Einundzwanzig

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Langsam kam ich wieder zu mir. Zuerst sah ich Zora und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, ihr ging es gut, wir hatten es wohl doch ins Lager geschafft.

Dann drängte sich die letzte Erinnerung in mein Gedächtnis. Fremde Männer, die aus dem Wagen stiegen. Sofort richtete ich mich auf, nur um festzustellen, dass mir die Hände hinter den Rücken gefesselt waren.

Nun sah ich mich um. Wir befanden uns in einem nassen, dunklen Ort.
"Wo sind wir?" Zora rutschte noch näher an mich ran, ehe sie flüsterte.

"Im Keller ihres Hauses, weißt du nicht mehr? Sie haben uns gefangen kaum, dass wir am Lager ankamen."

Ich wusste es nicht mehr. Dann drängte sich etwas anderes sehr wichtiges in meine Gedanken. "Was ist mit Jared?" Ich hatte ihn nicht in diesem Raum ausmachen können, aber er war doch noch im Lager mit Edwin gewesen. 

"Ich weiß es nicht, die anderen haben nichts über ihn oder Edwin gesagt." Ich sah wie Zora sich auf die Lippe biss, irgendetwas beschäftigte sie. "Darf ich dich etwas fragen?"

Kurz sah sie mir unsicher in die Augen, ich nickte ihr aufmunternd zu, während ich in meinem Kopf schon nach einem Fluchtweg suchte.

"Was genau hast du mit dem Mann im Wald gemacht? Was ist mit ihm passiert."

Ich hatte gar nicht daran gedacht, irgendwie war es in dem Moment nicht wichtig, doch nun dämmerte mir was für einen Fehler ich begangen hatte. Zora wusste von meinem Geheimnis, wenn das so weiter ging wäre das Wort sehr unpassend. Es hatte schon gereicht, dass die Fahrenden von meiner Kraft wussten.

"Er ist erfroren." Damit kam ich sehr schwer auf die Beine, ich wollte ihr nicht erklären wie dies möglich sei, sie war wirklich nicht dumm, sofort verstand sie meinen sehr dezenten Wink und hakte nicht mehr nach.

"Wir müssen hier raus und Jared und Edwin finden. Denkst du sie haben sich schon die Köpfe eingeschlagen?"

"So was würde Edwin nie tun, viel eher könnten sie sich zusammengeschlossen haben." Nun musste ich leise Lachen, Zora hob ihre Augenbrauen.

"Ich bezweifle. dass Jared mit ihm zusammen arbeiten wird. Fürs Erste sind wir auf uns allein gestellt. Konntest du sehen als wir hier her kamen?"

Sie erklärte, dass dieses Haus mitten im Wald lag, es gab nur einen Ausgang, die Männer hielten nichts von Hintertüren. Nur eine Treppe führte hinab zu uns in den Keller, es gab keine Fenster. Ich nagte an meiner Unterlippe, es war fast wie damals als mich Vater nach dem ersten Ereignis im Zimmer einsperrte und es vor meiner Tür nur so von Wachen wimmelte. Dennoch hatte ich es hinaus geschafft.

Nur, dass ich diesmal dabei sterben könnte. Zu aller erst müssten wir unsere Hände frei bekommen, ehe wir überhaupt an Flucht denken konnten. Um unsere Handgelenke waren dicke Seile gebunden, ziehen brachte nichts.

"Und wenn du sie auch gefrierst? Eis lässt sich doch einfacher zerbrechen, vielleicht kannst du sie auch so lange gefrieren, dass sie selber zerspringen."

Ich hatte noch nie daran gedacht, aber ich hatte auch noch nie so oft hintereinander meine Kraft bewusst eingesetzt. Angestrengt versuchte ich es, nur sehr langsam bildete sich die Kälte nur um dann durch einen schnellen Ruck der Tür unterbrochen zu werden.

Schwerfällig stampfte ein breit gebauter Mann die Stufen hinab. Nur kurz schien ein wenig Licht durch die offene Türe, dann blieb nur noch ein schwacher Lichtpunkt im Dunkeln der sich auf uns zu bewegte. Der Mann blieb vor uns stehen.

"Wo sind eure Begleiter hin?" Dabei sah er eher zu Zora, diese zuckte nur mit den Schultern. Wütend trat er ihr in die Seite.

"Hör auf! Wir wissen es nicht verstanden?! Wir haben uns getrennt bevor wir im Lager auf euch trafen!" Beschützend rutschte ich vor das Mädchen, das sich nicht regte. Kurz besah er mich, dann griff er nach mir.

"Besonders dein Begleiter hat uns Kopfzerbrechen bereitet. Was hast du eigentlich mit meinem Mann im Wald gemacht?" An meinem Ellbogen zog er mich zu sich hoch, sodass ich in sein Gesicht sehen konnte, sein Atem rief den Ekel in mir vor.

Wenn ich könnte würde ich es ihm am liebsten zeigen, was mit seinem Kumpanen im Wald passiert war. Dann änderte sich sein Blick und mein Herz blieb stehen.

"Du bist eine ganz hübsche." Damit zog er mich mit sich die Treppe hinauf. Angst überkam mich, ich wollte nicht von Zora weg und ich wollte ganz sicher nicht alleine mit ihm durch diese Tür. Vergebens bemühte ich mich von ihm fort zu stemmen, mein Gewicht war nichts gegen seine Kraft.

Wir kamen in einer geräumigen, doch dreckigen Küche raus, aus dem Wohnzimmer drang Gelächter zu uns, er setzte seinen Weg fort, dabei rief er noch zur Gruppe. "Ich zieh mich auf mein Zimmer zurück, ich will nicht gestört werden!" Als Antwort erklang nur ein Grölen.

Er zog mich eine weitere Treppe rauf, mit jedem Schritt bekam ich noch mehr Angst. Dann schubste er mich durch eine Tür in ein Zimmer, wo er mich auf das Bett warf. Er schloss die Tür und baute sich am Bettende auf.

Nein, ich spürte keine Angst, es war Panik, absolute Panik, die durch jede Faser meines Körpers rauschte! Mir war kalt, ich wollte das hier nicht, ich wollte zu Jared! Panisch wanderten meine Augen durch den Raum, auf der Suche nach einem Ausweg, es musste einfach etwas geben.

Gierig wanderte sein Blick über mich hinweg.

Ich muss hier weg! Ich muss hier weg! Ich muss hier weg!

Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf, es drehte sich in mir ohne zum Stillstand zu kommen. Mein Atem war hektisch, wie auch alles andere in mir. Der Mann kam mir näher, seine Hand wanderte über mich bis zu meinem Gesicht. Ich wollte das nicht, nicht noch einmal!

Durch seinen Fehler meine Haut zu berühren, konnte er sich nicht mehr schützen. Mit einem lauten Schrei von mir, wehte plötzlich ein kalter Wind um uns, er hielt inne und erschlaffte. Noch immer raste mein Puls während ich mich langsam aufrappelte, das Seil war in kleine Splitter zersprungen, schnell verließ ich das Bett, auch wenn mir keine Gefahr von ihm drohte.

Sprachlos sah ich mich im Zimmer um, es war nicht nur eine einfach kleine Eisschicht, das ganze Zimmer war von einer dicken Frostschicht bedeckt. Von der Decke hingen gefährlich scharfe Eiszapfen herab. Niemals war meine Kälte so hervor getreten.

Mit einem kalten Kopf lief ich die Stufen hinab, ich musste keinen der anderen Männer berühren, ich ließ meine Kraft einfach ein weiteres mal explodieren, nun sah das Wohnzimmer dem Schlafzimmer ähnlich.

Ich eilte in den Keller zu Zora, die das Staunen nicht lassen konnte, als ich ihr den Knoten löste löcherte sie mich nur so mit Fragen.

"Wir müssen zu erst hier raus und dann sehen wir weiter." Ich war mir nicht sicher wie viele Männer noch zu dieser Gruppe gehörten und wie eilig unsere Flucht war. Ich wollte es aber nicht drauf ankommen lassen. Plötzlich hörten wir schnelle schwere Schritte.

Diesmal war ich zu allem bereit, diesmal müsste ich es jedoch auf eine Berührung ankommen lassen, ich konnte nicht garantieren, ein drittes mal einen so großen Frost zu verursachen und zudem nicht Zora zu schaden.

Schon machte ich eine Silhouette an der Tür aus.

"Vienna?"

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