×Vier×

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Stille.

Die Klamotten lagen immer noch zusammengefaltet auf dem Esstisch.
Die Beine überschlagen und den Kopf in seine Handfläche gestützt, saß er regungslos auf dem Stuhl und starrte in meine Richtung. In seinem Gesicht war nicht das geringste Anzeichen von Unsicherheit oder Trauer zu finden. Stattdessen lächelte er mich an, aber mit einem Lächeln, dass es mir ganz kalt den Rücken runter laufen ließ.

Ich zögerte.
"Ehm... Willst du dich nicht umziehen?", stammelte ich etwas eingeschüchtert. Seine Mundwinkel wanderten noch ein Stück weiter nach oben.
"Doch", antwortete er selbstsicher, "Hatte ich gleich vor."
Ich schluckte den Klos runter der sich in meiner Kehle gebildet hatte. Irritiert sah ich ihn an. Stumm. Seine Ausstrahlung war niederschmetternd, als würde ich verbrennen, wenn ich nur ein falsches Wort sagte.
Er schien die Anspannung in meinen Gliedern zu bemerken, denn er stand auf, trat ein paar Schritte auf mich zu und legte seine kalte Hand an meine Wange. Doch das machte es nicht besser. Ganz im Gegenteil...
Mein Körper war wie versteinert. Obwohl mein Fluchtinstinkt alle Alarmglocken läutete, konnte ich mich keinen Zentimeter bewegen, so erdrückend war seine Präsenz, welche sich inzwischen so nah vor mich gestellt hatte, dass unsere Nasenspitzen sich fast berührten.

Erst jetzt bemerkte ich, dass er ein wenig größer war als ich , denn er hielt den Kopf leicht gesenkt. Auf seinem Gesicht zeichnete sich abermals ein breites Grinsen ab.
Belustigt eröffnete er das Wort mit einem fast schon gehauchten: "Ich hätte nicht gedacht, dass du so 'n Schisser bist, Cay."

Die Luft um mich herum wurde schneidend dünn. Antworten konnte ich nicht.
Im Grunde konnte ich gar nichts.

Wie gebannt fixierte ich seine tiefen dunklen Augen und auch er machte nicht den Anschein seinen Blick abwenden zu wollen. Für eine kleine Ewigkeit standen wir so einfach da und mein Puls verschnellerte sich mit jedem Atemzug den ich tat.
Fast dachte ich, ich würde kollabieren, da legte Toni auch seine andere Hand an mein Gesicht und zog mich flink an seines heran, die Lippen fest auf meine gepresst.

Erschrocken riss ich die Augen auf, beruhigte mich aber sofort wieder bei dem Gefühl seiner weichen Lippen auf meinen und erwiderte den Kuss mit ein wenig Nachdruck.

Viel zu schnell löste er sich von mir, streifte sein durchnässtes T-shirt ab und setzte dann für einen weiteren Kuss an.
Dabei legte er meine Handfläche auf seinen nackten Oberkörper und ich spürte wie mein Herz für einen kurzen Moment aussetzte.

Träumte ich?

Zärtlich strich ich über seine erstaunlich warme Haut und presste meinen Mund stärker auf seinen. Er glühte regelrecht.
Als meine Finger an einer kleinen Hautirritation stockten, löste ich mich von dem Kuss und blickte vorsichtig auf seinen Körper um mit Erschrecken feststellen zu müssen dass dieser von Narben und Blutergüssen übersäht war.

"Was ist..."
Meine Frage wurde unterbrochen.
"Mach dir keine Sorgen, das ist nichts."
Verwirrt sah ich ihn an.
"Toni, du... ?" Meine Stimme bebte und Toni grinste mich hämisch an.
"Henry ist 'n Wixxer. Irgendwann krieg ich ihn in die Finger und dann wird er dafür bezahlen was er Toni antut... Er..."
Ich ließ ihn nicht ausreden.
"Warte... Henry? Toni? Was soll das heissen? Ich verstehe nicht. Toni, du..." Ich stockte. Verzweifelt versuchte ich die passenden Worte zu finden.
War das hier immer noch Toni? Der liebevolle Toni den ich kennengelernt hatte auf jedenfall nicht. Doch was in Gottes Namen war mit dem tollpatschigen Jungen passiert der keiner Fliege etwas zu leide tun wollte?...

Mein Mund wurde ganz trocken.
Nervös leckte ich mir über meine nicht mehr unschuldigen Lippen und trat einen Schritt von ihm zurück.
Er lachte.
"Toni. Nicht Toni... ", brachte er anschließend mit dunkler Miene, das Grinsen immer noch in sein Gesicht geklebt, hervor.
"Aber was..." Mir fehlten immernoch die Worte "Also wer..."
Behutsam strich ich mit meinem Finger über meinen Mund. Seine Augen fixierten mich.
"Nichts ist stets so wie es scheint", erwiderte er schmunzelnd.
In meinem Kopf zeichneten sich große Fragezeichen ab.

"Toni, wenn das 'n Spaß ist; Ich find's nicht witzig." Ich runzelte die Stirn.
"Das ist kein Spass, Cay." Kichernd nahm er das trockene Shirt vom Esstisch und schlüpfte hinein. Anschließend wechselte er noch in die bequeme Hose und warf sich mit einem Ruck auf mein Bett, am anderen Ende des Zimmers.

Wie angewurzelt stand ich da und wusste nicht ob ihm folgen sollte oder lieber nicht.
Da ich die zweite Möglichkeit allerdings für ziemlich bescheuert hielt, da das hier schließlich meine Wohnung war, und ich nicht einfach gehen konnte, tat ich ihm gleich und ließ mich neben ihm in die Matratze einsinken, gespannt auf seine nächste Reaktion. Mein Koerper zitterte überall und ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.

Nach einiger Zeit der Stille legte mein Magen das Wort ein und wir beschlossen auf erstaunlich freundschaftliche Weise uns Pizza zu bestellen und einen Film anzuschauen. Dabei war mir das Ganze kein bisschen geheuer, aber ich hatte ihn schließlich eingeladen und wusste auch ums Verrecken nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Da war ein Film und eine Stunde Schweigen das richtigste um meine Gedanken ein wenig zu ordnen.
Über den Kuss oder das was eben passiert war, sprachen wir nicht. Ich, weil ich viel zu verwirrt war um meine Gedanken noch in Worte zu fassen und was er dachte wusste ich nicht. Was ich allerdings wusste, war, dass ich es dabei letztenendes doch nicht belassen konnte, und so dauerte es gerade mal das Intro bis ich mich zu ihm wendete und ihn entschlossen fragte: "Toni. Was eh... Was ist das hier jetzt eigentlich?"
Amüsiert lächelte er mir zu, also hätte er nur darauf gewartet, dass ich ihn wieder ansprach.
"Was willst du denn, dass es ist?"
"Das habe ich nicht gefragt. Ich will wissen was das hier soll. Was ist los mit dir und was sollte das mit dem Kuss?" Bei diesem Wort zog sich mein Magen zusammen.
"Nichts spezielles eigentlich, aber ich wusste du willst mich und wollte dir einen Gefallen tun." Seine Augen funkelten düster.
"Also hast du mich nur geküsst, weil du Lust dazu hattest und ich gerade ein bisschen Interesse an dir gezeigt habe?" Nun wurde ich sauer.
"Naja, ich..."
"Mir egal was du!" Wut brannte in mir auf als Reaktion auf diese herbe Entäuschung.
"Sag mal spinnst du eigentlich? Ich mache mir Sorgen und biete dir einen warmen Platz an und du nutzt mich schamlos aus? Das hätte ich echt nicht erwartet. Du... Ahhrg." Meine Stimme zitterte.
"Hey, was heißt hier ausnutzen? Ich hab euch beiden 'n Gefallen damit getan. Sonst hättet ihr euch doch nur ewig weiter angestarrt und wär't nie zur Sache gekommen. Du solltest mir danken. Außerdem hat es dir gefallen, also wieso beschwerst du dich?"

Mir platze der Kragen.
Dass Toni so reuelos war, hätte ich im Leben nicht erwartet und vor allem, warum sprach er ständig als gebe es noch eine weitere Person? Einen weiteren Toni... Das machte doch alles keinen Sinn. Toni sass nicht 30 cm von mir entfernt und er führte sich auf als redeten wir über eine ganz andere Person.

Es klingelte.
Vermutlich der Pizzabote.
Verwirrt und genervt stapfte ich, ohne ein weiteres Wort zu sagen zur Tür, drücke dem jungen Mann einen Geldschein in die Hand, stellte die Pizza auf dem Boden neben der Tür ab und drehte mich zu Toni um.
"Wenn es dir so egal ist wie ich mich gerade fühle, dann kannst du gerne gehen!"
Ich deute auf die geöffnete Tür.
"Maaaan, Cay, jetzt hab' dich nicht so" Er seuftzte. "Schon gut, ich verstehe. Ich habe hier nichts zu melden. Ich verpiss' mich fürs erste. Aber ich weiss dass du mich früher oder später wieder sehen willst, mein Hübscher.... Toni wird nicht erfreut sein. Er ist ziemlich down wegen seinem Vater. Viel Spass beim babysitten, Herzchen."

Noch bevor ich antworten konnte brach Toni in einem riesigen Heulkrampf zusammen und instinktiv spurtete ich zurück zum Bett.

Ich verstand die Welt nicht mehr.

Two faced [boyxboy] Donde viven las historias. Descúbrelo ahora