Kapitel 5: Die Adlerfeste I

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Adlerfeste, die Bruderschaft - 1060 n.G.


Stumm folgte Khor seinem Bruder den langen Pfad entlang, der sich durch die Gebirgskette schlängelte. In der Ferne konnte er bereits die schwarzen Türme der Adlerfeste erkennen. Wehmut stieg in ihm auf. So viele Jahre waren vergangen, seit er diesen Ort verlassen hatte. Damals war er noch ein Jüngling gewesen, der große Ziele im Leben verfolgt hatte. Der was erreichen wollte und dem nur eines wichtig gewesen war. Seinen Vater stolz zu machen.

Khor zügelte sein Pferd und blickte zurück. Hinter ihnen befand sich Kirosh. Der Rauch, der aus den Schornsteinen der Häuser emporstieg, ließ ihn an eine warme Stube denken, in der man sich nach einem langen Tag gemütlich zurückzog. Das war es nicht, was er in der Festung zu erwarten hatte, das wusste er. Und doch hoffte er, dass sein Vater ihn mit offenen Armen empfangen würde. Aber er hatte keine Ahnung, was in dem Brief gestanden hatte, den der König geschickt hatte, und diese Unsicherheit machte ihn nervös.

»Kommst du?«, rief sein Bruder ihm zu. Khor schüttelte den Kopf und versuchte die schlechten Gedanken zu vertreiben. Er spornte sein Pferd zu einem schnellen Trab an, um zu seinem Bruder aufzuschließen.

Der Weg wurde breiter und schließlich tat sich die Adlerfeste vor ihnen auf. Sie war eine der ältesten und größten Burgen aller Königreiche, die am Rand des Eisenkamms gelegen, mit dem Gebirge verschmolz. In ganz Perdosien galt sie auf Grund ihrer Lage als uneinnehmbar. Das lag auch an dem schmalen Gebirgspass, auf welchen man unmöglich Katapulte oder Rammböcke befördern konnte. Da Preloner selten Belagerungswaffen benötigten, hatten die Erbauer auch an eine magische Verteidigung gedacht. In den dunklen Stein der westlichen Mauer, in welcher sich auch das Tor befand, hatte man Drenitkristalle eingearbeitet. Sie fungierten nicht nur als Schutz vor Magie, sie sorgten auch dafür, dass der dunkle Stein mit einem leichten rötlichen Schimmer überzogen war. Es gab sogar einige Menschen in Karutien, die behaupteten die Mauer schimmere rot, weil so viele Feinde vor den Toren der Festung gestorben seien. Daher nannten manche sie auch die Blutmauer.

Khor schaute nach oben. Auf dem hohen Wehrgang standen Bogenschützen und das Ertönen eines Horns, ließ ihn wissen, dass man sie längst bemerkt hatte. Sein Blick glitt zu den beiden Bannern, welche neben dem großen Tor hingen. Zwei weiße gekreuzte Äxte auf schwarzem Grund. Es war nicht nur das Wappen der Bruderschaft, sondern auch des Hauses Vasaris. Er war zu Hause.

»Öffnet das Tor!«, drangen Rufe zu ihm durch und nur kurze Zeit später öffnete sich die große Eisenpforte. Die beiden Männer ritten durch das Tor, welches sich kurz darauf wieder schloss. Sie folgten einem breiten langen Pfad, der ins Innere der Anlage führte und von dem sich ab und an ein kleinerer Weg abzweigte. Im unteren Teil befanden sich die Quartiere der Soldaten sowie die Ställe. Khor wusste, dass sie noch zwei weitere Tore passieren mussten, bis sie das Herzstück der Festung erreichen würden. Die Verteidigungsanlangen waren nicht nur auf die äußere Mauer beschränkt. Seine Vorfahren hatten vor mehreren hundert Jahren drei Ringe angelegt. Jeder einzelne geschützt durch Wachtürme und starke Tore. Selbst wenn es jemandem gelingen würde, die Blutmauer zu überwinden, wäre die Festung längst nicht verloren. Die geheimen Versorgungsgänge, die tief durch das Gebirge führten, taten ihr übriges. Die Bruderschaft konnte man an diesem Ort nicht besiegen, ganz gleich, wer den Sturm wagen würde.

Khor und Kayne durchquerten schließlich das dritte Tor. Sie stiegen ab und überreichten die Zügel ihrer Pferde an einen Jüngling, der an ihre Seite geeilt war. Der Krieger blickte sich um. Der Vorplatz des inneren Ringes war noch größer, als er es in Erinnerung hatte. Mehrere dutzend Krieger folgten den Anweisungen eines Ausbilders auf dem Exerzierplatz zu seiner Rechten und etwas weiter hinten gingen Bogenschützen ihren Übungen nach. Es war genau wie früher. Selbst die Schmiede zu seiner Linken tat noch ihren Dienst, und dass, obwohl er sie damals schon für baufällig gehalten hatte. Ob wohl Pavlik, der Schmied, der einst seine ersten Waffen geschmiedet hatte, immer noch hier lebte und arbeitete? Er müsste mittlerweile an die fünfzig Sommer zählen, genau wie sein Vater. Zu seiner Enttäuschung sah er nur einen weit jüngeren Mann, der seinen Hammer auf den Amboss niederschlagen ließ.

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