Kapitel 4

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Ich ließ den Mann vor dem Gitter nicht aus den Augen. Er schlich vorbei, ganz langsam. Den Hut tief ins Gesicht geschoben, als wollte er nicht erkannt werden.

Na, wollte ich ihm zurufen, schämst du dich etwa für deinen Besuch?

Aber ich hielt den Mund. Miranda hatte mir nicht viel gesagt, aber eines hatte sie mir auf den Weg zu unserem Käfig nachdrücklich eingebläut: Verscherze es dir niemals mit Besuchern. Und erst recht nicht, wenn ein Wärter in der Nähe war. Das wäre mein Ende. Zumindest hatte Miranda es so formuliert.

Mein Blick wanderte zu ihr. Während ich nur mit verschränkten Armen in der Ecke saß und gegen das Erfrieren ankämpfte, lieferte sie die volle Show ab. Sie stöckelte vor dem Gitter auf und ab und ließ den Mantel über ihre Schultern gleiten. Interessiert begutachtete der Besucher das Muster auf ihren entblößten Schulterblättern.

Angewidert verdrehte ich die Augen und begutachtete stattdessen den Wärter. Er stand vor dem alten Zugwaggon, der zu einem Käfig umgebaut worden war. Fröhliche Zeichnungen von Blumen und Sonnen prangten darauf, von denen mir schon fast schlecht wurde. Auch heute war es nebelig und eisig kalt. Wieder lag dieser seltsame verbrannte Geruch in der Luft, an den ich mich vermutlich nie gewöhnen würde.

»Verziehung.« Die Stimme des Mannes zog meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Allerdings sprach er mit dem Wärter, nicht mit mir. Mit dem Finger deutete er auf ein Schild, das vor dem Käfig angemacht war. »Das Mädchen steht nicht darauf. Was kann es?«

Der Wärter drehte sich um und betrachtete mich schon fast überrascht. Er wirkte, als hätte er von meiner Anwesenheit bisher nichts bemerkt. Dann warf er ebenfalls einen Blick auf das Schild.

»Sehen Sie?«, fuhr der Mann fort und tippte mit dem Zeigefinger darauf. »Da steht etwas über die Dame mit den Krallen. Über die Wildkatze. Aber nichts über das Mädchen.«

»Sie haben recht«, stimmte der Wärter ihm zu und kratzte sich etwas unschlüssig am Kopf, bevor er sich an mich wandte. »Du da, was ist deine besondere Fähigkeit?«

»Ich kann fast eine Minute lang den Atem anhalten«, sagte ich, auch wenn mir bewusst war, dass der Wärter etwas ganz anderes hören wollte. Diese Vermutung bestätigte sich, als sich tiefe Falten auf seiner Stirn bildeten und seine Augenbrauen sich bedrohlich zusammenschoben.

»Ich will wissen, warum du hier bist.«

»Das wüsste ich auch gerne.«

»Tara.« Mirandas Stimme klang warnend. Als ich ihr einen Blick zuwarf, konnte ich schon fast so etwas wie Angst auf ihrem Gesicht sehen. Und sie steckte mich an.

Ich schluckte, und wandte mich dann wieder an den Wärter. »Ich bin giftig«, erklärte ich ihm. »Wer meine Haut berührt, zieht sich Verbrennungen zu. Wie bei einer Qualle.«

»Ein Quallenmädchen!« Der Besucher klang begeistert. Er stieß den Wärter an. »Das ist mal was Neues. Ihr solltet eine Show daraus machen und ihre Kräfte zur Schau stellen. Ich bin mir sicher, meine Kollegen wären begeistert.«

Der Wärter wirkte etwas unschlüssig. Ich wusste nicht, woran das lag. Vielleicht daran, dass er mir ohne Beweis nicht glaubte. Aber er schien meine Kräfte auch nicht selbst testen zu wollen.

»Kommen Sie.« Der Mann stieß den Wärter an. »Bringen Sie mich zum Direktor. Ich möchte ihm die Idee selbst vorschlagen. Das wäre perfekt für die Weihnachtsfeier in ein paar Wochen.«

Während der Mann sprach, schubste er den Wärter bereits in eine Richtung davon. Ich sah den beiden nach und versuchte zu erkennen, wohin sie gingen. Ich wollte wissen, wo sich dieser Direktor befand.

Zoo der MonsterWhere stories live. Discover now