Kapitel 7

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Es war jetzt schon eine ganze Woche her, seit Judy etwas von Lucien gehört hatte. Jede Sekunde dachte sie an ihn, was er macht, wo er ist. In dem sie sich nur auf ihn konzentrierte, hoffte sie, dass er irgendwie doch vor ihrer Tür auftauchte aber vergebens. ~Aber er hat doch gesagt er ist immer da...~ Traurig starrte Judy aus dem Fenster. Es war sonnig draußen, eigentlich ein perfekter Abschluss für einen Sommer, doch Judy war nicht nach rausgehen zumute. Sie legte ihren Kopf auf ihre Arme und beobachtete das Geschehen draußen: Autos fuhren vorbei, Hundebesitzer führten ihr Lieblinge Gassi und frisch verliebte Pärchen überquerten die Straße. Wieder ertappte sich Judy dabei, wie sie heimlich für Lucien schwärmte. Doch prompt schüttelte sie heftig den Kopf, als wolle sie den Gedanken abschütteln. ~Er hat schon wieder gelogen. Der kommt eh nicht wieder. Hör auf zu schwärmen wie ein Schulmädchen!~
Judy stand auf, streckte sich und ging in die Küche, um sich ein Brot zu machen. Danach ließ sie sich in den Sessel fallen und machte den Fernseher an. Wie immer lief nichts gutes, nur langweilige Sitcoms, die sie schon gefühlte tausend mal gesehen hatte. Sie entschied sich für eine Tierdoku und versuchte Lucien für einen Moment zu vergessen.
Währenddessen streifte Lucien durch die Gegend wie ein einsamer Wolf. Auch er hatte die ganze Woche an niemand anderen als Judy denken können. Er spürte ihre gemeinsame Bindung und jeden einzelnen ihrer Gedankengänge. Wie gerne wäre er zu ihr gestürmt und hätte ihr alles gesagt. ~Du Esel! Merkst du nicht, dass sie genau so fühlt? Wäre ein Leben im Himmelreich ohne sie es wirklich wert?~ Seine Gedanken brachten ihn um den Verstand. Schwungvoll drehte er sich um und rannte entschlossen in die Richtung, in der Judys Haus stand. Er war jetzt bereit ihr alles zu sagen! Er rannte vorbei an Gassen, Geschäften, Autos und vorbei an verdutzten Menschen, er schien wirklich schnell unterwegs gewesen zu sein. An einer Straßenecke stoppte er kurz und holte tief Luft, als er eine ihm sehr bekannte Stimme vernahm: „Du scheinst es ja richtig eilig zu haben, was mein Freund?" Verwundert drehte Lucien sich um. „Devon? Was machst du hier?" „Ich bin so zu sagen dein 'Aufpasser'." sagte Devon, machte die Gänsefüßchen- Geste und zeigte augenrollend nach oben. „Außerdem habe ich etwas gespürt." Devon schaute in ein Schaufenster und sah in der Spiegelung das skeptische Gesicht von Lucien. „Heißt das, dass sie mir oben noch eine Chance geben wollen?" Seine Augen blitzten kurz auf vor Freude, jedoch ließ das beim Gedanken an Judy sofort nach. „Mhm... Aber nicht, wenn das mit IHR so weiter geht. Du willst es ihr sagen? Blöde Idee glaub mir. Muss ich dich wirklich daran erinnern, was mit dir passiert, wenn du erneut gegen die Regel verstößt? Dann kannst du dem guten Luzifer in Zukunft etwas Gesellschaft leisten!" Er steckte sich eine Zigarette an und hielt Lucien die Schachtel hin, die er kopfschüttelnd ablehnte.
„Natürlich ist mir die Konsequenz bekannt aber..." Devon unterbrach ihn. „Überleg doch mal, du willst ein unsterbliches Leben im Himmel aufgeben... Für sie?" Lucien schaute zu Boden. „Versteh mich doch mal ich will sie nicht verlieren. Lieber bleibe ich hier unten als Sterblicher!" Lucien klang sehr entschlossen, jedoch musste Devon nur lachen. Er schaute kurz in alle Richtungen, als könnte sie jemand belauschen. „Hör zu, ich kenne einen Weg, wie du die Kleine haben kannst, ohne riesen Ärger zu bekommen." Lucien wurde hellhörig. „Welcher wäre das?" fragte er neugierig. Er würde mittlerweile alles für Judy tun und das wusste Devon. Er wollte die Situation ausnutzen.
„Glaub mir, befolge meine Ratschläge und ehe du dich versiehst, steigst du wieder ins Himmelreich auf. Und kannst genau so einfach jeder Zeit wieder auf die Erde, um Zeit mit ihr zu verbringen." „Devon ich bitte dich, das klingt arg lächerlich. Du hast Recht, es ist eine weniger gute Idee, Judy zu sagen, wer ich wirklich bin, ich werde es unterlassen. Aber um ehrlich zu sein möchte ich mir nicht noch mehr Ärger einhandeln. ~Was redest du da? Natürlich sagst du ihr alles! Mehr Ärger kann man sich gar nicht einhandeln.~ „Tut mir leid, Devon." Mit diesen Worten drehte Lucien sich um und ging.
„Das lief ja nicht so gut." „Keine Sorge." sagte Devon fies grinsend. „Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir ihn genau da, wo wir ihn haben wollen und dann gehört das Himmelreich endlich uns!" Er drehte sich um und sah dem Dämon direkt in die Augen. Dieser rieb sich gierig die Hände. Was sie planten, war eine große Intrige.

Derzeit hatte sich Lucien wieder auf den Weg gemacht. Er wollte Judy abholen, denn es gab einen Ort, an dem nicht mal Devon die Bindung der beiden spüren konnte. Zögerlich klopfte er an die Tür, die sich nach wenigen Sekunden öffnete. „Lucien!" Judy strahlte richtig als sie ihn sah, am liebsten wäre sie an ihm hochgesprungen, jedoch riss sie sich wieder zusammen. „Wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht und..." Lucien legte seinen Finger auf seine Lippen und Judy begriff das Zeichen sofort. „Komm mit." sagte er leise, nahm Judy an die Hand und lief mit ihr durch die Stadt bis sie vorm großen Tor des Friedhofes standen. „Warum bringst du mich hier her?" fragte Judy erschrocken. „Ich will dir alles erklären. Hier ist der einzige Ort, an dem sie die Bindung nicht spüren." „Bindung? Und wer sind 'sie'? Lucien bitte hör auf immer so in Rätseln zu sprechen!" Judy war jetzt schon etwas genervt von dem Theater, doch Lucien blieb ernst.
Er half ihr, auf die Mauer zu kommen und setzte sich neben sie und begann zu erzählen: „Ich bin... Oder viel mehr war ich dein Schutzengel." Ungläubig starrte Judy ihn an. „Jeder bekommt zu seiner Geburt einen Engel zugewiesen, der dazu verpflichtet ist, auf seinen Schützling aufzupassen." „Okay. Also Herr 'Schutzengel'. Warum 'warst' du meiner? Warum bist du hier? Warum jetzt und nicht eher?" Judy hatte so viele Fragen und Lucien versuchte weiter zu erklären: „Im Himmelreich gibt es jede Menge strenge Regeln und eine davon besagt, es ist verboten eine tiefere Bindung mit seinem Schützling einzugehen. „ „Tiefere Bindung?" Judy sah sichtlich verwirrt aus. Lucien wusste, dass er ihr jetzt sagen musste, was er empfand. „Ich habe gegen diese Regel verstoßen. Ich habe mich in dich verliebt." Er sah sie nicht an, als er es ihr sagte. Judy starrte ihn an und versuchte irgendwelche Worte zu finden. „Okay," sagte sie wieder. „Das ist mit Abstand die schrägste Liebeserklärung, die mir gemacht wurde!" sagte sie ungläubig. Lucien schaute sie ernst an. „Du hättest mir auch einfach sagen können, dass du auf mich stehst, ohne diese ganze 'gefallener Engel' Geschichte!" „Judy , du verstehst nicht..." Lucien sprang von der Mauer und lief in eine dunklere Ecke. Judy verschlug es die Sprache. „Was... Was ist das?" Lucien leuchtete wieder. Es war das selbe Leuchten aus ihrem Traum, das selbe, von dem sie dachte, sie hätte es sich bei ihrer ersten Begegnung eingebildet.
Lucien setzte sich zurück auf die Mauer und erzählte weiter: „Als das rauskam, wurde ich vor Gericht geführt, wo man mir die Flügel abriss... und mich anschließend hier her auf die Erde verbannte." „Die Narben..." flüsterte Judy. Sie hatte Lucien für einen kurzen Moment ausgebledet, war jedoch sofort wieder aufmerksam. „Dass ich ausgerechnet hier bei dir landen würde, hat keiner ahnen können. Darum müssen wir aufpassen. Das heißt... falls du noch etwas mit mir zu tun haben möchtest." Lucien wirkte plötzlich so traurig, doch als sich Judy wieder gefangen hatte sagte sie: „Müssen wir uns immer auf dem Friedhof treffen?" Lucien schüttelte lächelnd den Kopf. Er fand Judys leichte Unsicherheit schon immer unheimlich süß. „Wir müssen aufpassen, denn wir werden beobachtet. Ich möchte nicht, dass du wegen mir in Gefahr gerätst!" „Lucien, ich..." Er befürchtete das Schlimmste, dass sie sich von ihm abwenden würde, nichts mehr mit ihm zu schaffen haben wollte doch sie erwiderte etwas völlig Unerwartetes: „Ich verspreche dir, dass ich aufpassen werde! Ich bin so gern in deiner Nähe. In der Woche, wo du nicht hier warst, habe ich mich so unglaublich allein gelassen gefühlt! Ich hatte immer das Gefühl, dich schon ewig zu kennen und da ich jetzt weiß, dass ich Recht hatte, kann ich damit leben! Ich verspreche dir, dass ich aufpasse." Jetzt war er sprachlos. Sprachlos aber so glücklich, er hatte vergessen, wie sich das anfühlte. „Judy, lass mich dir etwas versprechen: Solange ich bei dir bin, wird dir niemand Schmerzen zufügen! Niemand!"
Judy lächelte warm und sagte schließlich: „Meine Mom wird bald zurück sein und wenn ich nicht pünktlich bin, wird sie mir wahrscheinlich eine Ausgangssperre auferlegen." Als sie das sagte rollte sie lachend mit den Augen. Lucien hob sie vorsichtig von der Mauer und brachte sie nach Hause. Sie verabschiedeten sich mit einer langen Umarmung. Judy wollte, dass dieser Moment niemals endete. Noch einmal sahen sie sich in die Augen, bevor Judy hinter der Tür verschwand und sich glücklich dahinter auf den Boden sinken ließ. ~Unglaublich! Ich habe mich in meinen Schutzengel verliebt!~

FallenWhere stories live. Discover now