Kapitel 5

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Das waren wir nun. Oder eher gesagt, das waren wir nicht. Die Serpents gab es nicht mehr. Die meisten, die nicht zu den Ghoulies übergelaufen waren, verließen die Stadt, tauchten unter. Wir, die aus irgendwelchen Gründen die Stadt nicht verlassen konnten, hingen im Whyte Wyrm fest. Die einst schicke Bar, bei der wir uns bei jeder Kleinigkeit getroffen hatten, war nun ein riesiges Schlafzimmer mit unzähligen Matratzen und viel zu vielen Menschen auf kleinsten Raum. Es sah nur hilflos und bedürftig aus. Erbärmlich.
Nach der Schlacht wollten wir in unsere Trailer, Sachen zusammenpacken, doch wir sahen nur die leuchtende Flammen, aufsteigend aus unseren Trailern. Während unser Zuhause niederbrannte rannten viele, trotz Hitze und dem bedrohlichem Rauch noch ein letztes Mal in ihr hinein, schnappten sich Sachen, die sie gerade noch kriegen konnten. So auch ich. Ohne jegliches Zeug konnte niemand so wirklich leben.

Hier war ich also angekommen. Ein stickiger Raum. Überall standen Dosen herum und das Klo war dauerbesetzt. Ich übernachtete in einer Bar. Das einzige, was ich mein nennen konnte, waren ein paar Klamotten, eine Sporttasche, mein Handy und etwas Geld.
"Sweet Pea",rief ich ihm zu, als ich ihn in der Menge entdeckte. Ich winkte ihn zu mir. Er hatte auch nur eine Sporttasche mit wenigen Sachen bei sich. "Anna",sagte er erleichtert und küsste mich.

"Ich muss die ganze Zeit an ihn denken",flüsterte ich ihm leidend zu. Ich lag in seinem Arm und eigentlich wollten wir schlafen, doch ich konnte nicht. Er drehte seinen Kopf zu mir. "Ich auch." Ich krallte meine Finger in seine Haare, suchte Halt. "Diesen Kampf haben wir für ihn gekämpft. Wie konnten wir verlieren?" Ich raufte mir die Haare. Wie ich Niederlagen doch hasste. Vorallem, wenn ich für jemand anderen gekämpft hatte. Und ihn somit enttäuscht hatte. Wenn man einen Toten überhaupt enttäuschen konnte.
Sweet Pea schlug zur Antwort seine Faust auf den harten Boden.

Immer wieder schossen mir die Bilder durch den Kopf. Fangs, wie er auf seinen blutenden Bauch schaute, wie er in sich zusammenfiel, wie er mit FP und Jughead ins Krankenhaus ging. Er ging. Und kam nie mehr zurück. Fangs war der beste Freund, den man sich nur wünschen konnte.

Und so kam es, dass ich morgens um 5 Uhr joggen ging. Ich rannte, um dem Schmerz, den Fangs hinterließ, davonzukommen. Das Ende meiner Strecke war das Fitnessstudio. Ich trainierte mehrere Stunden. Ich wollte den Schmerz spüren, den Muskelkater, der meine Muskeln brennen ließ und die Taubheit, die meinen Körper einhüllte, nachdem ich die letzte Kraft in weitere Züge der Gewichte setzte.

"Wo warst du?",fragte Sweet Pea, als ich seinen Trailer betrat. Er schien, nach seinen dunklen Augenringen, kaum geschlafen zu haben, eher stundenlang gegen den Sandsack in der Mitte seines Schlafzimmers geschlagen. "Im Fitnessstudio",antwortete ich knapp und küsste ihn. Er erwiderte nichts. Seine Hände hafteten weiterhin an meinem Körper. Mit einem undefinierbaren Blick schweifte er im Raum umher. "Hmm. Wollen wir gleich noch in die Bar. Ich brauche was Starkes." Ich überlegte kurz. Daraufhin lächelte ich und zog sein Gesicht zu mir hinunter. Alkohol würde jetzt tatsächlich gut tun. Also stimmte ich zu.

"Ich nehme einen Vodka",sagte ich zum Bartypen. Der nahm die Bestellung mit einem verschmitzten Lächeln an. "Ich nehme das selbe",meldete sich Sweet Pea. Wieder ein Lächeln. Der Barkeeper stellte zwei Gläser auf den Tresen, goss eine durchsichtige, wie Wasser aussehende, Flüssigkeit ein und reichte sie uns. Nach und nach tranken wir das ätzende Zeug und machten rum. Unsere Küsse wurden immer intensiver und wir immer benommener. Nach unserem dritten Glas purem Vodka und zwei Flaschen Bier waren wir kurz davor, im Whyte Wyrm zu vögeln. Seine Hände glitten unter mein Shirt, doch Toni zog uns wieder in die Realität. "Was zur Hölle macht ihr da",schrie Toni entrüstet. Ihre Augen wanderten von unseren erneut gefüllten Gläsern zu unseren angeschmiegten Körpern. Wir beendeten die wilde Knutscherei und starrten sie fassungslos an. "Nichts. Wir haben nur Spaß",lallte Sweet Pea und zog weiter an meinem Shirt. Toni blickte uns misstrauisch an. Dann packte sie seine Hand und riss sie von meinem Körper. "Wir alle trauern um Fangs, aber ihr müsst eure Trauer doch nicht in Alkohol ertränken",meinte sie. Ihre Worte würden immer lauter, bis sie uns anschrie. Nun meldete ich mich zu Wort:"Lass uns doch und geh endlich." Sie packte mich am Kragen und schüttelte mich. Es schien, als ob sie den ganzen Alkohol aus mir rausschütteln wollte, den ich intus hatte. "Fangs hätte das hier nicht gewollt",sagte sie. Schlechtes Argument. "Er kann gar nichts mehr wollen",meinte Sweet Pea darauf. Toni klatschte ihm eine. Sweet Peas Kopf schoss zur Seite. Sein entgeisterte Blick ruhte auf ihr. "Ihr hättet fast auf dem Sofa hier vor allen gevögelt! Kommt jetzt mit, da hinten ist ein Raum, in dem ihr schlafen könnt." "Du bist nicht meine Mutter",warf ich ein. Ich wollte nicht von ihr so pflegebedürftig behandelt werden. Sweet Pea sah mich kurz an und nickte. "Nein, aber jemand, der dir sagt, dass du dich jetzt ausruhen gehst",erwiderte sie bestimmt. Mittlerweile sahen alle im Whyte Wyrm uns an. Sweet Pea stand auf. "Du hast uns gar nichts zu sagen",sagte er und ging auf sie zu, wobei er sich bemühen musste, aufrecht zu gehen. Immer wieder fiel er fast zu Boden. Seine Beine hielten sein Gewicht keineswegs. "Sweet Pea hör auf!",schrie Toni, überfordert mit dieser Situation. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Vorstellung, vom besten Freund gleich eine geklatscht zu bekommen,schrecklich sein muss. Doch Sweet Pea ist nunmal leicht reizbar. Wenn er wütend war, war es egal, ob Freund oder Feind und betrunken war es überaus schwierig, wenn nicht gar unmöglich, ihn unter Kontrolle zu kriegen.

Als Sweet Pea sein Springer-Messer aus seiner Hosentasche zog, war alles vorbei. Ich war nicht zu betrunken, um Sweet Pea davon abzuhalten, Toni das Messer am eigenen Leib spüren zu lassen. Einige Serpents um uns herum erwarteten einen Kampf zwischen zwei Serpents, eine Sensation unter unseresgleichen, anderen stand die Panik ins Gesicht geschrieben. "Sweet Pea tu das jetzt nicht",sagte ich etwas gestresst zu ihm. Meine Arme waren um seinen Hals geschlungen. Als ob das helfen könnte. Ich sah ihm in seine braunen Augen. Kurz schien Sweet Pea zu überlegen, doch dann ließ er sein Messer wieder verschwinden. Toni atmete erleichtert aus. "Kommt mit. Ihr schlaft hier",sagte sie bestimnerisch, zeigte auf eine Tür hinter der Bar und führte uns in eine Kammer des Whyte Wyrm.
Nachdem Toni uns eine Decke hinlegte, legten wir uns auf sie und versuchten kuschelnd, etwas zu schlafen.

"Anna, steh auf",sagte Sweet Pea und rüttelte an mir. Ich öffnete müde die Augen. "Was ist los Sweet Pea?",fragte ich verschlafen und rappelte mich auf. "FP will uns irgendwas sagen. Er war eben bei Jughead im Krankenhaus."
So folgte ich ihm Hand in Hand durch die Tür in die Bar. Alle Serpents hatten sich bereits versammelt und warteten auf die Stimme unseres Anführers.
"Serpents",rief FP und ließ somit alle verstummen. "Ich habe etwas wichtiges zu sagen. Zuerst, Jughead geht es gut und er kann bald entlassen werden." Es tuschelten ein paar, manche freuten sich, doch manchen schien das relativ egal zu sein. Sweet Pea hatte sich eher auf Gleichgültigkeit festgelegt. So gern mochte er ihn nicht. "Aber da gibt es noch was viel Wichtigeres",er machte eine Pause. Wir starrten ihn abwartend an. "Wir wurden von Hiram Lodge verarscht!" Ein Raunen ging durch die Reihen. Niemand wusste mit der Information was anzufangen. "Ich will es euch erklären. Ein Polizist hatte mich angerufen, weil er mir sagen wollte, dass Fangs Forgarty, einer unserer jüngeren Mitglieder, tot ist. Doch das war gelogen, um uns in einen Kampf mit den Ghoulies zu verwickeln, den wir nicht gewinnen konnten." Jetzt wurde wild diskutiert. Ein Gemisch aus wütenden und überraschten Stimmen war zu hören. "Sweet Pea, Anna, Toni kommt Mal rüber",schrie er über die redende Menge hinweg. Wir gingen zu ihm. "Er ist noch im Krankenhaus für ein paar Tage, aber ihr könnt ihn gerne besuchen. Ich denke, er würde sich freuen",sagte FP. Wir nickten. "Wann dürfen wir denn?",fragte Toni. "Der Typ im Krankenhaus meinte, sogar heute schon." "Dann lasst endlich gehen",wandte Sweet Pea ungeduldig ein.

Sweet Pea und Toni nahmen ihre Harley und ich fuhr mit meiner neon orangen-schwarzen Sumo. Ich freute mich, wie ich mich mein Leben nicht gefreut hatte. Das Ganze war nur ein böser Albtraum und wir waren soeben erwacht. Fangs lebte.

Zwischen zwei Serpents [ABGESCHLOSSEN]Donde viven las historias. Descúbrelo ahora