Teil 30

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Drake
Wie kann man einen Menschen beweinen, der gestorben ist? Diejenigen sind zu beklagen, die ihn geliebt und verloren haben.
-Helmut von Moltke

Gregory Beaufort hat offenbar noch ziemlich viele Menschen, die auf seiner Seite kämpfen. Ich weiss nicht wo er all diese Verbündeten gefunden hat, aber die Menge erstaunt mich immer wieder.
Wieso will jemand an seiner Seite kämpfen?
Ich kann es mir wirklich nicht erklären aber anscheinend erachten es viele Menschen als Sinnvoll, für ihn ihr Leben zu riskieren.
Ich weiche einem Schlag aus, umkreise den Mann und schlage ihn von hinten bewusstlos.
Wir kämpfen schon seit einer Weile und sind ziemlich weit voran gekommen. Wie erwartet hat der König überall Steine aufgestellt oder Rinnen in den Boden geschlagen, sodass die Muster ergeben, die er für sein Ritual braucht. Er hat dafür einen Grossteil der einstig wirklich schönen Stadt zerstört.
Er selbst steht nicht mehr allzu weit von uns entfernt unter einer Art provisorischen Kuppel. Neben ihm steht der Verrückte, der ihm das ganze hier eingeredet hat. Beide tragen festliche Gewänder und viel Goldschmuck.
Zusammen mit einer andere, etwas älteren Frau stehen sie um ein kleines Feuer und scheinen etwas aufzusagen.
Schlussendlich ist es mir egal, was genau sie dort machen, den momentan sieht es so aus, als ob wir diese Schlacht gewinnen werden. Unter seinen Verbündeten sind nur wenige, die wirklich kämpfen können. Der Rest sind grösstenteils Bauern oder einfache Dorfbewohner, die in ihrem Leben nicht viel mit kämpfen zu tun hatten. Jedenfalls nicht in dem Sinne.
Die die kämpfen können und wahrscheinlich auch dafür ausgebildet wurden, stehen in einem kleinen Kreis um den König herum.
Es sind nicht viele, nur einige Bogenschützen auf den Dächern, einige Schwertkämpfer und offenbar noch ein paar Söldner, die er aus den anderen Ländern angeworben hat.
Ein Mann mit einer Lanze rennt schreiend auf mich zu. Das ist nicht wirklich effizient, wenn man jemanden angreifen will.
Ohne grosse Probleme schlage ich ihm die Lanze aus den Händen und werfe ihn zu Boden.
„Du kämpfst auf der falschen Seite, mein Freund, lauf solange du noch kannst." Rate ich ihm, bevor ich mich von ihm abwende und einem der Rebellen helfe gegen zwei Gegnern zu kämpfen.
Wir kommen gut voran.
Die vorderste Front ist schon fast beim König angekommen es fehlen nur noch ein paar Meter, die von den ausgebildeten Kämpfern bewacht werden. Doch wir übersteigen ihre Zahl um einiges, es sollte also keine überraschende Wendungen mehr geben.
Aber was hat Xayra vorhin nochmals gesagt? Freu dich erst über einen Sieg, wenn du ihn auch wirklich hast.
Tja so ist mein Mädchen nun mal, bei ihr gibt es sowas wie Zuversicht nicht, nur harte Fakten.
Gott, ich liebe sie so sehr.
Wo wir gerade bei meinem Sonnenschein sind, wo ist sie eigentlich?
Mit ein paar schnellen Bewegungen, schalte ich meinen Gegner aus und sehe mich in der Menge nach Xayra um.
Ich habe sie vor einer gefühlten Stunde im Gewirr des Kampfes verloren und seither such ich sie eigentlich.
Wenn mich nur nicht andauernd irgendwelche Leute angreifen würden.
Plötzlich meine ich ihren blonden Zopf gesehen zu haben. Sie steht irgendwo bei der vordersten Front.
Zielstrebig laufe ich auf die Person zu, die mit 80 Prozentiger Wahrscheinlichkeit meine Xayra ist.
Es dauert eine Weile bis ich mich endlich durch all die Menschen gekämpft habe. Als ich näher komme, erkenne ich meinen Sonnenschein ganz klar, wie sie gegen eine andere, offensichtlich weniger gute Kämpferin kämpft.
Nur noch wenige Meter trennen mich von Xayra, als ich sehe, wie einer der Bogenschützen auf den Dächern, seinen Bogen hochhebt. Sein Blick ich dabei konzentriert auf Xayra fixiert.
Nein, nein, nein...
Ich beschleunige meine Schritte und renne so schnell ich kann auf sie zu. Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas passiert...
„Xayra!" rufe ich ihren Namen, doch sie hört mich nicht und genauso wenig sieht sie die drohende Gefahr auf dem Dach.
Verdammt!
Ich werde sie nicht auch noch verlieren!
Das würde ich nicht verkraften...
Ich schubse jeden aus dem Weg und gebe mein bestes, um so schnell wie nur möglich bei ihr zu sein.
Ich werfe dem Bogenschützen einen Blick zu und sehe, wie er einen Pfeil aus seinem Köcher zieht und ihn in den Bogen spannt. Nein!
„Xayra, pass auf!" rufe ich nochmals. Dieses Mal hört sie mich. Mit einem Dolchhieb schaltet sie ihre Gegnerin aus und sieht dann überrascht zu mir.
Es scheint, als ob sie einen Moment braucht, um zu realisieren, was ich gesagt habe. Kaum hat sie es erfasst, sieht sie sich verwirrt um.
Gerade als ich endlich bei ihr angekommen bin, lässt der Schütze die Sehen des Bogens los und der Pfeil fliegt mit rasender Geschwindigkeit auf meinen Sonnenschein zu. Ohne zu zögern reisse ich sie in meine Arme und drehe uns so, dass mein Körper als Schutzschild fungiert.
Ich schreie kurz schmerzerfüllt auf, als sich die Metallspitze des Pfeils in meinen Rücken bohrt. Ein paar Sekunden später folgt auch schon der nächste.
Oh verdammt.
Ich spüre wie meine Beine unter mir nachgeben und falle zu Boden. Xayra versucht mich dabei so gut wie möglich zu stützen aber anstatt mit aufrecht zu halten, ziehe ich sie einfach mit mir zu Boden.
Ich zische auf, als ich auf dem Rücken lande und sich die Pfeile somit noch tiefer in meinen Körper bohren.
Plötzlich überkommt mich ein Hustenreiz. Ich huste einige Male in meine Hand und als sich sie wieder von meinem Mund entferne, sehe ich Blut an meiner Handfläche.
Ich denke, das ist kein gutes Zeichen... „Drake..." haucht Xayra leise als sie mich schockiert anstarrt.
„Drake, was hast du dir nur dabei gedacht?" fragt sie wütend, als sie langsam wieder aus ihrem Schockzustand erwacht und die Situation beginnt zu verarbeiten.
„Ich konnte doch nicht zulassen, dass dir etwas passiert, mein Sonnenschein." meine ich lächelnd.
Ich bereue es nicht, mich vor sie geworfen zu haben, im Gegenteil, ich würde es jederzeit wieder tun.
„Aber-„ sie wird unterbrochen durch laute Jubelschreie. Ich nehme mal an, wir haben gewonnen. Gregory Beaufort ist endlich gestürzt und so gibt es schliesslich doch ein Happyend.
Ich bin mir sicher, wenn ich meinen Kopf drehen würde, könnte ich das wütende und besiegte Gesicht des Königs erkennen, nur will ich das gar nicht.
Ich bin nicht dumm. Ich weiss das ich das hier wahrscheinlich nicht überleben werden und wenn es so ist, will ich nicht meine letzten nicht Momente damit verbringen den Mann anzusehen, der meinen Bruder und meine Mutter auf dem Gewissen hat. Ich verbringe meine verbleibende Zeit lieber damit, die Frau zu betrachten, die mein Herz innert kürzester Zeit im Sturm erobert hat und es für immer behalten wird. Mein Sonnenschein.
Unzufrieden runzle ich die Stirn, als ich die vielen Tränen sehe, die ihr die Wange runter fliessen.
„Weine nicht mein Sonnenschein, wir haben gewonnen." sage ich und hebe meine Hand, um die Tränen wegzuwischen. Dabei durchfährt ein stechender Schmerz meinen ganzen Körper, doch es ist mir egal.
„Mag sein, aber zu welchem Preis?" meint sie in einem bitteren Ton und plötzlich fühle ich einen andern Schmerz, als bisher.
Viel schlimmer und penetranter als alle körperlichen Schmerzen erfüllt er mich.
„Du solltest nicht um mich weinen, mein Sonnenschein... Ich werde immer bei dir sein, auch wenn ich nicht mehr da bin." versichere ich ihr.
„Du wolltest mir zeigen, wie man richtig lebt. Du hast versprochen, dass wir gemeinsam..." sie bricht ab, offenbar ist es zu schmerzhaft es auszusprechen.
„Was soll ich sagen, ich war noch nie gut darin Versprechen zu halten." scherze ich mit einem traurigen Lächeln, bevor ich wieder einen Hustenanfall erleide.
„Aber du bist gut darin Versprechen einzuhalten." sage ich, als ich mich wieder einigermassen beruhigt habe. Verwirrt sieht sie mich mit vom weinen roten Augen an.
Selbst jetzt sieht sie noch wunderschön aus...
„Was meinst du damit, Drake?" fragt sie nach.
„Versprich mir, dass du weiterlebst. Mach alles, was dir spass macht. Finde neue Leute, die dich lieben und mit denen du deine Zeit verbringen willst."
Bei meinen Worten schüttelt sie den Kopf.
„Wie soll ich das alles tun, ohne dich?" will sie wissen, was mich zum Lächeln bringt. „Das wird kein Problem, immerhin bist du doch eine Kämpfern, mein Sonnenschein. Du Schaffst alles, was du dir vornimmst." sage ich stolz. Stolz, dass ich diese unglaubliche Frau lieben durfte und dass sie mich ebenfalls liebt.
„Was wenn ich es nicht will?" flüstert sie leise und wenden ihren Blick von mir ab.
Ich ziehe verärgert die Augenbrauen zusammen. Mit meiner ganzen Willenskraft schaffe ich es trotz den Schmerzen und der immer grösser werdenden Müdigkeit meine Hand nochmals zu heben und ihren Kopf wieder zu mir zu drehen.
Mittlerweile fällt mir das Atmen recht schwer, aber ich werde solange gegen den Tod ankämpfen wie ich nur kann. Ich werde jede einzelne Sekunde erkämpfen, um sie noch mit Xayra verbringen zu können.
„Ich habe nicht mehr lange, mein Sonnenschein, aber ich will, dass du mir versprichst, für mich weiterzuleben." Ich atme ein paar Mal schwer ein und wieder aus. „Ich weiss nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, aber falls es eins gibt, werde ich meine Bruder und meine Mutter wieder sehen und irgendwann wirst auch du bei mir sein und dann will ich alles über dein langes, glückliches und interessantes Leben erfahren, versprich es mir, Xayra.l sage ich so laut ich es noch kann, doch meine Worte kann man wohl nur noch als flüstern bezeichnen.
Sie zögert. In ihren Augen sehe ich die überwältigenden Schmerzen, die auch ich empfinde.
Ich will sie nicht verlassen, ich will mit ihr das Leben leben, welches ich ihr versprochen habe, aber ich kann nichts an der aktuellen Situation ändern und ich will auch nichts ändern, wenn es bedeuten würde, dass Xayra jetzt an meiner Stelle wäre.
„Versprich es mir..." fordere ich sie mit aller Kraft erneut auf, als sie immer noch nichts gesagt hat.
„Ich verspreche es..." haucht sie schliesslich und küsst mich sanft auf die Stirn. Eigentlich möchte ich ihr noch so viel sagen. Ich möchte ihr sagen, wie unendlich dankbar ich ihr bin, dass sie meinem Leben wieder einen Sinn gegeben hast und mich aus meiner Dunkelheit geführt hat. Sie ist mein Sonnenschein. Ich möchte ihr sagen wie sehr ich sie liebe, doch die Zeit für all das läuft mir davon. Ich merke wie die Ränder meiner Sicht langsam immer wie dunkler werden und ich stark um mein Bewusstsein kämpfen muss. Meine Zeit hier ist bald vorüber, weshalb ich mich noch auf das wichtigste beschränken muss.
„Ich liebe dich, mein Sonnenschein." sage ich. Ich bin mir nicht sicher, wie laut ich es gesagt habe oder ob sie es überhaupt gehört hat, aber ich musste es einfach noch ein letztes Mal aussprechen.
„Ich lieb dich auch, Drake...ich werde dich solange ich lebe lieben und wenn wir irgendwann wieder vereint sind, werde ich dich immer noch lieben."
Ich lächle. Das ist das letzte, was ich höre, bevor ich meine Augen schliesse und den Kampf mit dem Tod aufgeben muss, doch ich tue es ohne Reue und mit dem Gefühl, dass Xayra auch ohne mich gut zurecht kommen wird, immerhin ist sie meine Rebellin, die bisher alles geschafft hat, was sie sich vorgenommen hat. Ich werde auf dich warten, mein Sonnenschein...

💔

XayraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt