Kapitel 3

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Kapitel 3

„Wie ich sehe bist du wieder auf den Beinen?", lächelt Nilson als er mein Zimmer betritt. „Wie man's nimmt", antworte ich schulterzuckend und binde mir die nassen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

„Hey, das mit Jona bekommen wir schon wieder hin", versucht Nilson mich aufzumuntern. Da wäre ich mir nicht so sicher, diesmal habe ich es wirklich verbockt.

Nilson nimmt sich Block und Stift von meinem Schreibtisch und setzt sich neben mich aufs Bett. „Okay, gehen wir das ganze logisch an. Warum könnte Jona auf einmal so abgedreht sein? Ich meine, klar hast du sie in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt, aber das ist kein Grund so auszurasten.

Sie weiß genauso sehr wie ich, dass dir das unglaublich wichtig ist. Und als gute Freundin sollte sie das auch verstehen. Du bist nicht die Einzige die Fehler gemacht hat."

Ich bin mir nicht wirklich sicher ob Nilson recht hat. Aber wenn er davon überzeugt ist, will ich ihm nicht widersprechen. „Na gut. Also sie ist ausgerastet, als sie uns zusammen gesehen hat. Aber das ist doch nichts Neues, sie weiß doch, dass du mein bester Freund bist", seufze ich.

Angestrengt scheint Nilson nachzudenken. Es sieht irgendwie niedlich aus, wie er seine Stirn runzelt und an seiner Unterlippe kaut. Als stünde er davor das Eisproblem zu lösen.

Ich komme nicht drum herum zu grinsen. Mit erhobener Augenbraue sieht er mich an. „Was ist so lustig?"

Ich zögere einen Moment, immerhin will ich ihn nicht auch noch vergraulen. Aber was rede ich da, Nilson steht da drüber.

„Du siehst putzig aus, wenn du nachdenkst." Er zieht ein beleidigtes Gesicht. „Da versucht man dir zu helfen und dann wird man auch noch verurteilt."

Entschuldigend werfe ich ihm einen Hundeblick zu. „Dir kann man einfach nicht böse sein", seufzt er. „Auch wenn ich weiß, dass dieser Blick nicht deiner Natur entspricht"; fügt er grinsend hinzu.

Frech strecke ich ihm meine Zunge entgegen und boxe ihm gegen die Schulter. „Aua, das tut ja wirklich weh", stellt er fest. „Du hast wirklich zugelegt in den letzten Wochen."

Stolz grinse ich ihn an. „Danke, das wollte ich erreichen." Nilson greift zum Stift und notiert den ersten Punkt. „Was schreibst du da?", will ich wissen und greife nach dem Block.

Geschickt bringt Nilson ihn außer Reichweite, doch so leicht lasse ich mich nichtabwimmeln. Ich stürze mich auf ihn und versuche erneut den Block zu erwischen.

Diesmal gelingt es mir, auch wenn ich Nilsons Arm dafür hinunter drücken muss. Ich habe Mühe Nilsons krakelige Schrift zu entziffern, doch letztendlich gelingt es mir.

„Neigt zu Gewalt?", empöre ich mich. Nilson hievt mich von sich runter. „Und was war das gerade?", lacht er und entreißt mir wieder den Block. Erneut kritzelt er etwas darauf und diesmal lässt er es mich auch so sehen.

„Schlechte Selbsteinschätzung? Nilson ich bitte dich, lass uns realistisch bleiben."

„Na schön. Also wo waren wir? Ach ja, eigentlich gibt es keinen Grund für Jona sauer zu sein. Also liegt sie im Unrecht. Vielleicht solltest du einfach mit ihr reden."

Ich seufze. Einfach nur reden, das klingt so leicht, aber ich war noch nie gut darin mich auszudrücken. Höchstens mit meinen Fäusten und das ist mehr als unpassend. Aber Nilson hat Recht, wenn ich sie nicht nach dem Grund frage, dann werde ich ihn auch nicht erfahren.

„Na gut, ich werde mit ihr reden", stimme ich letztendlich zu und erhebe mich von meinem Bett. „Ich bin sicher, dass es ihr schon genauso leidtut wie dir." Da wäre ich mir nicht so sicher, aber einen Versuch ist es dennoch wert.

Zusammen mit Nilson verlasse ich die Wohnung, dann trennen sich aber unsere Wege. Während er in Richtung seiner Wohnung geht, mache ich mich auf zu Jonas.

Je näher ich der Wohnung, desto größer werden meine Zweifel. Sollte ich jetzt wirklich dahingehen? Sollte ich ihr nicht besser noch ein wenig Zeit lassen?

Fragen über Fragen schwirren durch meinen Kopf. Was soll ich überhaupt sagen? Ich kann schlecht Nilsons Worte verwenden und ihr die Schuld zuweisen.

Ehe ich mich versehe, bin ich an ihrer Wohnung vorbeigelaufen. Ich kann das nicht. Ich laufe einfach weiter. Wie konnte ich nur glauben, dass ich einfach so alles wieder hinbiegen könnte? Ich würde es sicher nur noch schlimmer machen.

Ich vergrabe meine Hände in meiner Jackentasche und führe meinen Weg fort, bis ich zu einer Tür gelangen. Unwillkürlich muss ich diesen Ort wohl angesteuert haben.

Ich öffne die Tür und betrete den Friedhof. Dieser Raum ist bedrückend, man macht sich nicht einmal die Mühe ihn ausreichend zu beleuchten.

Doch es sind auch nur selten Leute hier. Die meisten haben sich an den Tod gewöhnt, sehen ihn nicht mehr als etwas allzu Tragisches an.

Ich hingegen war nie über den Tod meiner Eltern hinweggekommen. Wann immer ich Zweifel oder Sorgen habe, komme ich hierher. Es hat etwas Beruhigendes.

Also steuere ich das Grab meiner Eltern an und setze mich davor. Michael und Julie Santós. Zwei Namen, die mich unglaublich geprägt haben. Nun ja, mehr ersterer.

Meine Mutter durfte ich schließlich nie kennen lernen. Und meinen Vater kannte ich leider auh nur viel zu kurz.

„Ich bin ein schrecklicher Mensch", flüstere ich leise. „Ich habe Jona verletzt. Wie konnte ich nur so dumm sein? Es gibt genau drei Menschen die sich um mich sorgen und ich schaffe es nicht einmal die zu halten."

Mein Blick senkt sich und ich schaue auf meine Hände. „Wäre ich doch nur ein wenig mehr wie du, Mama. Maria erzählt immer du seist ein Engel gewesen, jeder hätte dich gemocht. Und ich? Ich mache mich unbeliebt wo es nur geht.

Aber ich meine es ja nicht böse. Ich will doch einfach nur meinen Traum erfüllen." Tränen schimmern in meinen Augen. War es für Jona denn so schwer mich zu verstehen?

„Ich will... doch nur meinen Vater finden", wispere ich. Die ersten Tränen rinnen über meine Wangen. Das Gefühl von Verlust macht sich in mir breit. Nein, ich kann Jona nicht auch noch verlieren, ich brauche sie.

Ich muss mit ihr reden, egal wie gut ich das kann. Ein letztes Mal blicke ich auf den grauen Grabstein, dann erhebe ich mich.

Zielstrebig gehe ich zu Jonas Wohnung. Vor der Tür bleibe ich stehen. Zögernd hebe ich die Hand. Ein letztes Mal atme ich tief durch und dann klopfe ich an.



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