1.

50 4 4
                                    

"Guten... Morgen... Liz", hustete ihr ihre schwer kranke Mutter zu und streichelte ihr den Kopf. Ihre Berührungen wurden jeden Morgen, an dem sie zu ihr kam, schwächer. In Liz's Augen sammelten sich die Tränen.

Sie hätte Angst, furchtbare Angst vor dem Tag, an dem ihre Mutter sterben würde. Mit dem Wissen, dass es jeden Tag passieren könnte, die Tür zu ihrem Schlafzimmer zu öffnen, war für sie eine unheimliche große Hürde.

Liz würde alleine sein. Vollkommen alleine. Ihre Mutter, Annabell, war Prostituierte. Niemand weiß, wer ihr Vater ist. Liz war das egal, sie wollte ihn auch nie kennenlernen. Seit ihre Mutter krank war, war das Geld knapp, aber auch das war Liz egal. Sie bettelte bei Fremden, oder verkaufte ein paar ihrer Zeichnungen. Mit dem Geld kaufte sie Brot für ihre Mutter, oftmals aß sie selbst nichts.

"Du musst... stark sein, Liz... für... uns beide..." Liz gab ihrer Mutter einen vorsichtigen Kuss und lief aus dem Zimmer. Sie nahm ihren Bleistift, den kleinen Anspitzer und den Block von dem kleinen Holztisch und hörte noch ein leises "Hab Spaß...", dann war sie draußen, in der verdreckten Seitenstraße.

Auf ihrem 15 Minütigen Schulweg überlegte sie, ob sie nicht doch lieber Geld beschaffen sollte, da aber noch Brot vom Vortag da war entschied sie sich dagegen. Liz wusste, das sich Annabell wünscht, dass sie zur Schule geht um irgendwann einen vernünftigen Beruf zu erlernen. Ohne dieses Wissen würde sie sehr wahrscheinlich nicht hingehen.

In den ersten beiden Stunden hatte sie Mathe. Die Lehrerin, Mrs. Miller, liebte Liz's Zeichnungen, weshalb sie ihr erlaubte zu zeichnen, wenn sie mit den Aufgaben fertig war. Liz mochte Mathe nicht, hatte dadurch dass sie sich um die Buchhaltung ihrer Mutter gekümmert hat, aber viel Übung und war immer sehr schnell fertig.

Sie legte die fertigen Aufgaben zur Seite und blätterte die Zeichnung auf an der sie seit einer Woche arbeitet. Es war ein Bild von ihrem Lieblingsplatz im Wald: Einer kleinen Lichtung umgeben von vielen riesigen, dunklen Tannen. Sie wollte das Bild ihrer Mutter schenken, aber irgendwas stimmte noch nicht. Es strahle noch nicht die gleiche Ruhe und Geborgenheit aus, wie die, die sie fühlte, wenn sie diesen Ort besuchte. Aber genau dieses Gefühl wollte sie Annabell unbedingt zeigen.

In der Pause saß sie Abseits, der anderen Kinder, auf einer kleinen Mauer und zeichnete weiter. Bis Emily, ein Mädchen aus einer reicheren Familie, mit ihrer Freundin ankam. "Hey, Mondauge! Was zeichnest du wieder hässliches?"

Mondauge, so nannten sie die anderen Kinder seit sie denken kann. Liz hatte nur ein normales Auge, ihr rechtes Auge hatte keine Pupille, stattdessen hatte es eine graue, rissige  Kugel, die etwas an den Mond erinnert.

Emily's Freundin riss ihr die Zeichnung aus der Hand und zeigte sie den anderen beiden. "Hehe, sieht aus als hätte, das ne Menge Mühe gemacht." Sie drehte die Zeichnung um und riss sie langsam vor Liz's Augen durch. "Ne-Nein, Bi-Bitte lass das!" "Ups. Zu spät." Die beiden fingen an ausgibig zu lachen.

Liz stand auf, dabei umfasste ihren spitzen Bleistift fest: "Ich habe gesagt du sollst das lassen!" Sie sprang in die Richtung von Emily's Freundin und rammte ihr den Stift in den Hals. "Mondauge ist ein Monster!!", Emily's Augen weiteren sich panisch, bevor sie wegrannte.

Liz atmete stark. Als sie sich langsam beruhigt hätte realisierte sie was sie getan hatte. "Das... wollte ich nicht...". Mrs. Miller, die Emily's panisches Schreien gehört hatte, lief besorgt aus dem Gebäude und erblickte Liz vor dem totem Körper. "Elizabeth..."

Als Liz ihre Lehrerin entdeckte lief sie panisch los. Nur nach Hause! In die Arme ihrer Mutter! Aufwachen aus diesem Alptraum!

Vor der dreckigen Seitengasse, stand ein größeres schwarzes Auto. "Ma-... Mama? Nein! MAMA!" Liz änderte ihre Richtung und rannte jetzt in Richtung des Waldes.

Neben dem Wagen, steht ein größerer Mann in einem Arztkittel, der sie aus den Augenwinkeln beobachtete. Er kicherte leicht.

MondaugeWhere stories live. Discover now