Benzin

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Ich wünschte, es hätte diese Schweigeminute auf dem gestrigen Klassentreffen nie gegeben. Ich wünschte, es wäre bei einer Träne geblieben. Bei einem Glas Wein.

Ich vermute, dem Menschen, der sich hinter dem blonden Haarschopf versteckt, geht es ähnlich.

"Was haben wir getan?", stöhnt er. Unter seinem Gewicht knarzt das ganze Bett, das leicht nach frischem Holz riecht. Unsere Alkoholfahnen dominieren trotzdem die Atemluft in Marlons Schlafzimmer.

"Geschlafen?", schlage ich vor und nicke in Richtung der verstreuten Kleidung und versuche die Tatsache, dass mein zerknitterter Rock von Elie Saab nicht gebügelt werden darf, zu ignorieren. Das 'miteinander' verschlucke ich vorausschauend.

Als Antwort bekomme ich nur ein Seufzen.

"Marlon?" Ich male kleine Kreise auf seine Schultern. Manche Gewohnheiten lassen sich eben nicht ablegen. "Ich muss hier weg. Weg von diesem-"

"Alles was du willst", brummelt er und nimmt noch mehr Platz als ohnehin schon für sich in Anspruch.

Ich dränge ihn wieder zurück und starre an die Decke. Dunkle, ungleichmäßige Maserungen durchziehen das helle Holz.

Meine Heimat ist mir fremd geworden. Ich bin wie ein Kind aus seiner Jeans aus ihr herausgewachsen. Es ist, als würde mir hier die Luft zum Armen fehlen.

Johann, Leif und Kim hatten das Parkett mit Benzin übergossen, heißt es in dem Polizeibericht, den Marlon unter Alkoholeinfluss unter unzähligen Zeitungsartikeln hervorgekramt hat. Sie haben es nicht mehr rechtzeitig aus dem Haus geschafft.

Vorsichtig schiebe ich den Vorhang ein Stück zur Seite. Asche soweit das Auge reicht.

Ich versuche, mir vorzustellen, wie sie nachts mit ihren Benzinkanistern in das Haus eingedrungen sind. Hatten sie Angst? Zweifel?

Es will nicht in meinen Kopf.

Ich schlinge eine Arm um Marlon. "Jetzt gleich?", wispere ich.


KondensstreifenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt