Oben im Zimmer nehme ich mir mein Handy und sehe, dass ich in die Jahrgangsgruppe hinzugefügt wurde. Am Donnerstag und Freitag wurde eine Liste rumgegeben, damit jeder seinen Namen und seine Nummer für die Gruppe aufschreiben kann. Gerade nennen alle ihre Namen, was ich schnell nachmache und mein Handy zurücklegen will, als ich seinen Namen lese. Selbst geschrieben ist sein Name wunderschön - das ist nur eine Tatsache, mehr nicht. Ich will auf sein Profilbild gehen, muss ihn davor aber einspeichern. Irgendwie nervt es mich, dass ich ihm so viel Aufmerksamkeit schenke. Deshalb speichere ich ihn als Der scheiß Junge ein und schaue mir sehr vorsichtig sein Profilbild an. Nicht, dass ich aus Versehen auf den Hörer drücke und ich ihn dann anrufe. Ich würde im Erdboden versinken. Auf dem Foto hat er Roxy lächelnd umarmt. Das Foto ist echt schön ... wegen Roxy natürlich. Ich schreie einmal frustriert auf und lege mein Handy weg. Er nervt mich! Er soll aufhören, in meinen Gedanken vorzukommen! Mama hat nur an Baba gedacht, falls sie ihn innerlich beleidigt hat. Amir klopft an der Tür. "Alles in Ordnung?" Ich nicke neutral. "Hab nur etwas gesehen, was mich aufgeregt hat, aber jetzt ist es wieder vorbei." Er nickt. "Mach dich dann fertig, damit wir losfahren, ja?" Ich nicke und schaue mir die ganzen vielfältigen Namen an. Unsere Stufe ist echt multikulturell, was mir gefällt. Als letztes lese ich den Namen Didem, ehe ich mein Handy weglege und mich anziehe.

Ich ziehe mir mein rotes T-Shirt an. Es ist einer meiner liebsten T-Shirts, weil ich rot mag und weil eine Rose unter dem Kragen abgebildet ist. Der Garten ist voller Rosen und auch im riesigen Gewächshaus wimmelt es von wunderschönen Rosen und anderen Blumen, wenn man das Obst und Gemüse weglässt. Mama hat sich mit diesem Haus wirklich einen Traum erfüllt. Ich laufe dort gerne durch und kann mir vorstellen, dass ich im Gewächshaus lernen werde. Ich nehme mir meine Hose von gestern, sprühe mich ein und ziehe mir Socken und Schuhe an. Adam sitzt schon auf dem Beifahrersitz von Amirs grauen Audi. Ich muss wieder an die beeindruckten Blicke denken. Was ist an diesem Auto so besonders? Amir steigt mit Adam ein. Na ja, wenn sie staunen wollen, dann bitte. Es ist nur ein wenig Blech auf Reifen, wie Mama so schön zu Baba sagt, wenn er über die neusten Automodelle redet. "Meinst du, Baba kauft mir auch eine S-Klasse?", fragt Adam. "Nicht einmal ich habe eine S-Klasse. Wovon träumst du?", spottet Amir. Wir fahren an den ganzen Häusern vorbei - auch an dem Haus von Dilan und von Yasmin. Amal wohnt weiter weg. Ich schaue aus dem Fenster und gähne. Hat Ardan Instagram? Bestimmt, das haben viele. Aber ich will nicht nachschauen. Solange schreibe ich in unserer Cliquengruppe etwas und werde plötzlich wieder ungeduldig. Scheiß auf den! Ich strecke mich und warte, bis wir endlich im Zentrum ankommen, wo ich und Mama direkt in den Laden stürmen. "Cana, brauchst du neue BHs?" "Können wir das nicht machen, wenn wir alleine sind?", murmele ich. Sie verdreht ihre Augen und zieht mich zur Unterwäsche - ihr Paradies.

"Cana, schau mal. Mintgrüne Unterwäsche." Gott, überall grün! Das macht mich wirklich sauer. "Ich will kein grün." "Dann mehr für mich", säuselt sie. Wieso sehe ich urplötzlich so viel Grünes? Ich habe noch nie so viel Grünes gesehen. Diese Farbe war nie interessant oder auffällig für mich. "Was ist los?" Ich winke ab. "Cana", gibt sie mahnend von sich. "Was liegt dir auf dem Herzen? Ist es wegen des Führerscheins? Du wirst ihn machen, keine Sorge." "Nein, es ist nicht deswegen, wirklich." "Sondern?" Ihre Frage wurde so sanft gestellt. Ich seufze. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Irgendetwas schwirrt in meinem Kopf herum und ich werde es nicht los. Egal was kommt und was ich sehe, ich muss daran denken und ich weiß nicht wieso. Habe ich einen Tumor?" Mama schaut mich erstarrt an. Das sollte man vielleicht nicht zu seiner Mutter sagen oder? "Gott bewahre, das halte ich kein weiteres Mal aus", murmelt sie und atmet tief durch. Kein weiteres Mal? "Was meinst du damit?" Sie schüttelt ihren Kopf. Irgendwann wird sie es mir doch sicherlich erzählen, aber jetzt scheint sie noch nicht bereit zu sein. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich ganz vieles nicht weiß. Ich presse meine Lippen aufeinander und schaue mir die Unterwäsche an. Was soll an diesen kleinen Brüsten gut aussehen? "Mama, ich will nicht." Überrascht sieht sie mich an. "Die sind so klein", flüstere ich. Schmunzelnd umarmt sie mich und gibt mir einen roten BH mit der passenden Unterhose. "Den BH holst du dir. Der wird deinen süßen Früchten super stehen." Sie pikst in meine Brust und kneift mir in den Po. "Und jetzt genug Selbstmitleid, sonst kriegst du Prügel." Mama hat eine Menge an Unterwäsche an ihrer Hand und versteckt mein B-Körbchen unter ihren D-Körbchen.

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