Kapitel 20

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Manchmal sieht man Bus- oder Bahnhaltestellen, deren Glasscheiben komplett gesplittert sind.

Dennoch hält die Scheibe.

Sie hält in der Fassung der Haltestelle.

Diese Haltestellen stehen metaphorisch für mein Leben.

Offensichtlich ist es kaputt, doch irgendwie hält es.

Es hält sich und erfüllt seinen Zweck.

Hält Regen und Wind fern und bietet einen Unterschlupf.

Amy Brookes war der Schlag, der fehlte, um das Glas aus der Fassung zu trennen und alles splitternd zu Boden krachen zu lassen.

Hektisch war ich aufgesprungen, wobei mein Stuhl hinter mir krachend zu Boden ging, während Amys blaue Augen mich musterten. Mich musterten, um zu erkennen, wer vor ihr stand.
Einige Sekunde dauert es bis aus ihrem verwirrten Gesichtsausdruck ein Schock abzulesen war.
Ihre Lippen formten ein Oh mein Gott, sie machte auf den Absatz kehrt und verschwand mit einem lauten Knallen der Tür.

Alles war verschwommen und ich nahm die Geräusche um mich herum nur gedämpft war, als wenn alle meine Sinne betäubt wären, umwickelt von einem schweren Schleier.
Meine Hand wanderten zu meiner Brust, wo ich meine Herz spüren konnte.
Mein Herz, von dem ich dachte, dass es stehen geblieben wäre.
Flashbacks holten mich ein und trafen mich wie scharfe Messerklingen.

Amy, die rittlings auf dem Schoß von Noah saß.

Amy, die ihn gerade überall küsste.

Amy und Noah, die mich entsetzt angesehen hat.

Sie war Platz 2 auf meiner Liste von Menschen, die ich niemals in meinem Leben wiedersehen wollte.

Ohne etwas zu sagen, bewegte ich mich Richtung Tür. Linas verwirrte Fragen, die nur sehr leise in meinem Kopf ankamen, ignorierte ich.

Kaum hatte ich den Flur erreicht, brach dieser unendliche Schmerz in meiner Brust über mir ein. Langsam sank ich zu Boden. Meine Tränen liefen unaufhörlich über meine heiße Wangen und ich schluchzte so laut, dass sogar ich mich davor erschrocken hatte. 

Ich hatte geglaubt, dass ich diesen Schmerz nie wieder fühlen würde.

Ich hatte geglaubt, dass ich diesen Schmerz nie wieder fühlen müsste.

Und doch war er da. Lebhaft. In meinem ganzen Körper.

Mein Körper zitterte unaufhörlich, als mich jemand hochhob und zur Couch trug.
Meine Tränen und meine Hände unter denen ich mein Gesicht vergrub, versperrten mir jegliche Sicht, doch später wusste ich, dass alle da waren.

Ich hatte in der Mitte der Couch gesessen. Leon hinter mir, sitzend auf Lehne, seine Füße hinter meinem Rücken, drückte er mich nach hinten, so dass ich an seinen Schienbeinen lehnte.
Samy saß links von mir, sein Arm eingehakt in meinem, sein Blick auf mich geheftet und Luke auf der rechten Seite, tat es ihm gleich.
Lina und Cami saßen vor mir auf dem Boden, nacheinander hatten beide eine meiner Hände gegriffen und drückte diese nun fest.
Ohne mein Hände konnte ich mein Gesicht nicht mehr verbergen und auch wenn es mehr als deutlich war, dass ich weinte, wollte ich nicht, dass sie mich so sehen.
Ohne meine Hände fühlte mich fast nackig. Entblößt.

Mein Kopf lag im Nacken, angelehnt an Leon, der kaum merklich tröstend über mein Kopf streichelte, während Tränen unaufhörlich über meine Wangen rannen.

Bis auf ein heftiges Schluchzen, das wie ein Schlag alle paar Sekunden meinen ganzen Körper durchzog, war es absolut still.

Es war, als würden alle warten.

Warten, dass ich irgendwas tat.

Warten, dass ich irgendwas sagte.

Eine Stunde.

60 Minuten.

3600 Sekunden.

Solange hatte es gedauert allen meine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte meines Lebens. Die Geschichte, die mich verfolgte. Die Geschichte, die alles verändert hatte, doch nun für sie auch einiges erklärte, während ich mich selbst immer wieder durch Luft holen und Schluchzen unterbrach.
Es war an der Zeit gewesen endlich darüber zu reden und auch wenn es gerade schmerzte wie am ersten Tag, wusste ich, dass es mir besser gehen würde.

Als ich endete, saßen wir alle noch eine ganze Weile wortlos da. Keiner von ihnen wollte diese Geschichte in irgendeiner Form kommentieren. Eine gefühlte Ewigkeit verging bis sich Luke als erster rührte und aufstand. Tatsächlich hätte ich ihm missmutig hinterher geschaut, wenn ich die Kraft gehabt hätte.

Langsam versiegten auch meine letzten Tränen, als Luke mich mit einer großen Decke umwickelte, mich hochhob und mich in sein Bett transportierte.
Luke und Samy lagen links und rechts neben mir und schmiegten ihre Körper an meinen.

Wahrscheinlich war es irgendwie eine komische Situation gewesen, allerdings hatte es sich nicht so angefühlt.

Cami und Leon mit Lina auf dem Schoß saßen auf der Bettkante. Alle Augenpaare auf mich gerichtet.

Keiner war bereit zu gehen.

Alle waren bereit an Ort und Stelle zu verharren.

Solange wie es nötig war.

Ein weitere Mal realisierte ich was Noah mir angetan hatte. Er hatte mein Herz gebrochen und Amys Anblick hatte den Rest einstürzen lassen.

Doch ich realisierte auch den Wert dieser fünf Menschen, die hier waren.

Leon.

Lina.

Cami.

Samy.

Luke.

Sie würden alles dafür tun, um jedes kleine Stück meines Scherbenhaufens aufzusammeln und alles wieder zusammenzusetzen.

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