21. Kapitel

1.1K 93 66
                                    

Ich übernehme keine Verantwortung für das, was passieren wird



Das bekannte Geräusch der Beatmungsmaschiene ist das erste, was ich höre, als ich zu mir komme. Der Geruch nach Sterilisation und Krankenhausbetten steigt mir in die Nase.

Nicht schon wieder.

Langsam kann ich diese Dinger nicht mehr ab.

Vorsichtig bewege ich meine Finger, um sicher zu gehen, dass noch alles klappt. Was ist überhaupt passiert? Ich kann mich kaum noch erinnern.

„Ich glaube er wird wach!"

Die bekannte, süße Stimme meiner Schwester nimmt das unerträgliche Piepen aus meinem Kopf.

„Lottie ...", hauche ich leise und hebe einen Arm, um kurz darauf ihre warme, weiche Haut zu berühren. Meine Augen halte ich vorerst geschlossen. Sie brennen noch zu sehr.

„Ich hole einen Arzt!"

Das wird dann meine Mutter gewesen sein. Eine Tür geht auf und fällt dann in die Angeln. Sie ist weg. Dann ist es wieder still.
Lottie streichelt langsam meinen nackten Arm auf und ab, es beruhigt mich auf eine unerklärliche Art und Weise.

Nach ein paar Minuten wird die Tür aufgerissen. Ich zucke zusammen und ziehe den Arm aus Lottie's Händen.

„Da haben Sie ja noch mal ordentlich Glück gehabt, Louis.", trällert ein Mann mit lautem Organ in das Zimmer. Warum müssen Ärzte immer so laut sein?

Ich beschließe gar nichts zu erwidern und lege beide Hände auf mein Gesicht. Es tut so weh ...

„Hören Sie, es ist wichtig, dass Sie Ihre Augen öffnen.", bittet er mich und scheint jetzt neben meinem Bett zu stehen.

Da ich mit einer Überraschung oder irgendetwas gefährlichen rechne, wage ich es, obwohl mir dabei nicht wohl ist. Sie sind total verklebt und total gereizt.

„Gut so. Was sehen Sie?", will er weiter wissen.

Ich lasse mir einen Moment Zeit, damit meine Augen sich an das Licht hier drin gewöhnen können. Es ist nicht ganz so erdrückend hell, wie sonst in Krankenhäusern, eine gedimmte Nachttischlampe ist die einzige, angenehme Lichtquelle.

„Es tut weh. Es fühlt sich geschwollen an.", murmle ich leise.

„Aber Sie können sehen?", bohrt er nach. Jetzt drehe ich den Kopf und erkenne auch schon die Personen im Zimmer. Dann nicke ich.

Lottie, meine Mutter und der Arzt scheinen super erleichtert nach dieser Bestätigung meinerseits. Was ist hier los?

„Sehr schön. Ich werde Ihnen eine Augenbinde mit etwas Wund und Heilsalbe verpassen, die Sie für die restliche Nacht drauf behalten müssen. Morgen früh sehen wir dann weiter."

Als der Doktor wieder verschwunden ist, wende ich mich an meine Familie. Sie sehen mich an, als sei es ein Wunder, dass ich hier bin.

"Wie spät ist es?", lockere ich die Situation auf.

„Es is halb acht Uhr abends.", antwortet Lottie sanft und nimmt meine Hand.

Stirnrunzelnd überlege ich.

„Wie lange ... wie lange habe ich geschlafen?"

„Eine knappe Woche, mein Liebling." Bei den Worten kommen meiner Mutter die Tränen und sie legt ihren Kopf an meine Schulter.

Erschrocken fahre ich auf und sitze im Bett.

„Eine Woche?!", frage ich total fassungslos.

„Bitte, bleib liegen.", warnt meine Schwester mich und hält meinen Arm weiterhin in ihren Händen.

„Wir haben die ganze Zeit über gedacht, dass du es vielleicht nicht ... nicht ..."

Schluchzend dreht meine Mutter sich weg und wischt sich über die Wangen.

„Aber du hast ein starkes Herz, Brüderchen.", sagt Lottie im halben Lachen, während auch ihr eine Träne über das Gesicht läuft.

Und da trifft es mich wie ein Schlag. Starkes Herz.

„W-Wo ist Harry?!"

Sofort werde ich lauter und will wieder auf, aber meine Schwester hält mich auf.

„Er ist auf einer anderen Station, bei Bewusstsein, mach dir da jetzt bitte keine Sorgen drum. Er hat versprochen zu bleiben, bis du wieder ... wieder da bist."

Die Erleichterung, die vom Leib fällt ist kaum zu beschrieben.

„War er auch unterkühlt?"

Fragend sehen meine Mutter und Lottie mich an.

„Er ... ist dir hinterher gesprungen, Louis. Weißt du das gar nicht mehr?"

Im ersten Moment weiß ich gar nicht wovon sie redet. Doch dann durchzucken mich die Bilder der vergangenen Woche und ich habe diesen verfluchten Abend genau vor Augen. Die Kälte. Die Verzweiflung.

„Moment, er ist hinter mir diese Schlucht runter gesprungen? In das Eiswasser? Freiwillig?!", hake ich zur Sicherheit nochmal nach.

„Meine Güte Lou, dieser Typ würde sich für dich vor einen Zug werfen!", knurrt meine Schwester und zupft am Saum meines Kittels.

Ich drehe den Kopf und starre an die Decke. Fuck.

„Ich will zu ihm. Könnt ihr ihn holen? Kann er aufstehen?" Beide schweigen. Ich sehe zu Ihnen. Sie sehen mich an.

Aber natürlich platzt mein Lieblingsarzt wieder rein und mischt diese merkwürdige Situation auf.

Die kommende Nacht Schlaf eich durch. Mein Körper scheint immer noch so schwach von dem ganzen Drama zu sein. Und am nächsten morgen darf ich sogar aus dem Bett und kann meine Umgebung wieder normal wahrnehmen.

Trotzdem weiß ich auch immer noch nichts über Harry. Niemand der Schwestern, der Doktor oder der Pfleger können es mir sagen. Oder ... wollen sie es mir nicht sagen?

Am frühen Abend spaziere ich gedankenverloren durch den Park hinter dem Krankenhaus. Ich hoffe Lottie kommt morgen mal wieder. Ich muss Harry finden. Mich, mal wieder, entschuldigen. Und ihm vor allem danken.

Um so schneller beginnt mein Herz zu schlagen, als ich ihn dann höchstpersönlich auf einer Bank sitzen sehe. Er ist nicht allein. Eine Krankenschwester sitzt neben ihm. Sie ... hält seinen Arm? Und warum trägt er eine Sonnenbrille? Es ist fast dunkel hier draußen ...
Verwirrt trete ich direkt vor die beiden und starre hinab auf Harry. Er reagiert nicht. Sagt nichts. Hebt nicht mal den Kopf.

„Haz?", frage ich mit zitternder Stimme.

„Louis? Bist du das?"

Captured Pt. 2 || L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt