„Kann ich dich etwas fragen?“, meint er irgendwann. Ich sehe von meinen Füßen auf zu ihm, die Sonne blendet mich jedoch und ich muss den Blick abwenden. „Natürlich.“ Ich warte darauf, dass er etwas sagt, doch es bleibt still.

„Bist du eigentlich-“, er bricht ab, „ich finde das blöd, dass so zu sagen.“ Zuerst denke ich, dass er weiter sprechen wird, jedoch tut er das nicht. „Luke, ich werde es schon nicht falsch verstehen.“ Er nickt zaghaft und räuspert sich. „Bist du eigentlich, beziehungsweise hast du eigentlich eine Essstörung?“

Ich hebe eine Augenbraue, frage mich, wieso ihm diese Frage nun unangenehm war, nach all dem, was er bereits gesehen hat, allerdings komme ich nicht zum Antworten. „Ich meine, Jane hatte mal eine. Sie war magersüchtig oder ist es vielleicht immer noch. Ich weiß nicht, ob man so etwas einfach loswerden kann oder ob es für immer bleibt und ich konnte sie das nicht fragen, weil wir uns dazu nicht nahe genug stehen. Sie war damals in der Klinik und als sie wieder kam hat sie uns gesagt, dass wir sie zum Essen zwingen sollen, falls sie sich irgendwann wieder weigern sollte, da sie nie wieder dorthin will und auch nie wieder so dünn werden will wie vor ihrem Aufenthalt in der Klinik. Nicht dass es dazu kam, aber du isst auch oft nichts. Seit deinem Alptraum isst du noch weniger und ich will nur wissen, ob ich dir irgendwie helfen kann, weil ich nicht will, dass du zurück dahin gehen musst, wo du nicht mehr hinwillst. Also die Klinik. Und Deutschland. Und ich will auch nicht, dass du wieder weggehen musst.“

Mittlerweile sind wir stehen geblieben und ich kann ihn ansehen, weil sein Körper die Sonne bedeckt. Ich weiß nicht, wie ich ihm darauf antworten soll. Weiß nicht, was sein letzter Satz bedeuten soll, weiß es vielleicht doch, aber will es nicht wahr haben.

„Ich-“, beginne ich und sehe an ihm vorbei auf das Meer. „Ich bin nicht magersüchtig“, sage ich dann irgendwann, „und habe auch keine Bulimie. Um es genau zu sagen, hasse ich meinen Körper so wie er jetzt ist. So dünn.“ Luke setzt an, um mir zu wiedersprechen. „Lass es, Luke. Ich weiß, dass er zu dünn ist und dass es nicht schön ist. Egal, was du jetzt sagst. Keine Ahnung, wie ich dir das erklären soll. Mein Körper arbeitet einfach nicht mit meinem Verstand zusammen und dann kommt alles, was ich zu mir genommen habe, einfach wieder raus. Deswegen esse ich oft nichts und ich weiß, das ist falsch. Ich kann auch nicht mit Domenik darüber sprechen, dass es schlimmer geworden ist, weil ich Angst habe, dass ich dann zurück muss, weil er denkt, ich sei überfordert.“ Meine Unterlippe fängt an zu zittern, meine Augen werden feucht. „Und ich will nie wieder zurück, Luke. Ich kann nicht zurück nach Deutschland, weg von euch. Von Sam und Jane. Von dir.“ Ich atme zittrig ein. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, Luke. Es ist so – ich bin so-“, schluchze ich, kann es nicht aussprechen, will es nicht aussprechen. „So kaputt“, hauche ich dann doch und er zieht mich in seine Arme, lässt mich in sein T-Shirt weinen. Er sagt nichts und das ist auch gut so. Es gäbe nichts, was er hätte sagen können. Eine Umarmung reicht, ist alles was ich gerade brauche.

Als ich mich beruhigt habe, wische ich mir die Tränen von der Wange und wir gehen weiter. Sein Shirt ist nass, er zieht es einfach aus. Wir schweigen und irgendwann, irgendwann greift er einfach nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander als wäre es völlig normal. Als wäre es das Normalste auf der Welt. Als wäre es nicht wunderschön. Als würde es mich nicht verrückt machen.

Wir setzen uns dicht beieinander auf den Sand, sehen den Menschen dabei zu, wie sie im Meer schwimmen, zusammen Ball spielen oder sich unter der Spätnachmittagssonne sonnen. Wir schweigen uns weiter an, allerdings unterbricht Luke die Stille.

„Bist du denn überfordert?“ Ich lecke mir über die Lippe, weiß nicht was ich sagen soll. Ob ich lügen soll. „Ja, schon. Aber das ist okay.“ Er nickt leicht, kaum merklich, gedankenverloren.

Splitterseele Where stories live. Discover now