2 | Am Sterbebett

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Mom sieht lächelnd zu mir. "Cara, komm bitte her." Ihre Stimme klingt schwach und fast bettelt sie das schon.

Langsam setze ich mich neben Helen an Moms Pritsche. Ich nehme ihre Hand und streiche vorsichtig darüber. "Wie geht es dir?", frage ich vorsichtig. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Dad mich anschaut.

"Nicht gut", antwortet sie. Dabei schließt sie die Augen.

"Du solltest schlafen", rate ich ihr. "Dann hast du mehr Kraft für nachher."

"Nein, wenn ich jetzt anfange zu schlafen, dann komme ich bestimmt nicht wieder", erwidert sie ernst, wobei sie wieder anfängt mir in die Augen zu sehen. "Du musst unsere Ära retten. Wozu gab es denn sonst die ganzen Fortschritte und Investitionen von Mühe und Liebe? Stell dir vor, alles ist weg. Der Mensch ist ein schlaues Tier, auch wenn viele Dinge die er getan hat dumm waren, versuch es, Liebling." Diese Sätze machen mich verrückt.

"Mom, du wirst nicht sterben, glaube doch daran!" Krampfhaft versuche ich ihre anderen Worte zu überhören.

"Hast du gehört was ich gesagt habe? Dass ich sterbe ist erstmal nebensächlich. Du musst die Welt retten. Ich kann das nicht mehr tun. Dad und Helen werden dir helfen, verlier keine Zeit", flüstert sie dringend.

Eine Träne rollt über meine Wange. "Ich weiß noch nicht genau wie ich das anstellen soll. Zwar habe ich einen Plan, aber ob er funktioniert?"

"Die Zeit. Verlier sie nicht! Du musst dich dringend beeilen."

Wow, sie hört mir ja gut zu.

Ich kann sie nicht verstehen. Wieso soll ausgerechnet ich das tun? Schließlich habe ich keinerlei Erfahrung in dem was sie da von mir verlangt. Wobei... es wurden erst vier andere Städte zerstört, also hätte ich durchaus noch Zeit.
"Also gut, ich werde es versuchen, Mom", verspreche ich ihr. Zwar weiß ich nicht, ob das klappt, aber dennoch will ich es versuchen. Für Mom.

Sie nickt zufrieden und sah kurz zu Helen. Diese hat schon wieder Tränen in den Augen. "Mom, bitte stirb nicht!", schluchzt sie. Es ist ganz logisch, dass sie das alles mitgehört hatte. Ich glaube sie hat die Hoffnung Mom wird nicht sterben, aber wenn sie selbst das sogar erkennt, dann wird es so sein.

Ich kann es immer noch nicht realisieren. Wie kann das gehen?
Als kleines Kind träumte man doch immer davon, wie die Mutter sieht wie man aufwächst. Sie will jeden Schritt ihres Kindes mitverfolgen.
In unserer Zeit ist eine Mutter etwas Besonderes. Ich kenne einige aus meiner Klasse, die nur noch einen Vater haben. Jetzt werde ich bald auch zu so jemandem und kann den Schmerz verspüren. Ab jetzt müssen mich andere trösten, wenn man die Mutter mal für ein Projekt braucht.

Aber das ist mein altes Leben.

Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus den Gedanken. „Helen, Liebling. Ich muss", seufzt sie. Traurig nimmt sie Helens Hand und lässt meine los. Vorsichtig streicht sie darüber und lächelt schwach.

Weinend stützt Helen sich mit dem Kopf auf Moms Hand.
Stumm sehe ich zu. Dann schließe ich jedoch langsam meine Augen. Vielleicht sollte ich mir das nicht ansehen, schließlich will ich selber nicht in unsäglicher Trauer versinken.

Bald kommt auch Dad dazu und ich öffne wieder meine Augen. Schmerzvoll sieht er auf seine Frau herab. Sie liegt im Sterben und er kann nichts machen. Wie würde ich mich wohl fühlen? Schlimmer als jetzt, oder weniger schlimm? Allerdings glaube ich, dass ich mich genauso übel fühlen würde.

Apropos übel: Mir ist ziemlich übel, allerdings vor Hunger. Wäre es unhöflich zu fragen, wann wir essen? Egal, ich versuche es einfach indem ich frage: „Wann gibt es etwas zu Essen?"
Stille. Ich wusste es irgendwie. Niemand blickt mich an, also weiß ich, dass es eine schlechte Idee war zu fragen. „Tut mir leid", murmle ich schnell leise.

„Schon okay, Cara. Wir essen gleich etwas", erwidert Dad flüsternd.
Mom schläft auf einmal. Vielleicht liegt es also daran, dass er so leise spricht.

Die Zeit vergeht und langsam schlafe ich ein. Ich habe mich in eine Ecke gesetzt und mache nun die Augen zu.
Dann merke ich, wie Helen sich in meinen Arm kuschelt.

***

Als ich aufwache rieche ich Essen. Sofort schlage ich meine Augen auf und stehe vorsichtig auf, um die immer noch schlafende Helen nicht zu wecken.
In einem Kochtopf kann ich Tomatensuppe erkennen. Dad steht davor.

„Hey, bist du wach?", flüstert er ganz leise.

Als Antwort nicke ich kurz. „Wann gibt's Essen?", frage ich ebenso flüsternd und schaue neugierig in den Topf. Mein Magen knurrt schon und das ist nicht das angenehmste Gefühl.

„Gleich. Weckst du Helen?"

„Ja, mach ich." Leise rüttle ich an meiner Schwester. „Hey, wach auf!"

Was ein Wunder - sie wacht sogar auf! Müde blinzelt sie mich an. „Was ist?", fragt sie mich müde.

„Es gibt Essen", antworte ich. Irgendwie frage ich mich die ganze Zeit, was mit Mom ist. Lebt sie?
Kurzerhand beschließe ich aufzustehen. „Du kommst ja gleich nach, stimmt's?", bemerke ich noch und laufe zu Dad.

Er stellt gerade drei Pappschüsseln auf einen kleinen Campingtisch.
Natürlich helfe ich ihm sofort, allerdings frage ich mich auch, warum nur drei. Will er Mom später etwas ans Bett bringen? Ich denke mal schon, weswegen ich nicht weiter frage.

„Was gibt's zum Essen?", fragt Helen auf einmal hinter mir. Ich habe sie gar nicht kommen hören.

„Ähm... ich glaube Tomatensuppe, oder so", antworte ich noch etwas geschockt. Fast muss ich lachen, dass ich mich vor Helen erschrecke, obwohl unsere Heimat und alle Menschen mit ihr bombardiert wurden.

Es ist lächerlich, wie Mom sagte. Die Menschen haben so viel vollbracht und wer sagt die Menschheit ist dumm, ist selbst ein Dummkopf. Liebe, Mühe, Schweiß, Blut. Alles das würden wir verlieren. Wieso sich also zerstören? Wir könnten vielleicht noch 100 Jahre weiterleben und dann würden wir verbrennen, na und? Es wäre dann immerhin kein Amoklauf der Präsidentin.

Tja, und ich will dafür sorgen, dass dieser Amoklauf schief geht.

Die Zeit - Der schlimmste FreundWhere stories live. Discover now