1| accusation of murder

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today   -  Kendra

Drei Tage war es her. Drei Tage war es her, dass unsere Kursfahrt ein böses Ende nahm. Drei Tage war Annabelle schon tot.

Ich war nie wirklich mit ihr befreundet oder ihr emotional nah gewesen und trotzdem lief es mir bei dem Gedanken an ihren Tod, kalt den Rücken hinunter. Egal wen es aus dem Umfeld traf, es war immer ein Schock. Ein Moment der die Zeit anhielt. Alle Erinnerungen von dieser Person schossen einem durch den Kopf und man versuchte zu realisieren, dass man sich niemals wieder sehen würde.

Annabelle und ich kannten uns vier Jahre. Seit Beginn der Highschool. Anfangs kannten wir uns jedoch nur flüchtig, weil wir ein paar Kurse zusammen gehabt hatten. Trotzdem ist es nie mehr als ein freundliches Lächeln hier und da gewesen. Bis zum letzten Jahr.

»Ist alles okay?«, riss Mom mich aus meiner Trance. Ich richtete meinen Blick zuerst auf meine Schüssel, in der ich geistesabwesend in meine Cornflakes herumgestochert hatte, die jetzt schon ziemlich pampig und aufgeweicht waren. Dann schenkte ich meiner Mom die Aufmerksamkeit. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich Sorgen machte. Ich hatte kaum gesprochen, seitdem ich von der Fahrt zurück war. Annabelle war tot und die Ursache wurde noch untersucht. Mir saß der Schock immer noch so tief in den Knochen, dass ich einfach nicht darüber reden konnte. Ich wollte sie wirklich nicht belügen, aber ich konnte nicht riskieren das Frühstücksthema auf Annabelle zu lenken.

»Denkst du über...«, ich unterbrach meine Mutter scharf. »Ja. Wie könnte ich auch nicht? Immerhin kannte ich sie.«

Mom nickte nur und rührte in ihrer Kaffetasse.
»Ich weiß, Kendra. Ich will nur, dass du mit mir redest. Ich merke doch, dass dich das sehr belastet.«

»So gut kannte ich sie auch wieder nicht«, murmelte ich leise und spürte dennoch einen Stich in meinem Bauch.

Mein Handydisplay leuchtete auf.

Helen: Kannst du mich heute mitnehmen?

Ich: Jo

Es war die erste Nachricht, die Helen und ich miteinander gewechselt hatten, seitdem wir wieder zuhause waren. Es war die letzten Tag so still um mich herum, dass ich das Gefühl hatte dass selbst die virtuelle Welt stehen geblieben war und im Akt der Trauer verharrte.

»Ich mach' mich jetzt auf. Muss Helen noch abholen«, waren die letzten Worte an meine Mutter, bevor ich aufstand und aus dem Esszimmer verschwand.

• • •

Auch wenn es offiziell noch Sommer war, wurde es Morgens immer kälter. Die Nachmittage blieben jedoch überwiegend warm und sonnig. Ein kleiner Trost bei dieser ganzen Tristheit.
Ich zog meinen braunen Herbstmantel, den ich vor einer Woche vom Dachboden gekramt hatte, enger zusammen. Als ich die Fahrertür meines Autos öffnete, knarzte diese ein wenig. Ich war etwas überrascht das Geräusch wahrgenommen zu haben, da ich mich schon so daran gewöhnt hatte, dass es mir eigentlich kaum mehr auffiel oder mich störte. Doch heute war es einfach anders. Ich ließ mich auf den dicken Ledersitz gleiten und steckte mein Handy an das kaputte Aux-Kabel und startete meine Rock Playlist.

Nach dem Schließen der Tür, drehte ich die Musik so laut, dass man sie sicherlich von außen hören konnte. Ich musste den Beat in meinem ganzen Körper spüren. Ich wollte, dass er mich einnahm, meine Atmung kontrollierte, mich ablenkte und aus dem Hier und Jetzt brachte.

Der auftauchende Gedanke an sie, ließ meinen Magen wieder zusammenziehen. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn ich diejenige gewesen wäre, die sie gefunden hätte. Wenn sich ihr blutüberzogener Körper, die leichenblasse Haut und die Kälte ihrer Gesichtszüge in mein Gehirn gebrannt hätten.

town of sinnersWhere stories live. Discover now