Rain

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Unentwegt starre ich in den regenverhangenen Himmel hinauf, lasse diesen mit seinen sprühartigen Tropfen mein Gesicht benetzen und mit meinen Tränen vermischen. Weint er mit mir?
Sicher nicht, denn anderen ist es egal, wie es mir geht und selbst der Himmel macht darin keinen Unterschied. Was ist auch so besonders an mir?

Richtig, es gibt nichts.

Ich rede es mir nur täglich immer wieder ein, damit ich weitermachen und mit demselben falschen Lächeln durch die Welt gehen kann, das schon immer alle Menschen getäuscht hat. Warum sollte ich plötzlich damit aufhören, wenn es bisher so gut funktionierte?

Ich kann einfach nicht mehr, dieses Leben hat mich bereits müde gemacht und dabei bin ich gerade erst einmal siebzehn.
Es ist ein komisches Gefühl, wenn die warmen Tränen sich auf deiner Haut mit den kalten Tropfen des Regens vermischen, aber ich begrüße es. Es erinnert mich ein wenig daran, dass ich trotz allem noch lebe, warum auch immer.

Weiterhin nach oben starrend, lasse ich für einen kurzen Moment die Hände von dem kühlen Geländer los und mich selbst nach hinten fallen, nur um im richtigen Moment das Metall wieder zu umfassen und mich hochzuziehen.
Das wiederhole ich einige Male, derweil unentwegt die unterschiedlichen Grautöne des Himmels musternd, bis ich einfach so nach hinten gelehnt verweile.

Ich weine lautlos, nicht ein Schluchzer kommt über meine Lippen, aber selbst wenn es so wäre, würde es keiner hören. Es ist erst drei Uhr nachts und um diese Uhrzeit verirrt sich niemand hierher an diese Brücke, zu der ich immer komme, wenn meine vielen Gefühle mich drohen zu übermannen. Hier kann ich alleine sein und alles rauslassen, ohne dass jemand unangenehme Fragen stellt, bevor ich wieder mit meiner aufgesetzten Maske unter die Leute gehe.

Ich habe erstaunlicherweise noch nie darüber nachgedacht mich umzubringen, aber jetzt ist tatsächlich ein solcher Moment. Es würde sowieso niemandem auffallen, sollte ich einfach verschwinden. Vielleicht würde ich der Welt sogar etwas Gutes tun, wenn ich jetzt einfach über dieses Geländer steigen und die Schwärze des Wassers mich in Empfang nehmen lassen würde.

»Kookie.«

Es ist nur ein hauchzarter Windhauch, der mir diesen leisen und dunklen Klang in mein Gehör schickt und ich denke erst, es mir eingebildet zu haben, dass er jetzt hier ist. Er, der mich immer wieder daran erinnert, wofür es sich lohnt zu leben - weiterzumachen. Aber ist es nicht eigentlich traurig, dass er mich überhaupt daran erinnern muss? Das zeigt doch nur, wie wenig Lebenswillen ich in mir trage und auch er wird es irgendwann bemerken. Bemerken, dass ich nur eine Last bin - ein kleiner, naiver Junge, der sich selbst unglaublich viele Probleme wegen seiner Persönlichkeit schafft.

Aber ich habe mir seine Stimme nicht eingebildet, denn noch während ich so nach hinten gelehnt stehe, schiebt sich ein dunkelblauer Regenschirm in mein Blickfeld gefolgt von seinem makellosen Gesicht, das ich so sehr liebe.
Ja, es stimmt, ich liebe diesen Jungen, der mich nun doch gefunden hat, obwohl ich nicht gefunden werden wollte. Aber er wusste schon immer irgendwie, was in mir vorgeht. Vielleicht liegt es auch einfach daran, weil wir uns schon so lange kennen und er der einzige war, der sich überhaupt um mich gekümmert hat.

»Du erkältest dich noch, Kleiner. Was ist denn los?«

Es sind diese wenigen Worte, die alles noch viel schlimmer machen, obwohl sie mich freuen sollten. Immerhin erkundigt er sich nach meinem Wohl und auch ihn habe ich bisher immer angelogen. Aber ich kann das einfach nicht mehr, ich will nicht mehr diesen Gesichtsausdruck bei ihm sehen, der sein eigentlich so wunderschönes Gesicht verzerrt. Wegen mir ist er besorgt, wegen mir trägt er diese Emotion in sich und es bestätigt mir wieder einmal, was für eine Last ich eigentlich bin.

Trotzdem ziehe ich mich wieder hoch, nur um dann das Geländer endgültig loszulassen und mich an ihn zu pressen, meine Hände in seinen schwarzen Kapuzenpullover zu krallen und nun doch Geräusche meiner Kehle entkommen zu lassen, die einem Schluchzen ähnlich sind.
Er erwidert diese Umarmung sofort, mit einer Hand hält er weiterhin den Schirm über uns, während seine Andere in langsamen Kreisbewegungen über meinen bebenden Rücken fährt.

𝐑𝐚𝐢𝐧│ᴛᴀᴇɢɢᴜᴋ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt