Kapitel 24

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Ich faltete meine Hände über meinem Bauch und starrte an die weiß gestrichene Decke.
Ich setzte mich auf, lehnte meinen Rücken an den dunklen Bettrahmen und ließ meine kalten Fingerspitzen immer wieder gegen mein Kinn tippen.
Ich schlug meine Bettdecke energisch zur Seite, ließ meine Füße Halt auf dem Boden fassen und lief im Zimmer auf und ab.
Ich ließ mich wieder auf mein Bett fallen, atmete langsam ein und aus, starrte an die Decke, setzte mich auf, nahm schließlich mein Handy in die Hand.

Der Entschluss, den ich gefasst hatte, war nicht mehr aus meinem Kopf zu kriegen.
Es war schlichtweg unmöglich, diese Idee, diesen Plan wieder zu verwerfen.
Nicht nach dem gestrigen Tag, nicht nach all der vergangenen Zeit, in der ich diesen Entschluss schon verwirklicht haben sollte.
Ob ich bisher lediglich zu feige war, zu nervös, oder doch auf ein Stichwort gewartet hatte, das niemals kam? Ob ich gehofft hatte, es würde sich von allein auflösen?
Vermutlich eine Mischung aus all dem.

Ich drückte den kleinen, schwarzen Knopf, der das Display zum Aufleuchten brachte, entsperrte den Bildschirm, öffnete WhatsApp.
Mein Daumen scrollte unweigerlich in den Chats nach unten, bis mein Blick hart auf einen Namen traf.
Ich öffnete den Chat, dessen letzte Nachricht Monate her war. Monate, vor denen alles noch so schrecklich leicht und unbeschwert gewirkt hatte. Leicht genug, dass er mir einen Smiley geschickt hatte, als banale Antwort auf einen dummen Witz.
Mein Zeigefinger flog zu seinem Profilbild, doch mein Kopf verwehrte mir diese Interaktion.
Ich schloss kurzerhand den Chat und öffnete unsere Gruppe. Die Tastatur ploppte auf und ein blauer Strich verschwand und erschien wieder von neuem im leeren Textfeld.
Wie hypnotisiert starrte ich darauf, bevor meine zitternden Finger über die Buchstaben flogen.
Ich musste das endlich tun.

Ich atmete ein letztes Mal flach durch, bevor ich auf "Senden" drückte und vom leisen Geräusch erschrak.
Ich las sie mir noch einmal durch, meine Nachricht.
Können wir uns heute Abend in der Kneipe sehen? Ich muss mit euch reden. 20 Uhr.
Gesendet: 10:37

Niels schreibt...

Niels: Werd' da sein.
Gesendet: 10:39

Mein Herz raste, während ich den Minuten dabei zusah, wie sie verstrichen.

Johannes schreibt...

Johannes: Bis später.
Gesendet: 10:43

Die Haken meiner Nachricht schlugen in ein stechendes Blau um. Ich wusste, was das hieß.
Mein Finger flog erneut über das Display, strich nach unten, tippte auf den Chat.

Kris
online

Ich hatte ihn klar und deutlich vor Augen, mit zerzaustem Haar, wie er im Bett lag.
Das Gesicht in den blassen Schein des Handydisplays getaucht, mit leicht geröteten Augen, die diese Nacht sicherlich genau so wenig Ruhe gefunden hatten, wie die meinen.
Ich stellte mir vor, wie er schnell Nachrichten tippte, nervös, ungeduldig auf meine Antwort wartete, in der Zwischenzeit mein Profilbild ansah, das letztes Jahr in Asien entstanden war.
Doch er kannte meine Antwort, ohne dass er die Frage schrieb. Er wusste, worüber ich reden wollte.

online

Ich hatte es satt, ihm ständig nachzurennen, bei ihm aufzukreuzen, das Gespräch zu suchen.
Ich hatte es satt, dass er nichts davon tat.
Ich hatte es so satt, so erbärmlich nach seiner Aufmerksamkeit zu betteln.
Doch noch viel mehr hatte ich es satt, ein Geheimnis um etwas machen zu müssen, das nicht einmal wirklich existierte. Ich hatte es schrecklich satt, mich verstecken zu müssen und meine Freunde zu belügen, das musste Kris verstehen.

Es wäre wichtig für mich, wenn du heute Abend auch kommst.

Die Haken meiner gesendeten Nachrichten erschienen sofort in Blau.
Das online wandelte sich in schreibt..., dann wieder in online, ohne, dass ich jemals eine Antwort bekam.
Wenn er heute Abend nicht kam, wussten wir beide, was das bedeutete.

***

Ich hob mein Handgelenk und sah auf meine Uhr: 19:52 Uhr.
Nervös trommelte ich mit den Fingern auf dem Tisch unseres Stammlokals und starrte auf die leere gepolsterte Bank gegenüber.
"Darf es für dich schon was sein?", fragte der Barkeeper, deutlich an mich gerichtet.
Ich überlegte einen Moment und stoppte meine Knie, die unaufhörlich wackelten.
"Irgendwas hochprozentiges.", erwiderte ich kurzerhand.
"Weißt du was? Mach' zwei draus.", fügte ich hinzu, hatte wenig später zwei kleine Gläser mit klarer Flüssigkeit vor mir stehen und kurz darauf den Geschmack von Tequila auf der Zunge.

Die Tür ging auf, ein kleiner Windstoß erfasste mich und Niels tauchte vor mir auf.
"Hey, ist alles ok?", begrüßte er mich mit einem skeptischen Blick auf die leeren Schnapsgläser vor mir.
"Ja, das war nur für den Mut.", entgegnete ich mit einem leichten Lächeln und stellte die Gläser zurück an die Bar.
"So langsam machst du mir Angst, was du gleich zu verkünden hast", meinte Niels, während er sich langsam auf die Bank setzte.
Als Johannes ebenfalls kurz darauf eingetrudelt kam und die beiden jeweils ein Bier bestellten, sah ich erneut auf die Uhr, während ich nicht anders konnte, als mir nervös auf der Lippe herum zu kauen: 20:07 Uhr.
In den nächsten Minuten kamen keine wirklichen Gespräche zustande, zu angespannt und vielleicht etwas ängstlich waren Jo und Niels, was ich ihnen zu sagen hatte, doch ich wischte nur nervös meine Handflächen an meiner Jeans ab und konnte meinen Blick nicht von der Uhr abwenden.
"Jakob, willst du nicht langsam mit der Sprache 'raus rücken? Du machst mich nervös.", gab Johannes zu und sah mir vorsichtig in die Augen.
"Wollen wir nicht noch auf Kris warten?", fragte Niels, doch langsam sah ich es enttäuscht ein.
"Er kommt nicht."

Weitere Zeit verstrich, zäh und unangenehm starrten wir vor uns hin, während ich einen stummen Kampf mit mir selbst führte.
Schließlich fand ich meine Stimme, klein und leise, während ich in meinen Schoß sah, in dem sich meine Fingernägel in die Handflächen drückten; "Ich... Ich stehe auf Männer."

Plötzlich kam es mir nicht mehr so vor, als hätte ich gerade dieses Gespräch eröffnet.
Eher, als würde ich es im Fernsehen sehen; ich fühlte mich wie ein unbeteiligter Zuschauer, der auf distanzierte Art und Weise mitfühlte, aber keineswegs involviert war.
Ich saß stumm da und wartete auf eine Reaktion.
Schließlich traute ich mich zuerst zögerlich in Niels' Gesicht zu sehen, aus dem ich allerdings nichts herausfiltern konnte.
Weder Schock, noch Überraschung, noch irgendetwas, was erahnen ließ, wie er damit umging. Rein garnichts.
Er sah mich matt an, fast durch mich hindurch. Bis sich seine Lippen zögerlich bewegten; "Und... deswegen hast du uns herbestellt?"

Ich nickte, abwartend und unbeholfen, und wusste nicht, worauf er hinaus wollte. "Ist das schwierig für dich?", wollte ich schließlich kleinlaut, ängstlich wissen, als noch immer kein Hauch einer Emotion in seinen kantigen Gesichtszügen zu lesen war.
"Nein!...um Gottes Willen, Nein."
Nun war es da: Schock.
Nicht der Schock, dass ich schwul war, sondern Schock, dass er mir Schock eingejagt hatte und mich für einen kurzen Moment denken ließ, er hätte ein Problem damit. Mit mir.
Prompt lehnte mein bester Freund sich zu mir herüber und schloss mich fest in die Arme.
"Ich find' es toll, dass du ehrlich zu uns bist. Danke, für dein Vertrauen."
Er lächelte, als er mich wieder los ließ und erst, als sie von mir abfiel, merkte ich die tonnenschwere Anspannung, die auf meinen Schultern gelastet hatte.
Ich erwiderte erleichtert sein warmes Lächeln.

Nun sah ich auch zu Johannes, dessen Blick in der Gegend herumschwirrte und dessen Mund ein schiefes Grinsen zückte, was aussah, als würde er sich stark beherrschen müssen, nicht laut loszulachen.
"Jo, was ist?", fragte Niels verwirrt.
Sein Grinsen zog sich lediglich breiter. "Nun ja, ich..."
Nun sah er mich an und musste doch prusten, während er seine Mundwinkel nach unten zog und ein Stück Arroganz in seinen Pupillen weilte. "Ich nehme es nur mal als ziemliches Kompliment, dass du dich nach dem GQ-Shooting und unserer Knutscherei outest."
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, doch dann stieg ich in sein und mittlerweile auch Niels' ausgelassenes Lachen mit ein.
"Ich fühle mich geschmeichelt, Jay."
Er klimperte mit seinen Lidern, spitzte die Lippen und fuhr sich durch die Haare wie ein Schulmädchen, das auf ihrem ersten Date war, was mich endgültig keine Luft mehr bekommen ließ.

"Also habt ihr kein Problem damit?", fragte ich, viel gelassener, als unser Lachen ausgeklungen war.
"Ach Jay, du müsstest uns mittlerweile gut genug kennen. Lieb' doch, wen du willst, das verändert rein garnichts."

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Where stories live. Discover now