2.Kapitel

44 2 1
                                    

Sicht von Alysha


Am nächsten Tag stand ich verfrüht auf. Meine beiden Eltern waren bereits außer Haus und diese Chance wollte ich nutzen. In Windeseile machte ich mich fertig und stopfte mir ein Honigbrot rein, ehe ich auf meinem Rad um 06:30 Uhr das Haus verließ. Ich wollte vor der Schule unbedingt noch zu Jakob. Seine Zeichnung von gestern war mir einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Besonders da Jakob sonst immer so ein normaler Bub war. Er schlägerte sich zwar des Öfteren, aber welcher Bursche tat das nicht?! Aber er hatte nie brutal oder gewalttätig gewirkt. Das bereitete mir dann doch Sorgen.

Kaum 10min später kam ich auf dem Hof an. Er lebte auf einem kleinen Bauernhof, nebenan ein Schlachthof. Im Wohnhaus brannten bereits die Lichter aus verschiedensten Fenstern. Im Schlachthof herrschte noch Ruhe. Aus dem Stall heraus hörte man die Kühe muhen und ab und zu sah man einen Menschen, der sich im Licht bewegt. Mein Blick schweifte zurück zum Haus. Vorsichtig bewegte ich mich darauf zu und lehnte mein Rad an einer Mauer in der Nähe der Traktoren an. Bedacht keinen Lärm zu machen schlich ich zum nächsten Fenster und spähte hinein. Aus meinem Magen kam ein flaues, unsicheres Gefühl. Ich würde es nicht als Angst bezeichnen, aber Wohl war mir bei dieser Tat nicht. Diese Spionage hatte ich mir selbst zuzutragen und zu verantworten. Es passierte aus reiner Neugierde, es hätte keinen Grund gegeben, den ich vor Gericht legen konnte. Aber so weit wollte ich erst gar nicht denken. Nun tat sich etwas in dem Raum. Eine Schattengestalt kam herein. Bei genauerem Hinsehen, erkannte ich allerdings, dass es Jakobs Vater war. Wenn seine Mutter im Stall, sein Vater im Haus war, wo war dann Jaki? Ein Schauer lief mir den Rücken hinab, als ich hinter mir plötzlich Schritte hörte. Ich kniff die Augen zusammen, warf mir die Kapuze über und setzte mich möglichst unauffällig auf den kalten Boden. Die Schritte kamen immer näher, bis ich Stimmen hörte:

"Was hast du hier zu suchen?", schimpfte eine helle, männliche Stimme. "Die Frage ist wohl eher, was du so nahe an mir tust!", schrie eine ängstliche Stimme zurück. Diese Stimmen kannte ich doch! Das waren Jakob und Larissa. Mir war wohl bekannt, dass diese Beiden jeden Tag gemeinsam zum Bus gingen, aber doch nicht so früh! Ein weiterer Blick auf meine Uhr zeigte mir 7:05 Uhr an. War die Zeit wirklich so schnell vergangen? Dann hatte ich mich getäuscht. Aber die Beiden taten mehr als nur zum Bus zu gehen. Ich lief zurück zu den großen Traktoren, schnappte mein Rad und schob es so weit, bis ich die Beiden sehen konnte. Jakob stand ihr in diesem Moment unglaublich nahe. Ich wusste, dass Larissa das unmöglich absichtlich zuließ. Ohne mein Rad loszulassen hockte ich mich im Schatten hin und spähte um die Ecke. Die Sonne war bereits aufgegangen, ich konnte die Beiden also gut sehen. Jakobs Hände waren auf Lissis Schultern, Larissa starrte ihn unverwandt an. "Lass mich los!", schrie sie und versuchte sich loszureißen. Der Junge kam ihr immer näher, sie schien hilflos. Dann sah ich aus Jakobs Hosentasche etwas aufblitzen - das Messer von der Zeichnung! Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ohne zu zögern und ohne nachzudenken ließ ich mein Rad fallen und rannte auf die Zwei zu. Lari schien erleichtert, doch in Jakobs Augen blitze Wut auf. Seine Hände verließen die Stelle und er ballte mit den Händen eine Faust, als würde er Lara oder mir gleich eine reinhauen. Genau im richtigen Moment kam ich an und konnte ihn mit einem geübten Tritt außer Gefecht setzten. Der Tritt traf zuerst auf das Sprunggelenk und dann mit der Hand eine Watsche ins Gesicht. Den Teil mit den 'Kronjuwelen' ließ ich aus, für mich war er nicht notwendig. Sobald ich mich umdrehte fiel mir Lara um den Hals. Sie weinte, überwältigt von ihren Gefühlen. Tröstend strich ich ihr über den Rücken. "Alles gut", flüsterte ich liebevoll in ihr Ohr. Sie schluchzte und ließ mich wieder los. Dann sah sie auf Jakob der stöhnend vor Schmerzen am Boden lag. Mit meinem Gewicht könnte ich ihm das Sprunggelenk sogar brechen, das hatte ich aber nicht getan. Aus einem Karate-Kurs kannte ich diesen Trick, der nicht verletzte aber höllisch wehtat. Mit vor Schmerz zusammen gekniffenen Augen kam der Junge auf die Füße. Larissas Tränen waren längst verschwunden. Wut belagerte nun ihre Augen, genauso wie vorher Jakobs Augen aussahen. "Bist du noch ganz dicht?!", schrie sie ihn an, "Was sollte das? Was wolltest du? Was ist los mit dir?" Sie gab dem Jungen nicht einmal die Chance EINE ihrer Fragen zu beantworten. "Mit dir geh ich nicht mehr zum Bus! Nie mehr! Und wenn du mir noch einmal unterkommst kannst du dich auf etwas gefasst machen!", ihre Stimme überschlug sich. Ich konnte nur zusehen und gerade als ich den Mund öffnete um etwas zu sagen, drehte sich Lara zu mir um. "Komm wir gehen!", sagte sie zu mir, fasste meine Hand und zog mich wortlos zu meinem Rad, das noch am Boden lag. Offensichtlich war ihr diese Situation ziemlich peinlich. Sie schwang sich auf mein Rad und ich nahm auf den Gepäcks-Träger platz. Dann fuhr sie auch schon los, ohne Jakob auch nur eines Blickes zu würdigen.



Die Liebe ist ein Spiel...das du nicht gewinnen kannstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt