachen lief, es fühlte sich an wie ätzende, kochende Säure, welche mich innerlich verbrannte.

Jeder einzelne Millimeter meines Körpers schrie nach Erlösung.

Nie zuvor hatte ich mich so lebendig gefühlt.

Nie zuvor erfuhr ich diesen Schmerz.

Keuchend entzog ich mich dem Blut und dem stechenden Schmerz und lies von seinem Handgelenk ab.

Wie war es möglich, ein solches Gefühl bei mir auszulösen?

Lag es an ihm?

Mit ungewohnt zitternden Händen drehte ich ihn in meinen Armen.

Sein Duft erfüllte mich.

Er roch nach Wärme, Zuneigung, Freude, Trauer und Verletzlichkeit.

Er roch nach allem, was mir fehlte und wonach ich mich so sehr zehrte.

Er roch nach Leben.

Ich betrachtete sein blasses Gesicht.

Seine glasigen Augen waren groß, leblos und Haselnussfarben, seine Brauen dünn und natürlich definiert, seine Lippen voll und herzförmig und seine Kiefer- und Wangenknochen auf eine dezente Weise prominent, während seine Haut einen blassen Karamellton trug und den schönsten Kontrast zu dem scharlachfarbenen Blut bildete, welches auf ihr gerann.

Er trug einen Lippen- und einen Nasenring, hatte lange Wimpern und volles, schwarzbraunes Haar.

Vorsichtig bewegte ich meine Hand, legte sie an seinen Kopf und strich mit dem Daumen über seine Wange.

Seine Haut war weich und seidig, und ein angenehmes Kribbeln zog sich durch meinen Arm zu meinem Brustkorb und schien mein noch immer schmerzendes, totes Herz erneut zum Schlagen zu bringen.

Seine bloße Anwesenheit hauchte mir Lebendigkeit ein.

Plötzlich spürte ich ein brennendes Beißen auf meinem Nacken, und ich wurde an meine wahre Natur zurückerinnert.

In meiner Trance hatte ich die Morgendämmerung völlig ausgeblendet, was mir nun zum Verhängnis wurde.

Rasch verhüllte ich die dem Licht entblößte Stelle mit der Kapuze meines dunklen Hoodies.

Das Sonnenlicht konnte nicht zwar nicht töten, doch war ich ihm vollends ausgesetzt, erfüllte es mich mit Schmerzen, welche innerlicher und äußerlicher Verbrennung ähnelten.

Mein Blick senkte sich erneut auf den Sterblichen in meinen Armen, und das gelbliche Sonnenlicht, welches sich auf seinem Gesicht niederließ, gab ihm eine engelsgleiche Aura.

Er würde den Blutverlust wahrscheinlich überleben, weshalb ich ihn unter den Schultern und Knien hob und in eine bequemere Position gegen die kalte Hauswand lehnte und ihn entfernt beobachtete, bis er die Augen wieder aufschlug und zu sich kam.

Unbemerkt schritt ich nun durch die morgendlichen Straßen New Jerseys und begab mich in den dem Stadtteil angrenzenden Wald.

Tief darin ruhte ein modriges, zerfallenes Holzhaus, welches einen verlassenen Eindruck machte.

Es war einst groß und luxuriös, doch von seiner glamourösen Vergangenheit war nicht mehr viel übrig geblieben.

Durch einen Brand, welcher vor einigen Jahren in diesem Waldteil gewüstet hatte, wurde es stark beschädigt.

Die oberen Stockwerke waren nahezu unbewohnbar, doch die alten Treppen führten in einen verwebten Keller, welcher eine Art Zuhause für mich darstellte.

Jegliche Fenster waren vernagelt, um mich tagsüber vor der Sonne zu schützen.

Da ich nicht schlief, verbrachte ich den Tag hier unten, inmitten von historischen Büchern und Kunst.

All dies waren vom Brand unbeschädigte Hinterlassenschaften der früheren Hausbesitzer.

Ich mochte Kunst.

Es war interessant, die Emotionen auszumachen, welche die Sterblichen in ihre Gemälde und Bücher steckten.

Um die Menschlichkeit in mir zu wahren, hatte ich mich damals ebenfalls zur Kunst gewendet.

Sie war wie ein Freund, wie eine Liebe für mich gewesen, und mit ihrer Hilfe versuchte ich, die Einsamkeit, den Hunger und die Gier zu verarbeiten und auszublenden.

Heute zeichnete ich größtenteils aus Langeweile.

Doch der Ansturm an Gefühlen, welcher vor kurzer Zeit in mir ausgelöst wurde, erfüllte mich mit neuer Inspiration, welche zu Papier gebracht werden wollte.

Ich begann, sein Gesicht zu verewigen.

Seine Augen, so voller Leben und Angst.

Jedes Detail seines zarten Auftretens.

Er hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen, nie hatte ich etwas ähnliches gespürt.

Er war anders, er war besonders, und ich musste ihn wieder bei mir spüren.

I just want you to know who I am ~Frerard~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt