VI.4 - Nein

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Die Zeit rennt. Sie flieht schneller als ich ihr folgen kann. 

Deshalb treibe ich mich zu Höchstformen an.

Weiter, immer weiter.

Der Wald ist furchterregend. Neben schauerlichen Kreaturen, die er beherbergt, scheint er noch weitere Tücken zu besitzen. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Mehr als einmal, war ich der Meinung, im Kreis zu laufen. Doch die Nacht ist überall gleich dunkel. Wie soll ich mich in diesem Labyrinth zurecht finden?

Meine Kraft schwindet, die Hoffnung verblasst. Sie stürzt wie ein sterbender Stern vom Himmel und verglüht in der Dunkelheit.

Ich schaue zum Mond auf und abermals frage ich mich, ob er Freund oder Feind ist; ob er mich auslacht oder bedauernd auf mich hinunter sieht.

Weil ich zu keinem Entschluss komme, tapse ich langsam ein paar Schritte weiter. Ich darf nicht stehen bleiben. Die Kälte bringt mich noch um. Das Gehen fällt mir schwer. Selbst das Atmen ist anstrengend. Mühsam kreise ich mit den Schultern, meine Wirbelsäule knackt.

Ich höre das Rascheln der Blätter, nehme das Atmen des Waldes wahr und tauche ein in eine mir unbekannte Welt. Die Nacht ist nicht einfach nur dunkel. Sie ist düster und doch erschreckend schön. Die Nacht versteckt nicht nur, sie beschützt. Sie birgt nicht nur etliche Geheimnisse in sich, sie offenbart und flüstert leise Worte. Wir brauchen ihr nur Gehör schenken, um den Geschichten vergangener Zeiten zu lauschen. So viele Seelen atmen leise in die Nacht hinein. In diesem Augenblick kann ich jede davon spüren.

Oh, Margarethe.

Mein Herz schmerzt. Es brennt und zuckt in meiner Brust. Ich lege meine Hand darauf und schließe die Augen. In ein paar Stunden geht die Sonne auf. Ihr wärmendes Licht wird mich wecken. Und wenn ich erwache, werden sich andere Gestalten zur Ruhe legen. Und auch wenn mein Geist sich dagegen wehrt, so schreit mein Körper nach Erholung. Ein paar Stunden Schlaf, ein oder zwei, mehr nicht.

Augenblicklich erschlaffen sämtliche Muskeln in meinem Körper. Rasend schnell krache ich auf den Boden. Mein Kopf knallt auf eine Wurzel. Brennend durchzuckt mich der Schmerz. Doch eine Reaktion erfolgt nicht mehr.

Mein letzter Blick gilt dem Mond, der sanft auf mich hinunter schaut. Dann versteckt er sich hinter einer Wolke und ich entgleite dieser Welt.

Eine leise Stimme singt meinen Namen. Mühevoll öffne ich die Augen und glaube, einen Engel zu sehen. Sanft schimmernd fließt braunes Haar über zarte Schultern und umspielt ein liebliches Gesicht mit klugen Augen, die mich in Wärme hüllen.

Erneut erklingt mein Name aus ihrem Mund und erst ein paar ewiglange Augenblicke später erkenne ich sie wieder.

Meine Frau. Oh, Margarethe.

Sie lächelt.

Mir hingegen kullern Tränen über die Wangen, als ich endlich die ganze Situation verstehe. Ich lebe noch. Wir leben noch.

Margarethe nimmt mich in den Arm, hält mich fest und murmelt immer wieder leise meinen Namen, bis ich mich wieder beruhige. Ich muss ihr nicht von den schrecklichen Kreaturen, der Angst und meinem Versagen erzählen. Sie versteht mich auch ohne Worte. Und so krabbelt sie wieder neben mich unter die warme Bettdecke, kuschelt sich an mich und gleitet mit den Fingerspitzen sanft über meine Haut. Und mit Wärme und Erleichterung im Herzen lasse ich mich tiefer ins Bett sinken und entspanne mich langsam. Ich sehe den Mond draußen am schwarzen Himmel leuchten und zu uns herein schauen. Sein Glanz geleitet mich sicher in den Schlaf zurück.

Oh, Margarethe.

Was für ein fürchterlicher Traum.

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MondglanzDonde viven las historias. Descúbrelo ahora