Teufelskerle - Steampunk-Kurzgeschichte

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„Habt Ihr schon von diesen Teufelskerlen gehört?" Schwungvoll schließt der in seine Paradeuniform gekleidete ehemalige Colonel des Heeres ihrer Majestät den Daily Telegraph und fasst sein gut beleibtes Gegenüber in dem teuren Tweetanzug mit stechendem Blick ins Auge. Wie Regentropfen, die an einem stürmischen Herbsttag an die Fensterscheiben klopfen, trommeln seine Finger auf die verschwommene Schwarz-weiß-Lithographie eines Heißluftballons.

Der Mann auf der anderen Seite des Taekholztisches, dessen Blick bisher aus dem Fenster der kleinen Gondel hinaus auf die Berglandschaft gerichtet war, schrickt bei der plötzlichen Ansprache des Colonels zusammen, fasst sich aber sogleich wieder und richtet sich respektabel auf. Ein Augenblick genügt ihm, um die Abbildung zu erkennen. „Natürlich habe ich davon gehört. Die Londoner Gesellschaft spricht seit Tagen von nichts anderem.", wedelt er die Begeisterung des Militärs mit einer nonchalanten Handgeste beiseite.

„Und das zu Recht!", poltert der grauhaarige Soldat und schlägt die Hacken zusammen. „Mit etwas Glück haben diese beiden Helden den Krieg für uns gewonnen."

Unbehaglich zupft sich der Dicke am viel zu engen Hemdkragen. Umständlich kramt er in der Brusttasche seines Jackets herum und fördert ein überdimensionales Taschentuch zu Tage, mit dem er sich den Schweiß von der von spärlichen Haarresten kaum mehr verhüllten Stirn tupft. „Nun, ich bin wahrlich kein Mann des Militärs, aber mir will doch scheinen, dass ein einziger Erkundungsflug über die feindlichen Linien noch nicht ausreicht, um die Kriegsmaschinerie des Deutschen Reiches sofort zum Erliegen zu bringen. Soweit ich gehört habe, rücken die Preußen weiter nach Westen vor, ohne sich vor diesem Heißluftballon in die Hosen zu machen, Captain."

„Colonel, wenn ich bitten darf!" Der grauhaarige Soldat schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Reflexartig zuckt der gut gekleidete Fluggast zurück. „Was seid Ihr doch für ein Hasenfuß.", macht sich der Colonel daraufhin über den Zivilisten lustig. „Aber Ihr werdet schon noch sehen! Diese beiden,", er deutet auf die Ablichtung des Ballons, „werden die wahren Helden dieses Krieges sein. Und solche Helden sind genau das, was Britannien in dieser Stunde braucht."

„Nun, ich für meinen Teil gebe einem bequemen Sessel, einem torfigen Whiskey und einem gut gefüllten Bankkonto dem Dasein als Held eindeutig den Vorzug.", bügelt der gut gekleidete Fahrgast die Bemerkung des Colonels beiseite. „Wisst Ihr, Helden tendieren dazu, doch arg früh das Zeitliche zu segnen."

Ein vorsichtiges Räuspern verhindert die hämische Antwort, die dem Militär bereits auf der Zunge liegt. Verwundert heben er und der Tweedträger die Köpfe. „Entschuldigung, die Herren.", spricht sie ein hochgewachsener Mann mit schwarzem Anzug an und lüpft die Melone zum Zeichen der Ehrerbietung. „Gestatten, mein Name ist Warren Howard. Und dieser junge Herr hier,", seine Hand weist auf einen adrett gekleideten Mann, der kaum dem Knabenalter entwachsen scheint...

„Anthony Spencer, zu Ihren Diensten!", fällt ihm der junge Mann ins Wort und überspielt diese Respektlosigkeit mit einem schelmischen Grinsen.

„Nun,", Warren Howard gelingt es erstaunlich schnell, die Fassung wieder zu erlangen, „wir hatten uns die Frage gestellt, ob es den beiden Gentlemen genehm wäre, dass wir uns zu Ihnen setzen und uns gemeinsam die Reisezeit mit einer Partie Whist verkürzen. Ihr scheint die einzigen weiteren Engländer an Bord zu sein."

Der Colonel lässt seinen Blick durch die kleine Fahrgastgondel schweifen. Außer ihnen sitzen nur vier weitere Fahrgäste an einem Tisch zusammen. Die Geräusche in der Gondel lassen es nicht zu, ihr Gespräch zu verstehen, aber sie scheinen ganz eindeutig keinen engischen Dialekt zu sprechen.

„Whist." In die Augen des dicken Anzugträgers tritt ein begeisterter Glanz. „Der Himmel schickt Euch. Ich kann mir kaum einen besseren Zeitvertreib vorstellen, als dieses kultivierte Kartenspiel. Und bis Lausanne wird es sicher noch eine ganze Weile dauern."

TeufelskerleWhere stories live. Discover now