Die Liebe zur Klinge

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Vielleicht hat sie das schlimmste überstanden, die ganzen Probleme mit ihren Freunden, die Zeit in der es ihrer Mutter so schlecht ging, vielleicht war das alles vorbei doch was bleibt sind Erinnerungen, Erinnerungen die immer dann wiederkommen wenn man sie echt nicht brauchen kann Erinnerungen die mit einer solchen Wucht wiederkommen dass sie einen jedes Mal so tief runterziehen wie man dachte dass man gar nicht fallen könne…

Vielleicht war all das überstanden aber eines blieb: SVV… sie wollte aufhören, sie wollte es, sie wusste dass sie es wollte aber irgendwie… irgendwie ging es nicht, sie war zu schwach sie schaffte es einfach nicht… so schwach dass sie wegen dem bisschen streit mit ihren Eltern gleich die Klinge in die Hand nimmt war sie nicht, eigentlich nicht, oder doch…?eigentlich war das doch nur eine Ausrede, eigentlich saß der Schmerz tiefer, tiefer als sie zugeben wollte… jedenfalls nahm sie die Klinge trotzdem in die Hand, sie ritzte sich, irgendwie liebte sie den Schmerz, er betäubte die Leere in ihr, den Schmerz der vergangenen Jahre, den Schmerz den ihr Andere zugefügt hatten… der Schmerz der Klinge betäubte die Erinnerungen, die Bilder die nicht mehr aus ihrem Kopf wollten…

Es mussten mittlerweile keine besonderen Dinge mehr passieren bis sie sich ritzte, kaum war sie allein kamen  die Bilder hoch, die Bilder von ihrem Vater wie er ihr in den Ausschnitt schaut, wie er in ihr Zimmer kommt wenn sie sich umzieht, wie er sich vor sie stellt und sie anstarrt, wie er wenn sie ihn rausschmeißen will sagt „sei doch mal nett zu deinem Papa“, die Erinnerung an seine Hände wie er sie an ihre Hüfte gelegt hatte, wie er seine Hände nach oben hatte wandern lasen zu ihrem BH, nie würde sie es vergessen…

Auch die Erinnerung an ihre Freundinnen, die sie einfach „vergaßen“ die Erinnerung an ihre Stimmen wenn sie ihre Witze erzählten die das Mädchen nicht verstand weil sie nie dabei war, nie dabei sein sollte wenn die Witze entstanden sie würde sie nie vergessen…

Eine Szene auf einem Parkplatz, in der ihr Bruder mit ihr und ihrer Mutter zum Supermarkt lief und sie ihre Mutter wie einer alten Frau jeden Handgriff einzeln erklären mussten, sie würde es nie vergessen, auch die traurige Stimme von ihrem Bruder als er sagte „sie wird wohl nie wieder die Alte sein“ würde sie nie vergessen… wie Recht er doch hatte und wie Unrecht das Mädchen hatte als sie das nicht wahrhaben wollte als sie weiterhoffte wo schon lange keine Hoffnung mehr war, als sie nicht aufgeben wollte bis sie irgendwann ganz aufgab…

Das Gefühl alleine zu sein, als sie zum ersten Mal die Klinge in die Hand nahm, das war vor einem Jahr, dieses Gefühl das von da an allgegenwärtig war, inzwischen hatte sie Freunde, Freunde die sie liebte, die besten freunde die man sich wünsch kann, freunde die sie nicht verarschten aber trotzdem war dieses Gefühl nicht mehr aus ihrer Seele wegzukriegen, der Gedanke „ich nerve doch eh nur“ das Verhalten nicht zu erzählen was los ist und zu lächeln um den Anderen eine Freude zu bereiten, die Angst sie wieder zu verlieren, all das würde nie wieder verschwinden…

Genauso würde es wohl noch sehr lange dauern bis sie sich nicht mehr ritzte denn obwohl sie so viele tolle Menschen um sich rum hatte, obwohl vieles vorbei war, obwohl sich ihre Freunde um sie kümmerten, obwohl sie immer jemanden anrufen konnte wenn sie jemanden zum reden braucht, obwohl ihr Leben so schön sein könnte waren da immer noch so viele schlechte Dinge, so viele Dinge die sie fertig machten: ihr Vater… ihre Mutter… die Erinnerungen… und obwohl ihr Leben so schön sein könnte liebt sie die Klinge…

TränenmädchenWhere stories live. Discover now