Ein Schauer überkam das kleine Mädchen. Daran wollte sie nie wieder denken.

Kurz schloss sie die Augen, rief sich in Erinnerung, worüber sie eigentlich nachgedacht hatte.

Sie definierte Heimat anders. Der Herbst war ihre Heimat. Weil es die einzige Jahreszeit war, in der der ungewöhnlich kleine, ausgemergelte Körper lächeln konnte, in der sie wenigstens für einen kurzen Moment Frieden finden konnte.

Ihre ganze Art zeugte von der unendlichen Grausamkeit der Welt, von der Tatsache, dass sie niemals eine liebende Hand kennengelernt hatte, die sich um sie sorgte, die ihr alles wichtige beibrachte, die ihr zeigte, wie man sich vernünftig verständigte.

Ihre Haltung war nicht wirklich gerade und der Nahrungsmangel hatte sie klein gemacht, dürr und ausgemergelt, als könne sie der kleinste Wind zerbrechen, wie ein Ästchen.

Und sie sprach merkwürdig. Es war komisch, als würde sie nach jedem Wort schnalzen, als würde sie singen, nicht sprechen.

Fast, als würde sie ein kleines Vögelchen imitieren.

Sie legte ihren Kopf schräg, die wilden, wirren Locken fielen über ihre Schulter und dann drehte sie sich schließlich um, ihr Satz immer noch unbeendet.

Für den Moment musterte sie den braunhaarigen Jungen hinter sich mit den lustigen, schwarzen Zeichen auf der Haut, die sie nie zuvor gesehen hatte.

Sie fand sie schön, dachte sie, auch wenn sie vielleicht ein wenig kantig wirkten. Doch sie gefielen ihr. Irgendwie.

Sie biss sich auf die Lippen, während sie ihn betrachtete, was er nur stumm über sich ergehen ließ, weil es oft vorkam, dass sie vollkommen in Gedanken versunken vor sich her starrte.

Er hatte grüne Augen.

Wie Moos, dachte sie und musste leicht lächeln.

Sie lächelte öfter, seit er zu ihr gestoßen war. Davor hatte sie nicht so oft gelächelt.

Aber der Junge ließ ein warmes Gefühl durch ihren kleinen Körper strömen, ein Gefühl, wie sie es noch nie gespürt hatte, sie kannte es nicht.

Woher sollte dieser ausgemergelte, zerbrechliche Körper schon wissen, dass es Zuneigung war. Zuneigung, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte.

Vielleicht sollte sie ihn Moosauge nennen, nicht Pin, wie er sich bei ihr vorgestellt hatte, dachte sie weiter und ihr Grinsen wurde immer größer, doch auch diese Tatsache entlockte dem Jungen keinen Laut.

Vielleicht auch, weil er es mochte, sie anzusehen. Das hätte er natürlich niemals laut ausgesprochen, dafür war er selbst in seinen jungen Jahren viel zu stolz.

Er mochte, wie sich ihre Nase kräuselte, wenn sie nachdachte, wie die wilden Locken ihr elfenhaftes Gesicht einrahmten, mochte, wie sie den Kopf schräg legte.

Und er mochte das Gefühl, das ihn überkam, wenn sie eben jene kleine Geste einmal mehr zeigte.

Es war komisch gewesen. Wie sie ihn kennengelernt hatte, dachte das kleine Mädchen und wurde bei dem Gedanken wieder ein bisschen traurig, aber das war nicht schlimm, das wusste sie, weil Pin gesagt hatte, dass es ok war manchmal traurig zu sein und, dass er es selber manchmal war, was das Mädchen irgendwie erstaunt hatte.

Bevor sie ihn traf, war sie alleine gewesen, schon immer und dann war er auf einmal aufgetaucht, kaum mehr zwei Jahre älter als sie selbst.

Sie war unglaublich hungrig gewesen, ihr Bauch hatte ganz fürchterlich geschmerzt, Krämpfe hatten sie geschüttelt und sie hatte verzweifelt versucht, ein kleines Vögelchen einzufangen, doch wohl eher halbherzig, weil es sie so süß angezwitschert hatte.

Aruna - Die Rote GöttinWhere stories live. Discover now